The Good, the Bad and the Ugly: Kompromisse beim Reda-Report zum EU-Urheberrecht, aber die Richtung stimmt

EP-LogoAls die deutsche Piratenabgeordnete im EU-Parlament Julia Reda Anfang des Jahres ihren Entwurf für die offizielle Evaluation des EU-Parlaments der EU-Urheberrechtsrichtlinie (InfoSoc-Richtlinie) vorgelegt hatte war klar, dass dieser bis zur Beschlussfassung im Plenum (terminisiert für Anfang Juli 2015) noch in vielen Punkten abgeändert werden würde. Die über 500 in der Folge eingebrachten Änderungsanträge nährten dann auch Zweifel daran, dass überhaupt etwas von Redas Reformideen überleben würde.

Die heutige Behandlung der Änderungsanträge im zuständigen (Rechts-)Ausschuss führten so auch zu einer Reihe von Kompromissen und einigen klaren Verschlechterungen im Vergleich zur Entwurfsfassung. Aber selbst in der jetzt vorliegenden Kompromissversion, die aller Voraussicht nach auch im Juli im Plenum eine Mehrheit finden wird, gehen Tenor und Vorschläge des Berichts ganz klar in die richtige Richtung: das EU-Urheberrecht ist nicht mehr zeitgemäß, es muss reformiert und dabei (insbesondere im Bereich der Ausnahme- und Schrankenregelungen) stärker harmonisiert werden.

Im einzelnen finden sich an vielen Stellen Abschwächungen und schwammigere Formulierungen, der Geist der Vorlage blieb aber in den meisten Fällen erhalten. Im folgenden deshalb keine erschöpfende Analyse der Änderungen sondern vor allem jene Punkte, wo es Verbesserungen („The Good“) bzw. starke Abschwächungen von Redas Entwurf („The Bad“) oder sogar Verschlechterungen zum derzeitigen Urheberrecht („The Ugly“) geben würde.

The Good

  • Klares Bekenntnis zum Reformbedarf: Wie die EU-Konsultation zum Urheberrecht gezeigt hat, lassen sich die Stakeholder in der europäischen Urheberrechtsdebatte grob in zwei Lager teilen. Während die einen, vor allem Rechteinhaber und Verwertungsgeseellschaften, mit dem Status quo zufrieden sind und Änderungen ablehnen, sehen Endnutzer und institutionelle Nutzer wie Universitäten, Bibliotheken und Archive dringenden Reformenbedarf. Der Reda-Report schlägt sich in dieser ganz entscheidenden Grundsatzfrage weiterhin, wenn auch weniger klar, auf die Seite der Reformbefürworter:

    notes that cross-border access to the diversity of uses that technological progress offers to consumers may require evidence- based improvements to the current legal framework to further develop the legal offer of diversified cultural and creative content on-line, to allow access to European cultural diversity

  • Problematisierung von Machtungleichgewichten auf Urheberrechtsmärkten: An diesem Punkt wurde Redas ursprüngliche Formulierung sogar noch etwas geschärft und die Forderung nach einem Urhebervertragsrecht, das die Verhandlungsposition von Kunstschaffenden gegenüber Verwertern verbessern soll, gestärkt. So heißt es in der Kompromissversion (kursive Teil wurde ergänzt):

    calls for improvements to the contractual position of authors and performers in relation to other rightholders and intermediaries, notably by considering a reasonable period for the use of rights transferred by authors to third parties, after which those rights would lapse, as contractual exchanges may be marked by an imbalance of power

  • Deutliche Ablehnung von Geoblocking: In der Ablehnung von Geoblocking sind sich EU-Parlament und zuständiger Kommissionsvizepräsident Ansip offensichtlich einig. So haben es in diesem Punkt besonders deutliche Formulierungen in den Bericht geschafft wie die folgende:

