Sicherheitshysterie nach britischem Urteil gegen Vorratsdatenspeicherung: „Tausende Leben in Gefahr“

Hans

Her Majesty’s High Court of Justice.
Bild: Elliott Brown. Lizenz: Creative Commons BY 2.0.

Nachdem die letztes Jahr in Kraft getretene nationale gesetzliche Grundlage für die zwölfmonatige Vorratsdatenspeicherung (Data Retention and Investigatory Powers Act, DRIPA) in Großbritannien gerichtlich gekippt wurde, fallen einige britische Medienberichte als Reaktion auf das Urteil drastisch aus. Das Gericht hielt die DRIPA-Überwachungsmaßnahmen für „inconsistent with EU laws“ und insgesamt unrechtmäßig, auch weil der Zugang zu den verpflichtend gespeicherten Daten ohne Richtervorbehalt oder Vergleichbares möglich war, damit also der Zugriff kaum beschränkt war.

In einigen britischen Medien wird diese Entscheidung, die sowohl den Zugriff der Polizeien als auch der Geheimdienste betrifft, nun als eine Art Sicherheitsrisiko hingestellt. Die Notwendigkeit der technisierten Überwachung wird gar nicht mehr hinterfragt, die gerichtlichen Backpfeifen an die britische Regierung stattdessen in grotesker Weise kommentiert. So titelt beispielhaft der Telegraph in Anlehnung an eine Aussage der britischen Innenministerin Theresa May: Thousands of lives at risk after High Court rules snooping powers unlawful.

Manche britische Medien gehen den Sicherheitshysterikern derart auf den Leim, dass sie ohne einen Anflug von Hinterfragen offensichtlichen Unsinn wiedergeben. So wird mit Kindern und sonst Schutzbedürftigen argumentiert, die nun nicht mehr gerettet werden könnten:

But police chiefs and the Home Office warned that would mean officers would no longer be able to use the data to help trace vulnerable people such as those at suicide risk or missing children.

Das fällt mal wieder in die Kategorie „Lügen für die Vorratsdatenspeicherung“, denn das Urteil gegen die anlasslose verpflichtende Speicherung aller Kommunikationsmetadaten hat ja mitnichten zur Folge, dass man bei Ermittlungen nicht mehr auf Kommunikationsdaten zugreifen könnte.

John Hayes, der britische „Minister for Security“, hatte im Mirror die angeblichen Folgen des Urteils so beschrieben:

The effect of this judgment would be that, in certain cases, communications data that could potentially save lives would only be available to the police and other law enforcement if a communications company had decided to retain it for commercial reasons. We believe that is wrong.

Glauben ersetzt aber keine rechtmäßigen Gesetze. Hayes reagierte auf das Urteil zudem mit der Ankündigung, Berufung einlegen zu wollen:

We disagree absolutely with this judgment and will seek an appeal.

Premierminister David Cameron und die konservative Innenministerin Theresa May planen schon für den Herbst mit der „Snoopers’ Charter“ in Sachen technisierter Überwachung nochmal nachzulegen.

19 Ergänzungen

  1. Wer glaubt, im Königreich Mutti würde die allgemeine Reaktion anders ausfallen, der irrt gewaltig.

  2. Ist es denn so, dass im britischen Mainstream inzwischen alle unverbogenen Journalisten das Weite gesucht haben und lieber Taxi fahren? Das Medien im Kapitalismus grundsätzlich populistisch-korumpiert orientiert sind halte ich für nichts besonderes – andernfalls verkaufen sie ja nichts, oder/und verlieren ihre Kontakte zu den Sprechern/Tippgebern der Regierung/Behörden – aber gibts da wirklich nix anderes zu zitieren?

  3. haben nichts mehr … keine Industrie, keine Warenproduktion, keine Hightech … nichts mehr, außer den Wetten auf Geld, der Königin, Inzucht und ihren Schafen … das kommt dabei raus.

  4. Ist das noch Hysterie oder schon schlichtweg Täuschung? Jetzt muss auf der Insel ganz schnell Auflärung stattfinden. Nachher glaubt noch einer, was da verzapft wird.

  5. 1. Wo waren die britischen „Sicherheits“-Behörden, als ein Kinderschänder-Ring in höchsten Kreisen jahrelang unbehelligt Kinder missbrauchen konnte? Werden Kinder durch die britischen „Sicherheits“-Behörden nicht nur auf widerlicheweise für Überwachungsextremismus missbraucht?

