Landesverrat: Eine gescheiterte Attacke auf die Pressefreiheit?

Bezahlte Überholspuren im Internet könnten eine Sackgasse für Vielfalt darstellen.

Sie haben weder ein Staatsgeheimnis gelüftet noch die Bundesrepublik verraten: Die beiden des Landesverrats Beschuldigten aus unserer Redaktion, Andre Meister und Markus Beckedahl, sind über die Einstellung des Verfahrens nach nur kurzem politischen Gezänk während der parlamentarischen Sommerpause Mitte August unterrichtet worden. Ob Generalbundesanwalt Harald Range einen Durchsuchungsbefehl für die Redaktion beantragen wollte, bleibt ungewiss. Im Zuge der Diskussion verlor er zwar sein Amt. Die beteiligten Ressorts, das Justiz- und das Innenministerium, mussten sich allerdings mit einigem Recht vorhalten lassen, ein Bauernopfer gebracht zu haben.

Den folgenden Kommentar habe ich für die Ausgabe 37 der CLARA geschrieben. Die Zeitschrift ist das Magazin der Links-Fraktion im Bundestag, die sich für den Schutz, nicht die Bestrafung von Whistleblowern einsetzt, die Pressefreiheit verteidigt und die Strafanzeigen von Hans-Georg Maaßen kritisiert hat. Der Beitrag ist eine leicht gekürzte Fassung.

Ein Kommentar.

Der Initiator der Ermittlungen, Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, sitzt weiterhin fest im Sattel. Für die bei netzpolitik.org in Gänze publizierten geheimen Überwachungskonzepte seines Geheimdienstes musste er nur wenige kritische Nachfragen erdulden. Zu sehr hat sich im politischen Bewusstsein das Denken festgesetzt, dass gegen die Überwachungspläne der Spione ohnehin nicht viel zu machen sei. Gleichzeitig hängt die Latte wieder ein Stückchen höher, die ein Verantwortlicher reißen muss, um bei einem politischen Skandal mit Aussitzen, Schweigen oder Beschwichtigen nicht mehr durchzukommen.

Der Warnschuss ging nach hinten los

Geheime Dokumente werden ihren digitalen Weg in die Öffentlichkeit weiterhin finden, gerade was Geheimdienste angeht. Abgesehen von den Betroffenen, die ihre Geheimnisse damit preisgeben müssen, ist das für die interessierte Öffentlichkeit eine gute Nachricht. Dass diese Erkenntnis auch dem Inlandsgeheimdienst-Chef schwant, beweist gerade die gescheiterte Attacke auf die Pressefreiheit durch seine Strafanzeigen und die erhoffte und auch erfolgte Einleitung von Ermittlungen der Bundesanwaltschaft wegen Landesverrats.

„Die Anzeigensteller haben genau das Gegenteil erreicht von dem, was sie wollten.“

… ließ Justizminister Heiko Maas auf Maaßen gemünzt im Nachhinein verlauten. Was er allerdings nicht aussprach: Was war es denn, was der Geheimdienstchef mit seinen Strafanzeigen erreichen wollte? Sollte jemand mundtot gemacht werden, und wenn ja, wer?

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Demo gegen die Landesverratsermittlungen,
CC BY 2.0 via flickr/mw238

Wenn man das „Gegenteil“ dessen sucht, kann man zunächst die Folgen der Landesverratsaffäre betrachten: Das Bewusstsein für die Bedeutung einer kritischen Presse ist insgesamt gestärkt, und der Reflex, sie zu verteidigen, fiel unerwartet breit und solidarisch aus. Zudem fand eine nachgelagerte Diskussion über die technischen Überwachungswünsche des Inlandsgeheimdienstes statt, die angesichts der übergroßen Koalition der Geheimdienstversteher zwar ohne unmittelbare politische Folgen blieb, aber den Menschen den Rücken stärkt, die aufgrund von Gewissensbissen brisante Papiere an Journalisten und die Öffentlichkeit geben. Das Ansehen der Inlandsgeheimen und ihres Präsidenten hat unterdessen weiter gelitten: Die PR-Initiative der Geheimdienste, die noch vor wenigen Monaten mehr Transparenz versprach, ist nun nicht mehr die einzige Lachnummer.

