Netzneutralität: Jahresbericht deckt Verstöße gegen das offene Internet auf (Update)

Deutsche Netzbetreiber haben im Vorjahr Messenger-Dienste und Webseiten blockiert oder den Zugriff darauf verlangsamt. Damit haben sie die Netzneutralität verletzt, stellt die Bundesnetzagentur in ihrem Jahresbericht fest. Einige Verfahren laufen noch, darunter eines gegen das StreamOn-Produkt der Telekom.

Wenn das Netzwerk einfriert, aber nicht sollte. (Symbolbild) CC-BY-SA 2.0 Stan Wiechers

Gesperrte Webseiten, blockierte Dienste wie Telefonie über das Internet oder ein verlangsamter Zugriff auf bestimmte Angebote: In ihrem am Freitag veröffentlichten Jahresbericht „Netzneutralität in Deutschland“ (PDF) zieht die Bundesnetzagentur (BNetzA) erstmals Bilanz über Verstöße gegen die europäischen Regeln zur Netzneutralität durch deutsche Netzbetreiber. Der Bericht deckt den Zeitraum zwischen Mai 2016 und April 2017 ab.

So gab es laut BNetzA einige große Anbieter, die ihren Kunden unzulässigerweise verboten haben, Voice over IP, Messaging-Dienste oder Peer-to-Peer-Anwendungen zu nutzen. Nach „bilateralen Besprechungen“ hätten die betreffenden Anbieter ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) in diesen Punkten entsprechend geändert, heißt es im Bericht. Zudem hätten ungenannte „Anbieter von Internetzugangsdiensten“ bestimmte Webseiten blockiert. Auch das ist verboten und wurde nach Einschreiten der BNetzA unterlassen.

Mit Ausnahme der Telekom Deutschland — die Untersuchung von StreamOn läuft noch — nennt der Bericht keine Namen von Netzbetreibern, die im letzten Jahr die Netzneutralität verletzt haben. Genauso unbekannt bleibt, welche Webseiten betroffen waren und warum.

netzpolitik.org wirkt: Vodafone-Drossel unzulässig

Als ebenfalls rechtswidrig hat die BNetzA das Verkehrsmanagement eines Netzbetreibers eingestuft, der bei Netzspitzen oder drohender Netzüberlastung „eine Verkehrskategorie in unzulässiger Weise zwischen verschiedenen Anwendungen und Diensten diskriminiert“ habe. Wir gehen davon aus, dass es sich um die Praxis von Vodafone handelt, die wir im Februar aufgedeckt und der BNetzA gemeldet haben. Diese leitete daraufhin eine Untersuchung gegen den Kabelnetzbetreiber ein.

[Update, 18. Juli: Vodafone bestätigte gegenüber netzpolitik.org, nach Einschreiten der BNetzA den beanstandeten Passus zum Trafficmanagement aus den AGB und der Produktbeschreibung entfernt zu haben. Zudem habe das Unternehmen „in der Zwischenzeit eine fehlerhafte Konfiguration, die damals auch den Verkehr von GitHub betraf, korrigiert“.]

Tatsächlich hat Vodafone den Passus aus den allgemeinen Infoblättern der Kabelprodukte entfernt, der ab einem Gesamtdatenvolumen von mehr als 10GB pro Tag eine temporäre Drosselung von File-Sharing-Anwendungen zumindest theoretisch festgeschrieben hatte. In den AGB findet sich jedoch nach wie vor der Hinweis, dass bei einer befürchteten Netzüberlastung Dienste wie „Peer-to-Peer, One-Click-Hoster und Net-News“ Nachrang gegenüber dem Zugriff auf „Internetsurfen“ oder „Social Network“ hätten.

„Nach Intervention der Bundesnetzagentur beabsichtigt der Anbieter, ein angemessenes Verkehrsmanagement einzuführen, bei dem es unterschiedliche Verkehrskategorien mit unterschiedlichem Priorisierungsgrad gibt, und seine AGB entsprechend anzupassen“, heißt es nun im aktuellen Jahresbericht. Soll heißen: Netzanbieter müssen künftig Gleiches gleich behandeln. Allerdings sei die genaue Gestaltung noch nicht abschließend festgelegt, schreiben die Regulierer.

Weder die BNetzA noch Vodafone waren kurzfristig für eine Stellungnahme erreichbar. Der betroffene Leser, der uns das Verhalten ursprünglich gemeldet hatte, bestätigte aber gegenüber netzpolitik.org, dass er seit unserem Bericht nicht mehr unter dem Problem leide. [Siehe obiges Update.]

Was wird aus StreamOn?

