ePrivacy-Debatte: Konservativer EU-Abgeordneter vergleicht seine Kollegen mit iranischem Wächterrat

Erste Richtungsentscheidungen im EU-Parlament: Heute hat die federführende Abgeordnete ihren Entwurf für einen Positionierungsvorschlag zur ePrivacy-Reform vorgestellt. Wir haben uns die Debatten im Parlament angeschaut und erste Reaktionen von zivilgesellschaftlichen Organisationen eingeholt.

Es gibt unterschiedliche Mittel, die eigene Privatsphäre zu schützen (Symbolbild). Das EU-Parlament diskutierte heute über die ePrivacy-Verordnung zum Schutz der Vertraulichkeit digitaler Kommunikation. CC-BY-SA 2.0 Michell Zappa

Anfang des Jahres hatte die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, die den Schutz der Privatsphäre und die Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation gewährleisten soll [Hintergrund]. Im Herbst will das Parlament über seine Position zu dieser ePrivacy-Reform abstimmen, nach intensiven Verhandlungen gab es heute gleich in mehreren Ausschüssen einen Schlagabtausch.

Im federführenden Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) hat die Sozialdemokratin Marju Lauristin ihren Berichtsentwurf [PDF] vorgestellt. Als Berichterstatterin spielt sie in der Meinungsfindung des Parlaments eine zentrale Rolle und wird es am Ende des legislativen Prozesses auch in den Trilog-Verhandlungen mit der EU-Kommission und dem Rat vertreten. Wie wir in unserer Analyse zeigen, will Lauristin den Kommissionvorschlag in etlichen Punkten in Richtung eines besseren Grundrechtsschutzes weiterentwickeln: Unter anderem will sie Anbieter von Kommunikationsdiensten zu Verschlüsselung verpflichten, obligatorisches Tracking verbieten und Privacy-by-Design realisieren.

Sozialdemokraten, Linke, Grüne und überwiegend auch Liberale sprachen sich in den Debatten für einen stärken Schutz der Privatsphäre und der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation aus. Sie begrüßten Lauristins Vorschläge. Heftigen Gegenwind gab es jedoch von einigen Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EVP).

Konservative schießen gegen besseren Schutz der Kommunikation

Der CDU-Politiker Axel Voss beispielsweise verglich die Datenschutz-Bemühungen des LIBE-Ausschusses mit dem religiösen Wächterrat im Iran: Seine Kolleginnen und Kollegen würden die Realität ignorieren und nicht merken, wie die Welt sich verändere. Es gehe bei der ePrivacy-Reform schließlich in erster Linie darum, die Digitalwirtschaft zu stärken und den freien Datenfluss zu ermöglichen. Dem beratenden Rechtsausschuss, in dem er federführend für das Thema zuständig ist, hat er eine Stellungnahme vorgeschlagen [PDF], die sich fast ausschließlich an Positionen der Digitalindustrie orientiert. Bereits der Vorschlag der EU-Kommission geht ihm deutlich zu weit: „Mangelnder Mut, mangelnde Kreativität, das Festhalten an alten Strukturen und Überzeugungen sind keine guten Voraussetzungen um eine erfolgreiche digitale Zukunft zu gestalten,“ so Voss. Lauristin entgegnete ihm, dass Grundrechte nicht an zweiter Stelle hinter Wirtschaftsinteressen stehen dürften.

Auch Voss‘ Fraktionskollegin Eva Maydell warnt vor Überregulierung durch die ePrivacy-Verordnung, wenn auch in weniger markigen Worten. Sie ist Berichterstatterin für den Ausschuss „Binnenmarkt und Verbraucherschutz“ (IMCO), der das Thema ebenfalls beratend behandelt. In ihrem Entwurf für die Stellungnahme [PDF] ihres Ausschusses fordert sie, das Gesetz deutlich zu reduzieren. Anna Maria Corazza Bildt, stellvertretende Vorsitzende des IMCO-Ausschusses pflichtete ihr bei: In Reaktion auf den Grünen Abgeordneten Jan Philipp Albrecht, der für eine starke ePrivacy-Verordnung warb, betonte sie, dass der Ausschuss „für den Markt“ da sei. Bereits die Datenschutzgrundverordnung schade tausenden von Unternehmen, als deren Vertreterin sie sich verstehe. Die ePrivacy-Verordnung lehnt sie deshalb ab.

Letztes Wort noch nicht gesprochen

Spannend wird daher im weiteren parlamentarischen Prozess vor allem, wie sich ihr EVP-Kollege Michal Boni positioniert. Im federführenden Ausschuss ist er und nicht sein Kollege Voss als Schattenberichterstatter der Fraktion für das Thema zuständig. In seiner Reaktion auf Lauristins Berichtsentwurf vermied er heute eine allzu klare Verortung. Grundsätzlich begrüßte er jedoch die Arbeit der Berichterstatterin und betonte, bei der ePrivacy-Novelle ginge es vor allem um den Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre und in der Folge auch um andere Grundrechte wie den Schutz der Meinungsfreiheit. In der weiteren Arbeit an dem Thema wolle der vor allem die Sicherheit der Kommunikation stärken, aber auch darauf achten, Innovationspotenzial zu ermöglichen, beispielsweise im Bereich Big Data.

