Buchvorstellung: Die politische Partizipation und „Die Konsultative“

Gestern fand in der Heinrich-Böll-Stiftung eine Buchvorstellung mit Diskussion zum Thema Zukunft der Partizipation statt. Anlass war die Veröffentlichung eines kleinen Bandes beim Wagenbach-Verlag mit dem Titel „Die Konsultative. Mehr Demokratie durch Bürgerbeteiligung“ von Patrizia Nanz und Claus Leggewie. Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte es morgens zusammen mit den Autoren im Haus der Bundespressekonferenz vorgestellt.

Aber was ist diese „Konsultative“?

Der Kern der Idee konsultativer Partizipation fußt darauf, Gremien zu bilden, die sich in Kooperation mit bestehenden demokratischen Institutionen Gedanken über Zukunftsfragen machen und Lösungswege erarbeiten. Die Beteiligung soll möglichst von Anfang an, nicht erst am Ende einer politischen Entscheidung beginnen. Die Gewaltenteilung wird dabei nicht aufgehoben, sondern Legislative, Exekutive und Judikative vielmehr durch die Konsultative ergänzt werden.

Dazu schlagen die Autoren vor, „Zukunftsräte“ zu bilden, dessen Mitglieder in einem Tombola-Verfahren ausgelost werden. Um die zwanzig Personen, die auf diese Weise zufällig ausgewählt wurden, sollen so die Wahlbevölkerung repräsentieren. Der Zukunftsrat soll sich zwei Jahre lang treffen und Lösungen erarbeiten, die danach verbindlich umzusetzen sind. Niemand der zufällig Ausgewählten wäre natürlich zur Mitwirkung gezwungen, weswegen man mit Sicherheit mehr Anfragen verschicken als Zusagen bekommen wird.

Natürlich entsteht dadurch das altbekannte Problem, dass man wieder nur diejenigen zum Mitmachen bewegt, die Leggewie eine „demokratische Elite“ nennt, vergleichbar mit den Menschen, die sich in ihrer Freizeit engagieren oder in Ehrenämtern arbeiten. Dem soll zumindest teilweise dadurch entgegengewirkt werden, dass man einige Mitglieder gezielt besetzt, um die Repräsentativität zu erhöhen.

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Patrizia Nanz. Foto: CC BY-SA 2.0, via flickr/Heinrich-Böll-Stiftung

Es gibt bereits verschiedene Projekte regionaler Art, die nach ähnlichen Prinzipien arbeiten. Patrizia Nanz betonte aber, dass sich solche konsultativen Gremien auch den großen Zukunftsfragen widmen können und sollen, so dass sie auch politische Langfristziele mitbestimmen. Die Wahl der Themen für die Zukunftsräte dürften über den Erfolg mitbestimmen, wenn etwa in einer Großstadt ein konsultativer Versuch gestartet wird.

Nicht zu Unrecht sind viele Menschen, die verschiedene Testprojekte in den letzten Jahren ausprobiert haben, zu der Ansicht gekommen sind, dass Partizipationsverfahren zu einer Art „Particitainment“ (Klaus Selle) verkommen sind. Man könne ganz viel mitreden, aber tatsächliche Entscheidungen werden woanders getroffen. (Ich könnte davon ein ganzes Lied singen, das im Jahr 2010 beginnt.) Leggewie betonte, das sei aber kein Grund, Partizipation als Idee verloren zu geben.

Die Etablierung einer „vierten Gewalt“

Das Buch soll keine Blaupause oder Roadmap für den Königsweg demokratischer Partizipation sein, auch kein Theorie-Schinken. Nanz und Leggewie haben eher eine Handreichung geschrieben, die auf wenigen Seiten ziemlich anregenden Denkstoff liefert. Man kommt als Leser nicht umhin, über Wege zu einer „alternativen demokratischen Republik“ (Leggewie) nachzudenken.

