Bestseller-Algorithmus: Ist das Kunst oder kann das weg?

Eine Software soll die Bestseller-Autoren von morgen entdecken. Der Algorithmus wird mit alten Büchern gefüttert und kann daran lernen, welcher Text Erfolg haben wird. Verlagslektoren sollen damit entlastet werden – die Kreativität aber könnte auf der Strecke bleiben.

Texte werden von Algorithmen gelesen – die Zukunft der Buchbranche? CC-BY 2.0 Joanna Penn

Die Leipziger Buchmesse ist eine wichtige Netzwerkveranstaltung. Während angehende Autoren Sturm auf die Verlage laufen, bemühen sich die Verlage vor allem um ein gutes Marketing. Weil diese Situation die Branche nicht nur einmal im Jahr prägt, sondern immer, haben Autoren in Deutschland ein Problem: Von 3.000 bis 6.000 unverlangt eingesandten Manuskripten pro Jahr werden laut der Initiative Fairer Buchmarkt nur ein bis zwei gedruckt. Dabei könnte man die Perlen ganz einfach herausfiltern, meint Kulturwissenschaftlerin und Buch-Expertin Gesa Schöning.

Gemeinsam mit dem Programmierer Ralf Winkler hat sie eine Software zur Vorhersage von Bucherfolgen entwickelt. Mit „QualiFiction“ zeigten sie auf der Buchmesse, in welche Richtung die Arbeit im Lektorat zukünftig gehen kann: Manuskripte sollen mit der Software auf ihre marktwirtschaftliche Tauglichkeit analysiert werden. Ein Algorithmus ermittelt dazu mit Hilfe einer Reihe von Daten den „perfekten Text“. Die Verlage sollen damit entscheiden, welches Buch es sich zu drucken lohnt. Ist das ein Algorithmus, den wir brauchen?

Suche nach dem Bestseller-Score

Zur Analyse wird der Text zunächst in die Cloud geladen. Ob dieses Vorgehen mit den Urheberrechten der einsendenden Autoren konform geht, ist bereits fraglich. Eine weitere offene Frage ist, ob mit dem Hochladen der Texte auch eine Rechteweitergabe erfolgt. Da es um unverlangt eingesandte Manuskripte geht, werden die Autoren vermutlich zuvor gefragt werden müssen.

Der nach dem Hochladen verwendete Algorithmus wurde mit historischen Beispielen gefüttert, die auf dem Markt bereits erfolgreich waren. Mittels maschinellem Lernen wendet er die daraus ermittelten Bestseller-Eigenschaften auf das neue Manuskript an. Das sind nach Angaben von Schöning zum Beispiel Satzlänge und Spannungsbogen, aber auch Themen werden abgebildet. So sollen Beschreibungen von Zwischenmenschlichkeit und nonverbaler Kommunikation beim Leser besonders gut ankommen. Anhand der Erfüllung dieser Kategorien errechnet die „QualiFiction“-Software einen Bestseller-Score von 0 bis 100.

 

Anhand einer Wortanalyse ermittelt der Algorithmus die Spannungskurve. - Alle Rechte vorbehalten Gesa Schöning

 

Verlage sollen damit eine objektivere Entscheidung treffen, welches Buch sie drucken. Vor allem sollen sie aber Geld sparen: Im Lektorat könnte man durch den Algorithmus zukünftig Stellen einsparen, das Buch-Marketing und die passende Auflagenhöhe kann er laut Werbe-Flyer auch gleich noch berechnen.

Achtzig Prozent Trefferquote

Nach eigenen Angaben sind Gesa Schöning und Ralf Winkler bisher die einzigen, die in Deutschland ein solches Produkt anbieten. Software zur Textanalyse gab es bisher auf Deutsch vor allem für den wissenschaftlichen Bereich. Die erste Forschungsarbeit zu dem Thema „Bestseller-Algorithmus“ wurde allerdings an der US-amerikanischen Elite-Uni Stanford für die englische Sprache geschrieben.