Das letzte Wort im Kampf um die ePrivacy-Verordnung ist also noch lange nicht gesprochen. Nach ersten Signalen ist davon auszugehen, dass die Regierungen einiger EU-Mitgliedsstaaten versuchen werden, über den Ministerrat eine Stärkung des Datenschutzes zu verhindern. Nach der bislang für Oktober anvisierten Abstimmung im Parlament wird es deshalb vorraussichtlich zu schwierigen Trilog-Verhandlungen kommen.

NGOs begrüßen Entwurf

Bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, die wir um eine Reaktion gebeten haben, stieß der Berichtsentwurf der LIBE-Berichterstatterin auf ein überwiegend positives Echo.

Florian Glatzner vom Verbraucherzentrale Bundesverband:

Der Entwurf der Berichterstatterin ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Viele ihrer Vorschläge sind sehr zu begrüßen, wie beispielsweise striktere Regelungen für das Tracking in der On- und Offlinewelt. Allerdings muss der Entwurf noch an einigen Stellen geschärft werden, beispielsweise im Hinblick auf datenschutzfreundliche Voreinstellungen. Während aber das EU-Parlament deutliche Fortschritte verzeichnet, scheint der EU-Rat in seinen Verhandlungen noch nicht weit gekommen zu sein – und auch die Bundesregierung hat die Startlinie ein halbes Jahr nach Veröffentlichung des Kommissionsentwurfs offenbar noch nicht verlassen.

Estelle Masse von Access Now [eigene Übersetzung]:

Die Bericherstatterin Marju Lauristin und ihr Team haben einen Vorschlag verfasst, der siginifkante Verbesserung für den Schutz der Privatsphäre von Nutzern bringt, indem er die Grundlagen für Verarbeitung personenbezogener Daten klarstellt, die Einschränkung der Grundrechte (Artikel 11) limitiert und eine Grundlage zur Verbesserung der Regeln für Privacy by Design und Privacy by Default schafft (Artikel 10). Im nächsten Verhandlungsschritt des LIBE-Ausschusses muss nun weiterer Schutz hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass auch Hardware, und nicht nur Software, standardmäßig geschützt sind und um Nutzer ausreichend vor Offline-Tracking zu schützen.

Die Abgeordnete Lauristin, ihr Team und die Schattenberichterstatter im Ausschuss haben in den Verhandlungen den öffentlichen Austausch mit einer großen Anzahl an Forschern, Akademikern und Vertretern von Industrie, Zivilgesellschaft und Verbrauchergruppen gesucht. Wir sind dankbar für Transparenz und Offenheit, mit denen dieser Prozess bislang angegangen wurde und hoffen, dass es auf diese Weise weiter geht. Das ist insbesondere in Anbetracht des massiven Drucks notwendig, mit dem Industrielobbyisten den Gesamtvorschlag untergraben wollen. Ihr Einfluss lässt sich bereits am Stellungnahmenentwurf des Rechtsausschusses ablesen, den man als vermutlich schlechtesten Vorschlag für den Schutz von Nutzerrechten bezeichnen kann.

Diego Naranjo von European Digital Rights [eigene Übersetzung]:

Indem sie zahlreiche positive Vorschläge zum Kommissionvorschlag gemacht hat, hat Marju Lauristin große Entschlossenheit gezeigt, den Schutz der Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern zu verbessern. Der Text, der dem LIBE-Ausschuss vorliegt, würde Rechtssicherheit durch strikte Grundlagen für die Verarbeitung personenbezogener Daten schaffen. Er würde zudem Nutzerrechte stärken, indem er Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ohne Backdoors fördert und eine Haushaltsausnahme ähnlich zu der der Datenschutzgrundverordnung einführt. Außerdem erweitert der Entwurf die Reichweite um den Schutz von Arbeitnehmern vor der Überwachung durch Arbeitgeber und ergänzt die Möglichkeit der kollektiven Rechtshilfe. Wir bedauern jedoch, dass der Text der vorgeschlagenen Änderungen zum Offline-Tracking nicht stärker ausgefallen ist. Es ist schwer vorstellbar, wie in solchen Situationen eine informierte Zustimmung gegeben werden könnte, wie diese Daten sinnvoll anonymisiert werden und wie man ausoptieren kann, ohne bestimmte Nutzer de facto ausschlueßen.