Wir fordern in diesem Buch die Etablierung einer „vierten Gewalt“: die Konsultative. Dazu soll eine breite und tiefgehende Konsultation der Bürgerschaft dem Gesetzgebungs- und Entscheidungsverfahren vorangestellt und nachgeordnet werden. Wir sind überzeugt, dass eine solche Einbettung positiv auf den oft überfordert wirkenden Politikbetrieb zurückwirkt. (S. 9)

Das diskussionsfreudige Publikum stellte auch Fragen nach der rechtlichen Ausformung, etwa wie der verbindliche Charakter solcher Zukunftsräte innerhalb der demokratischen Entscheidungsebenen festgeschrieben werden soll. Die beiden Autoren verwiesen auf verschiedene Modellprojekte im In- und Ausland, wo solche rechtlichen Fragen der Kooperation bereits praktisch angegangen worden sind. Es geht Nanz und Leggewie aber um das Ausprobieren neuer Verfahren, weniger um formale juristische Fragen.

Dass ein Beteiligungsmanko besteht, darin war sich das Podium mit dem Publikum erkennbar einig. Dass im politischen Diskurs immer weniger inhaltliche Argumente ausgetauscht werden, stattdessen mit Sachzwängen, vermeintlicher Alternativlosigkeit, Parteitaktik oder schlicht mit Hohlphrasen „argumentiert“ wird, ist Politikbeobachtern kein neues Phänomen. Die Hoffnung ist natürlich, dass diese und andere Defizite der repräsentativen Demokratie mit konsultativen Beteiligungsverfahren angegangen werden können.

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Claus Leggewie. Foto: CC BY-SA 2.0, via flickr/Heinrich-Böll-Stiftung

Norbert Lammert mochte sich am Morgen mit dieser Idee übrigens nicht recht anfreunden und rabulierte sich folgende Argumentation zurecht: Die Konsultative sei entweder eine Konkurrenz zum Parlament und damit abzulehnen oder aber keine Konkurrenz zum Parlament und damit überflüssig. Dass er das Buch gelesen hat, ist zu bezweifeln, denn es wird gerade die Kooperation mit den bestehenden demokratischen Institutionen darin vielfach betont und an Beispielen erklärt.

Die beiden Autoren wissen natürlich, dass ihr Vorschlag „naiv im Kantschen Sinne“ ist, also idealistisch, und sagen das auch ganz offen. Aber das ist ja kein Grund, es nicht mal auszuprobieren.

Wie kommt aber nun die Digitalisierung ins Spiel? Leggewie erwähnte am Rande, dass seit dem Niedergang der Piraten zu wenig über politische Partizipation diskutiert wird. Diesen Gedanken dürften viele politische Beobachter wohl teilen. Er räumte auf Nachfrage allerdings ein, dass die Verbindung neuer partizipativer Ideen mit digitalen Werkzeugen noch eine „Blindstrecke“ im neuen Buch sei. Er kündigte aber an, die Fragen der Digitalisierung in einem zweiten Band aufnehmen zu wollen. Derzeit steht noch das Diskutieren von Angesicht zu Angesicht im Mittelpunkt und eine gewisse Entschleunigung. Man könnte aber zumindest im Nachgang mit digitalen Mitteln dokumentieren und den Online-Zugriff anbieten.

Hätte jemand Lust, den zweiten Band hier in den Kommentaren schon mal vorzubereiten? :}

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7 Ergänzungen

  1. und wir dachten immer der markt sei das „paticitainment“ – die kaufentscheidungen für pseudo-oder konsumprodukte steuerten staat, wirtschaft und produktion eh schon milliardenfach kleinteilig, aber nachhaltig, und die bevölkerung würde dergestalt täglich bereits milliardenfach beteiligt und aktiv befragt. und wachstum wäre dann vor allem der stärkste befragungsrat-vergrößerungsvorgang.

  2. Eine gut ausgestaltete „Konsultative“, die aus zufällig gezogenen Bürgern besteht, könnte helfen, dass neben dem Sachverstand der Politiker und ihrer Mitarbeiter, aber leider auch deren Betriebsblindheit, innovative Vorschläge zur Gestaltung der Politik bestehen können. Außerdem könnte sie sich zu einem bedeutenden Korrektiv, gewissermaßen zu einem wichtigen Korrektiv entwickeln und die Medien in dieser Rolle unterstützen.