    Recalls that consumers are too often denied access to certain content services on geographical grounds, which runs counter to the objective of Directive 2001/29/EC of implementing the four freedoms of the internal market; urges the Commission, therefore, to propose adequate solutions for better cross-border accessibility of services and copyright content for consumers

  • Anerkennung der Bedeutung von gemeinfreien Werken („Public Domain“): Der Bericht spricht sich nicht nur dafür aus, dass eine bloße Digitalisierung von gemeinfreien Werken keine neuen Urheberrechte begründen kann, sondern fordert die Kommission auf zu prüfen, inwieweit Werke auch vor Ablauf der Schutzfreisten von den Rechteinhabern in die Public Domain übergeben werden können.
  • Ausdehnung der Bildungsschranke: wenn es nach dem Willen des EU-Parlaments geht, knüpfen Ausnahmen zu Gunsten des Bildungsbereichs nicht mehr nur an Institutionen wie Schulen und Universitäten an, sondern ganz allgemein an Bildungspraktiken:

    Calls for an exception for research and education purposes, which should cover not only educational establishments, but accredited educational or research activities, including online and cross-border activities, linked to an educational establishment or institution recognised by the competent authorities or legislation or within the purview of an educational programme

  • Stärkung der urheberrechtlichen Stellung von Bibliotheken: auch die Kompromissfassung des Berichts fordert mehr Rechte für Bibliotheken und in einem neuen Zusatz wird sogar die Kommission aufgefordert die Einführung einer eigenen Bibliotheksschranke zu prüfen:

    Calls upon the Commission to assess the adoption of an exception allowing libraries to digitalise content for the purposes of consultation, cataloguing and archiving

  • Anerkennung der Bedeutung von transformativen Nutzungsformen: Der Bericht spricht sich tendenziell dafür aus, neue digitale Nutzungsweisen – unter expliziter Nennung von „transformative uses“ – gegen Vergütung zu ermöglichen.

Hinzu kommen begrüßenswerte Formulierungen, die sich für eine Stärkung der Privatkopieschranke angesichts von Kopierschutztechnologien aussprechen.

The Bad

Vor allem besonders weitreichende und innovative Ansätze haben es nicht in die Kompromissfassung des Berichts geschafft.

  • Keine offene Schranke: Der Vorschlag, in einen harmonisierten Schrankenkatalog eine offene Schranke nach Vorbild des US-Fair-Use einzubauen, ist den Kompromissen zum Opfer gefallen.
  • Keine Ausdehnung des Zitatrechts: Auch der zweite Vorschlag, um mehr Remixkultur zu ermöglichen – nämlich durch eine Flexibilisierung des Zitatrechts – wurde bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Allerdings ist unter dem Titel des Zitatrechts bereits jetzt auf nationaler Ebene einiges möglich, wie der jüngste Entwurf für eine Urheberrechtsnovelle in Österreich zeigt.
  • Windelweiches Wording zur Harmonisierung von Urheberrechtsschranken: Anstelle der klaren Forderung, Ausnahmen und urheberrechtliche Schranken analog zu Schutzrechten verpflichtend zu machen („make mandatory“) und europaweit zu vereinheitlichen, finden sich in der Kompromissversion nur sehr vorsichtige Aufforderungen an die Kommission, die Einführung von Mindeststandards zu prüfen. In beiden Fällen wird jetzt außerdem auf die Wichtigkeit von „kultureller Vielfalt“ hingewiesen – als ob ein uneinheitlicher und unübersichtlicher Schrankenkatalog einen Beitrag zu kultureller Vielfalt leisten würde. Wenn, dann ist das Gegenteil der Fall.
  • Fragwürdige Position zu Text- und Data-Mining: Eigentlich ist ungeklärt, ob Text- und Datamining überhaupt Urheberrechte tangieren bzw. ob sich Text- und Data-Mining urheberrechtlich wirksam untersagen lässt. Im Bericht findet sich jetzt die Forderung nach einer Text- und Data-Mining-Schranke für den Forschungsbereich. Das sehe ich doppelt kritisch: einerseits würde durch eine Einführung einer solchen Schranke Text- und Data-Mining zu einer urheberrechtlichen Angelegenheit und andererseits ist eine Schranke nur für Forschungszwecke dann viel zu eng gefasst.