Jodie Archer und Matthew Jockers wollten darin nach eigenen Angaben aber gerade kein Produkt entwickeln, sondern nur die Bestseller-Forschung verbessern:

Ich stimme damit überein, dass es schade ist um einen Autor, den kein Mensch liest, weil sein Manuskript keinen Computertest bestanden hat. […] Darüber würde ich mir auch Sorgen machen. […] Wir haben dieses Werkzeug nicht als Produkt entwickelt, das man der Industrie verkaufen soll. Um fair zu sein, die Industrie war sehr interessiert an dem, was wir getan haben. Eigentlich sollte der Algorithmus aber nur erforschen, welche Eigenschaften einen Bestseller von anderen Büchern unterscheiden. (eigene Übersetzung)

In ihrem Buch „The Bestseller Code“ beschreiben die Lektorin und der Englischprofessor, wie ein mit 5.000 Romanen gefüttertes Analyseprogramm die Wahrscheinlichkeit eines Werkes errechnet, in der Bestseller-Liste der New York Times zu landen. Laut FAZ soll die Trefferquote des Computers achtzig Prozent betragen. Das 2016 erschienene Buch, welches Technik und Nutzen erklärt, ist nach Angaben der Autorin bereits in zehn Sprachen übersetzt und vertont worden. Die deutsche Version der Software haben Gesa Schöning und Ralf Winkler aber unabhängig davon entwickelt.

Fitzek fällt durchs Raster

Der Bestseller-Algorithmus soll sich dabei an aktuellen Trends und spezifischen Interessen orientieren. Dabei könnten auch die mittels Tracking ermittelten Daten von eBook-Lesern zum Einsatz kommen. So würde ein Verlag bald die Interessen seiner Leser reproduzieren – zielgruppenspezifisch und auf marktwirtschaftlichen Erfolg angelegt. Auch Romane wie der Thriller „Passagier 23“ von Sebastian Fitzek, die kaum erschienen schon auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller-Liste landen, könnten damit aussortiert werden: Laut dem Algorithmus hat das Buch nur einen Bestseller-Score von 72 Prozent.

Gefördert wird „QualiFiction“ unter anderem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und vom Europäischen Sozialfonds. Zur Zeit sind die Entwickler im Gespräch mit Verlagen, wollen ihr Produkt aber auch an Autoren verkaufen. „Der Computer kann komplexe Zusammenhänge erkennen, die dem Menschen verborgen bleiben“, sagt Gesa Schöning. Dabei bleibt die Frage, wie viel Kreativität die Maschine dabei aussortiert. Ist die Relevanz eines Buches überhaupt mit Zahlen und Daten messbar?

Mark O’Connell vom Guardian sieht schon in der Originalidee ein Problem:

Die drängendsten Fragen für die Aufdeckung von Bestseller-Eigenschaften im Zusammenhang mit maschinellem Lernen werden kaum berücksichtigt. Werden Autoren nun ihre Bücher schreiben, um dem Erfolgsmodell des Algorithmus zu entsprechen? Werden Verleger und Literaturagenten die Maschine konsultieren, bevor sie ein Manuskript lesen? Werden Leser für ein Buch zahlen, das mit dem Sticker „97 Prozent im Bestseller-Algorithmus“ beworben wird? (eigene Übersetzung)

3 Ergänzungen

  1. De naechste Schritt ist dann logischerweise das Erstellen von Texten. „Bestseller“ sagt uebrigens nichts ueber Qualitaeten jenseits vom Verkaufserfolg aus. Rosamunde Pilcher wie auch Agatha Christie ist vermutlich erreichbar…

  2. Gewaltige, global vernetzte Algorithmen fahren Auto, schießen Fotos, komponieren Musik, malen Bilder und lesen Bücher: würde das ein Bestseller werden?! :D

  3. Die Fort- und Festschreibung der Beliebigkeit mit allen Mitteln.

    Wozu Neues, wozu Kreativität, wozu das Unerwartete?
    Wenns doch das gute Altbewährte gibt.

    Eigentlich ganz ok, da die feigen Entscheider tatsächlich überflüssig sind.

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