Wenn man dem Justizminister argumentativ folgt und Maaßen genau das Gegenteil zu erreichen trachtete, dann wollte er eine Diskussion um den Ausbau der technisierten Überwachung vermeiden, die veröffentlichten Papiere über die geplanten Schnüffeleien aus dem Netz tilgen und die undichten Stellen abgedichtet sehen. Soweit wäre das nicht überraschend, wenn man sich in die Denkweise eines Geheimdienstchefs hineinversetzt.

Wenn Maaßen aber mit den Strafanzeigen zugleich auch die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt gegen kritische Journalisten in Stellung bringen wollte, um die lästige Presse dadurch zu schwächen, hat er sich weit entfernt vom Schutz der Verfassung. Denn sowohl Rechtsstaatlichkeit als auch Pressefreiheit sind darin bekanntlich festgeschrieben. Der Warnschuss gegen Journalisten und ihre Informanten ging nach hinten los, der Pis­to­le­ro aber blieb unbehelligt.

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Bundesjustizminister Heiko Maas,
CC BY-ND 2.0 via flickr/SPD Saar

Immerhin rang sich nun Minister Maas dazu durch, eine Änderung der Gesetzesnorm zu erwägen. Er könne sich vorstellen, ähnlich wie beim Geheimnisverrat auch die Beihilfe zum Landesverrat straffrei zu stellen und damit Journalisten in Zukunft solche Ermittlungen zu ersparen. An seine Äußerungen zur geplanten Gesetzesänderung sollte man ihn erinnern, bevor erneut gegen Berichterstatter vorgegangen wird. Schließlich zeigte sich die Redaktion von netzpolitik.org unbeirrt und publizierte schon die nächsten Dokumente zu neuen technischen Überwachungsphantasien – diesmal vom Bundesnachrichtendienst.

Aber demjenigen, der mit der Presse zusammenarbeiten will, um die Öffentlichkeit zu informieren, hilft das Ansinnen des Justizminister noch nicht. Da wir aber ohne solch mutige Menschen über Geheimdienste wenig zu diskutieren hätten, ist Minister Maas als Reaktion auf die Landesverratsaffäre noch deutlich zu kurz gesprungen. Immerhin hat er seinem Amtskollegen Thomas de Maizière aber voraus, dass er überhaupt Stellung bezieht. Denn ob und wann die Strafanzeigen von Verfassungsschutzchef Maaßen in de Maizières Haus diskutiert wurden oder gar erwünscht waren, blieb bisher ungeklärt. Wer die peinliche politische und juristische Fehleinschätzung also wirklich zu verantworten hat, ist noch offen.

Die Inhalte der fraglichen auf netzpolitik.org veröffentlichten Dokumente sind politisch ohnehin vom Innenministerium zu verantworten. Und sie sind der eigentliche Skandal: Als wäre nichts gewesen, als gäbe es gar keine Diskussion um das massenhafte Abgreifen digitaler Daten durch Geheimdienste sollen die Inlandsspione nun technisch weiter aufgerüstet werden.

6 Ergänzungen

  1. Constanze schreibt von Pressefreiheit, weil sie netzpolitik.org offenbar als Organ der freien Presse sieht. Ich sehe das übrigens tausendprozentig genauso. Allerdings ist juristisch nie geklärt worden, inwieweit Internet-Seiten als Presse zählen. Bis jetzt: Ein Gericht in Berlin hat entschieden, daß z.B. Blogger eben nicht als Presse zählen. Entscheidend sei, ob der Text auch in Papierform erhältlich ist.

    http://www.danisch.de/dok/2015.09.30_A_VGBerlin_Urteil_27_K_317_13.pdf

    1. Akkreditierte Journalisten mit Presseausweis der netzpolitik.org-Redaktion können über solche Einwände nur milde schmunzeln.

      1. Dann wäre es ja keine freie Presse mehr, wenn irgendwer drittes über die Akkreditierung und den Presseausweis entscheiden könnte.
        Das Märchen mit der Papierform ist auch nicht auf meinem Mist gewachsen, sowas können sich nur Juristen ausdenken.

    2. Der wichtige Unterschied ist leider die „Geschäftsmäßigkeit“ von Publizisten. Wir setzen uns dafür ein, dass das geändert werden muss. Statt Pressefreiheit an einen Beruf zu binden, sollte der Leitsatz gelten: „Wer sich an Regeln (z.B. Pressekodex) hält, sollte auch den Schutz der Pressefreiheit genießen, unabhängig von Beruf oder nicht“.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.