Ebenfalls unerfreulich ist, dass es keine Klarstellung zur Freiheit von Verlinkungen im Bericht mehr gibt – allerdings ist diese ohnehin durch die aktuelle EuGH-Judikatur relativ gut geschützt. Im Bereich der Schutzfristen spricht sich der Kompromissbericht zumindest gegen eine (noch) weitere Ausdehnung aus. Von einer notwendigen Verkürzung von Schutzfristen ist jedoch keine Rede mehr.

The Ugly

Eine substantielle Verschlechterung im Vergleich mit der derzeitigen urheberrechtlichen Situation würde eigentlich nur ein Punkt in der heute beschlossenen Berichtsfassung bedeuten:

  • Panoramafreiheit: derzeit ist Panoramafreiheit – also das Recht Fotos von urheberrechtlich geschützten Werken im öffentlichen Raum wie Gebäuden und Kunstwerken zu erstellen und zu verbreiten – unterschiedlich geregelt. Während es in manchen Ländern wie Deutschland weitreichende Panoramafreiheit gibt, gibt es sie in anderen Ländern wie Belgien oder Niederlanden de facto gar nicht. In diesem Punkt wurde ein Amendement angenommen, das das Problem fehlender Panoramafreiheit verallgemeinern und verschärfen würde:

    the commercial use of photographs, video footage or other images of works which are permanently located in physical public places should always be subject to prior authorisation from the authors or any proxy acting for them

    Im Zeitalter von allgegenwärten Kamerhandys und Wikipedia eine wirklich groteske Position. Hier bleibt zu hoffen, dass an diesem Punkt noch eine Änderung im Rahmen der Plenumsabstimmung möglich ist.

Fazit

In einem Blogeintrag nach der Abstimmung über die Kompromissfassung spricht Julia Reda von einem „Wendepunkt in der Urheberrechtsdebatte“, weil mit ihrem Bericht eine Abkehr von Ausdehnung und Verschärfung von Urheberrechten hin zu Stärkung von Schranken und Nutzungsrechten verbunden sei. Besonders bemerkenswert ist die breite Mehrheit für diese Positionierung mit Stimmen von sämtlichen großen Fraktionen. Und wenn es Reda gelingt, jene Mehrheit, die heute ihrem Bericht zugestimmt hat, auch für die anstehenden legislativen Verfahren zusammenzuhalten, dann könnte der Reda-Report in der Tat ein solcher Wendepunkt sein. Noch ist es aber zu früh um das mit Sicherheit sagen zu können.

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5 Ergänzungen

  1. Die Position zu Text- und Data-Mining klingt wie eine Begründung für das Leistungsschutzrecht für Presseverleger.

    Na wenigstens muss ich mir dann von Politikern nichts mehr über diesen Big Data-Hype anhören, weil das ist ja dann wohl tot, wenn ich mir schon nur bei Entwicklung eines Geschäftsmodells die Nutzung jeder einfließenden Datenquelle einzeln autorisieren lassen muss.

  2. Ist es auch möglich die englischsprachigen Zitate, grundsätzlich auch auf Deutsch zu veröffentlichen zu übersetzen. Die Menschen deren Englisch nicht so gut, die würden sich denke ich, sehr darüber freuen. danke.

    1. Meistens bemühe ich mich, englische Zitate zu übersetzen; bei EU-Gesetzestexten bin ich da aber zurückhaltend, weil es da tw. auf jedes Wort ankommt und eine inoffizielle Übersetzung problematisch ist. Ich habe mich deshalb oben auch bemüht, immer im Text zu beschreiben, worum es im jeweiligen Zitat geht.

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