Der Vorschlag des LIBE-Ausschuss ist stärker als der Originalvorschlag, aber wir werden abwarten müssen, ob die Gegner einer starken ePrivacy-Verordnung wie der Berichterstatter des Rechtsausschuss, Axel Voss von der CDU, damit erfolgreich sein werden, zentrale Elemente des Textes zu untergraben. Zudem scheinen nur wenige Mitgliedstaaten eine starke Meinung zu diesem Vorschlag zu haben, was Vorhersagen erschwert. Die Mitgliedstaaten sind darüber hinaus über Jahre hinweg vom rückschrittlichsten Teil der Online-Industrie lobbyiert worden, was darin resultierte, dass 14 Länder fordern, ein „Recht auf Ausgewogenheit zwischen digitalen Produkten und Services und den Grundrechten von Datensubjekten“ [PDF] einzuführen. Das sollte man sich vor Augen führen: eine Balanche zwischen „Produkten“ und „Grundrechten“.

Volker Tripp für den Verein Digitale Gesellschaft:

Wir begrüßen insbesondere die Forderung, das Offline-Tracking von Kundinnen und Kunden deutlich zu begrenzen. Nur wenn die Betroffenen zuvor über die Erhebung und Verwendung ihrer Daten informiert wurden und ausdrücklich zugestimmt haben, dürfen Tracking-Techniken angewendet werden. Diese Einschränkung ist bereits deshalb nötig, weil die elektronische Datenerfassung nicht an der Schwelle zum Ladenlokal Halt macht, sondern auch in den Nahbereich eines Geschäfts hineinwirkt. Darüber hinaus wünschen wir uns auch ein Verbot von Vergünstigungen oder Boni für die Teilnahme am Kundentracking. Es darf nicht möglich sein, Kundinnen und Kunden ihre Einwilligung gewissermaßen abzukaufen.

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11 Ergänzungen

  1. „Der CDU-Politiker Axel Voss beispielsweise verglich die Datenschutz-Bemühungen des LIBE-Ausschusses mit dem religiösen Wächterrat im Iran: Seine Kolleginnen und Kollegen würden die Realität ignorieren und nicht merken, wie die Welt sich durch die verändere.“

    Wieder einmal jemand der alles herumdreht und anderen genau das unterstellt was er selbst verkörpert.
    Da darf man doch auch mal nach Realitätssinn fragen.
    Die Existenz wird durch die Sinne erschlossen. Doch wer so sinnfrei durch die Gegend läuft hat scheinbar nur noch die Möglichkeit in der Politik seiner anhaltslosen Ausrichtung ungestört nachgehen zu dürfen.

  2. Oettinger nannte damals Befürworter der Netzneutralität „Taliban-artig“. Offensichtlich gefällt es CDU-Politikern, Bürgerrechtler mit Terroristen und religiösen Fanatikern gleichsetzen. Auch das ist Hate-Speech.

    1. Solche Vergleiche sind übertrieben, aber auch nicht schlimmer als z.B. Überwachungs-Befürworter mit der Stasi gleichzusetzen. Bedauerlich, aber nicht unbedingt Hate-Speech.

        1. Im Idealfall niemand, aber falls doch, wäre es nicht unbedingt Hate-Speech, nur ein wenig übertrieben.

    2. Dieser Meinung mag ich mich nicht anschließen.
      Ja beides sind Übertreibungen, aber für mich ist bei dem gleichsetzen zu Terroristen wie den Taliban die Grenze zur Beleidigung überschritten.
      Ich möchte nicht mit einer Gruppe verglichen werden, die versucht Ihre Ziele mit Terrorismus zu erreichen.

      Ob dass dann direkt Hate-speech ist, da bin ich überfragt. Aber nach meinem subjektivem Empfinden bin ich allemal schwer beleidigt worden.

      Mit freundlichen Grüßen
      Nerd im Netz

      1. Nachvollziehbar, so wie sich ein Soldat von Tucholskys „Soldaten sind Mörder“ beleidigt fühlen kann. Aber auch das ist kein Hate-Speech, jedenfalls nicht zwangsläufig, hängt vom Kontext ab. Und die Iran- und Taliban-Vergleiche sind wohl eher harmloser als der Tucholsky-Spruch, es geht um Unbelehrbarkeit oder Dogmatik, nicht Mord oder Terror.

      2. Bei aller Güte, die Taliban waren nicht die „Terroristen“. Die Terroristen waren die Typen um Bin Baden von Al Quaida. Die Taliban waren die Regierung in Afghanistan, die von den Friedenstauben der NATO in Grund und Boden gebombt wurde. Dagegen gehört Al Quaida in Syrien offenbar zu den schützenswerten „gemäßigten“ Kopfabschneidern. Das ist für ein Genie wie Herrn Oettinger vielleicht zu hoch, aber wenn man irgendwas rummurmelt, sollte es wenigstens etwas historisch der Wahrheit entsprechen. Dass „Politiker“ geistig flexibel sind, ist normal, aber strohdoof sollten sie nicht unbedingt sein.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.