    Die Mitglieder der „Konsultative“ (MdK) könnten beispielsweise das Recht haben, den MdB’s Löcher in den Bauch zu fragen und so eine Art Diskussionsmedium zu werden. Sehr interessant in diesem Zusammenhang finde ich auch die Forschungen in Richtung „Collaborative Polling“. Sie bieten m.E. einen guten Kompromiss zwischen Bürgerbeteiligung und repräsentativer Demokratie, aber natürlich nur als Ergänzung und nicht als Konkurrenz zum übrigen System.
    http://www.theeuropean.de/james-fishkin/11875-deliberative-demokratie

    Hier könnte man auch mit den digitalen Ansätzen loslegen! Über ein Online-Portal könnten Bürger die Möglichkeit haben, der „Konsultative“ eine politische Maßnahme zur Diskussion vorzuschlagen oder direkt wichtige Argumente zu liefern. Der Gestaltung sind hier kaum Grenzen gesetzt – außer der Kreativität der Schöpfer des Portals.

    Dadurch, dass die Mitglieder der „Konsultative“ einen gewissen Draht zur Politik haben, können sie auch typische Unstimmigkeiten im Handeln oder Reden der Regierung, der Abgeordneten aufdecken und diese medienwirksam zur Rede stellen. Vielleicht lässt sich so das Ausschweigen über wichtige Missstände verhindern und etwas „mehr Demokratie wagen“, ohne den Normalbürger zu überlasten?

  3. Das hier – wie in anderen Rezenzionen – angerissene Beteiligungs- bzw. Beratungsmodell – mein Buch ist vmtl. noch in der Post und insofern von mir noch ungelesen – ist für mich vom Ansatz hochinteressant, aber auch hochexplosiv
    Selbst aus basis-demokratischen Bewegungen der Siebziger/Achtziger kommend erinnert mich vieles aber auch an die rätedemokratischen Bewegungen der europäischen Geschichte und nicht zuletzt auch an „Kommunalwahlen“ besser „Auslosungssysteme z.B. des alten Griechenlands.
    Das nicht nur die etablierte Politik mit solchen „Kontroll- “ bzw. Vorschlagsgremien ihre massiven Probleme haben dürfte, versteht sich allerdings von selbst.
    Denn wie diverse Kontrollorgane dieser Republik (z.B. der Bundesrechnungshof) weitgehend eh entmachtet oder eben von Lobbies unterwandert wurden, wäre ein eine solche Konsultative wohl schwerlich für diverse Lobbies direkt erreichbar und somit beeinflussbar.
    Ein No Go in neokapitalistischen Zeiten ;)
    Umsetzungsprobleme im digitalen Sektor sehe ich allerdings, ähnlich wie mein Vorposter, als weniger gravierend an. Portale/Boards mit gstaffelten Zugangsberechtigungen inklusive auch öffentlich einsehbaren Bereichen waren schon bisher für so manche Initiativen ein probates Mittel.
    Eher würde ich schon eine Integration in sogenannte andere „social networks“ als desaströs ansehen.

  4. Fuer die weiter interessierten Leser sowie fuer die Redaktion zur kuenftigen Recherche wuerde ich gern die folgenden Informationen bereitstellen:

    1. Im deutschsprachigen Raum gibt es meines Erachtens nach derzeit 3 primaer relevante Buecher zum Thema:

    a, Hubertus Buchstein – Demokratie und Lotterie. Das Los politisches Entscheidungsinstrument von der Antike bis zur EU. (historische Aufarbeitung des Themas sowie Vorschlaege fuer ein ausgelostes Europa-Parlament)

    b, Timo Rieg – Demokratie fuer Deutschland (Idee eines woechentlich ausgelosten Parlamentes samt Pro/Contra des Losverfahrens und des Parlamentarismus, unterhaltsam geschrieben)

    c, Klaus Leggewie – Die Konsultative (hier benannt)

    Alle 3 Buecher beschreiben verschiedene Ansaetze, es waere daher zu diskutieren, welcher der potentiel fruchtbarste ist.

    Eine Liste weiterer Veroeffentlichungen zum Thema finden sich hier:

    https://citizensjury.word

    Desweiteren findet sich auch im englischsprachigen Raum eine lebhafte Diskussion zum Thema, welche man hier verfolgen kann:

    equalitybylot.wordpress.com

    Ich wuensche mir sehr, dass das Thema kuenftig eine hohe Beachtung findet, da sich hier meiner Ansicht nach die Chance bietet, die Demokratie fundamental weiter zu entwickeln.

    Freundliche Gruesse

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.