Gänzlich offen ist die Untersuchung von StreamOn der Telekom Deutschland. Das sogenannte Zero-Rating-Angebot des Mobilfunkanbieters, das den Zugriff auf Partnerdienste wie Apple Music, Soundcloud oder Netflix vom monatlichen Datenvolumen ausnimmt und damit alle anderen Anbieter benachteiligt, ist erst kurz vor Ende des Berichtzeitraums auf den Markt gekommen. „Das Verfahren war am 30. April 2017 noch nicht beendet“, schreibt die BNetzA. Allerdings lassen die Regulierer zwischen den Zeilen durchblicken, dass sie dem Angebot nicht unkritisch gegenüberstehen:

Das Zero Rating gilt nur für Audio und Videostreams der Content-Partner. Grundsätzlich ist die Teilnahme bei „StreamOn“ für alle Audio und Video Inhalteanbieter offen. Allerdings muss ein Inhalteanbieter einen Vertrag mit der Deutschen Telekom abschließen und Bedingungen erfüllen, die in den allgemeinen Bedingungen für Inhalteanbieter festgelegt sind.

Die BNetzA stellt also fest, dass bestimmte Inhalte (Audio- und Videostreams) gegenüber anderen bevorzugt werden – ein klarer Verstoß gegen die EU-Verordnung. Dass die Teilnahme „grundsätzlich“ allen offen stünde – „grundsätzlich“ wie „najaaa“. Und dass eben Inhalteanbieter Partner der Telekom werden müssen und sich an willkürliche Bedingungen zu halten haben – mit fragmentierenden Auswirkungen auf den europäischen digitalen Binnenmarkt, was weder im Interesse der Regulierer noch der EU-Kommission sein kann.

Zudem führt die BNetzA in einem anderen Abschnitt auf, dass in einer bestimmten Tarifoption die Bandbreite selbst für Nicht-Partnerdienste auf 1,7 MBit/s reduziert wird. Auch diese Regelung ist fragwürdig und wird wohl kaum Bestand haben. Mit einem Abschluss des Verfahrens wird noch in diesem Sommer gerechnet.

Bestimmtes Port-Blocking bis auf Weiteres zulässig

Als mit der EU-Verordnung vereinbar hat die BNetzA offenbar das Port-Blocking eines Anbieters eingestuft. Dieser sperrt Ports, „um die Sicherheit des Netzes und der Endgeräte der Endnutzer zu wahren.“ Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um einen Kabelanbieter, der verhindern will, dass auf die Windows-Netzwerkfreigaben der Kunden im jeweiligen Kabelsegment oder auf wohl für die Konfiguration benötigte Ports zugegriffen werden kann. Allerdings war die Prüfung bis zum 30. April noch nicht beendet.

Viele Beschwerden wegen langsamer Geschwindigkeit

Weiterhin ein großes Problem auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt ist die auseinanderklaffende Kluft zwischen den Versprechen der Netzbetreiber, die ihre Produkte mit „Bis-zu“-Angaben vermarkten, im Alltag jedoch deutlich weniger Bandbreite liefern. Zwar hätten bislang nur wenige Verbraucher das offizielle Messwerkzeug der „Breitbandmessung“ samt aller Auflagen (etwa mindestens 20 Messungen) benutzt, um ihrem Netzbetreiber die Nichterfüllung des Vertrags nachzuweisen, beklagen die Regulierer. Seit der kürzlich erfolgten Konkretisierung der unbestimmten Begriffe, was unter einer erheblichen, kontinuierlichen oder regelmäßig wiederkehrenden Abweichung bei der Geschwindigkeit zu verstehen ist, vermeldet die BNetzA aber einen starken Anstieg der Beschwerden und Anfragen.

Zudem hat der Verbraucherservice der BNetzA ein Standard-Beschwerdeverfahren entwickelt, mit dem sich etwaige Beschwerden besser und schneller lösen lassen sollten. Wenn man sich den jüngsten Jahresbericht der Breitbandmessung ansieht, dann kommt auf die BNetzA einiges an Arbeit zu. Allerdings konstatiert der Bericht auch das Versäumnis der Politik, neue Entschädigungsansprüche abseits des Zivilrechts gesetzlich zu verankern: „Es sind keine gesonderten zusätzlichen Rechtsbehelfe zur Netzneutralität für Verbraucher eingeführt worden.“

1 Ergänzungen

  1. Toller Artikel, vielen Dank dafür!
    Ich verfolge die Thematik seit ein paar Jahren interessiert! Schade, dass es dazu noch keine Kommentare gibt.

    Noch niemand Erfahrungen gesammelt in dem Bereich?

    PS. Die aktuellen AGB „KH-01133-C-00 27/17“ (Stand Juli 2017) enthalten immer noch den Punkt 3 Übertragungsgeschwindigkeit mitsamt der Verkehrs-Management-Maßnahmen. Geändert bzw. aktualisiert wurde bis dato (01.09.2017) nichts…

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