    2. Setzt die britische Regierung mit genauso viel Verve alles daran, die tausenden vermeidbaren Toten durch das marode britische Gesundheitssystem zu verhindern? NH kaputt sparen, tausende Opfer in Kauf nehmen und dann von einer grundrechtskonformen Überwachungsmaßnahme als Sicherheitsrisiko halluzinieren?

    3. Gibt es in UK außer The Gurdian und The Register noch irgendwelche seriösen und unabhängigen Publikationen? Ist der mieser Rest der britischen Presse nicht durchgängig obrigkeitshörig, regierungstreu und propaganda-durchsetzt?

    4. Ist UK noch eine ernst zu nehmende Demokratie mit Rechtsstaat und Bürgerrechten? Hat UK überhaupt eine Verfassung?

    1. Noch was:

      Wenn die UK-Regierung britische Leben retten will, warum mussten dann so viele britische Soldaten in sinnlosen Kriegen sterben?

      @ David Cameron & GCHQ & MI6:
      Do you really care about saving British lives? Or do you just give a damn shit about saving lives while you’re only interested in expanding your power? Saving British lives as a cheap pretext for power expansion, that’s your daily business.

      1. Das wissen die doch.
        Äh … hoffe ich. Der Cameron sicher nicht, aber vielleicht macht der nur auf dumm-naiv.
        Mit Herrschern, die ihre eigene Propaganda glauben, wäre die Situation möglicherweise noch mehr im Arsch als mit rationalen Gegnern.

  6. Das Königshaus hat ja schon den Hitlergruß geübt. Wir haben es hinter uns, die noch vor sich. Dann sind wir die Befreier. ;-)

    Solange England gegen Deutschland im Fußball immer verliert, ist für mich auch die Welt in ordnung. Und wer die gleiche Regierung wieder gewählt hat, der hat auch nichts anderes verdient. Die sollen Schafe zählen und aus der EU austreten.

  7. Vor ein paar Jahren gab es die Vorratsdatenspeicherung noch nirgends.
    Kamen deswegen „tausende Menschen ums Leben“?
    Nein?
    Komisch.
    Wie haben wir das nur überleben können, als wir noch keine Mobiltelefone hatten? Das muss ja das reinste Chaos gewesen sein, Anarchie, Bürgerkrieg! Wie? Nicht. Hmmmm.

  8. Die, die hier „tausende Leben“ nicht nur in Gefahr bringen, sondern auch direkt oder indirekt auf dem Gewissen haben, sind ja wohl die Lügenkrieger, die mit ihren nur aus dem Blickpunkt der Waffenindustrie und des Machterhalts durch künstliche Schaffung von Feinden (siehe Orwell 1984) sinnvollen Militäreinsätzen Öl in alle verfügbaren Feuer gießen, eigene Soldaten (auf Sparflamme) verheizen, und Zivilisten im nahen Osten in einer Weise dem Chaos ausgesetzt haben, die schon auch mit den wenig umsichtigen Feldzügen und mit merkwürdigen strategischen Geheimdienstspielchen zu tun hat???

    TL;DR: Wer hat tatsächlich tausende auf dem Gewissen? Die machtsüchtigen und absolut undemokratischen Lügenkrieger, die sich hier als die „Guten“ hinstellen, die uns „schützen“.

  9. Wen man bedenkt, wie leichtfertig die Politiker aus dem „konservativen“ Lager es abgetan haben, wenn man auf die erhöhte Selbstmordrate und die Lebesgefahr durch das zusammensbrechende Gesundheitssystem in Griechenland hinwies, ist es wirklich schäbig, wenn sie jetzt so tun, als ob ihnen das Schicksal der Suizidgefährdeten wichtig wäre.
    Zumal man wegen der Vorratsdatenspeicherung sich vielleicht nicht traut eine Beratungsstelle anzurufen. Oder man hat Angst davor, dass es mal berufliche Nachteile hat wenn in Gesundheitsdaten eine psychologische Behandlung vorkommt,
    Wenn man wirklich etwas gegen Suizide tun will – und das sollte man, den es gibt viele Fälle – sollte man damit anfangen wieder mehr soziale Absicherung aufzubauen, damit Menschen weniger existenzielle Ängste haben.
    Aber genau das Gegenteil machen diese Politiker.

    1. Nein nein, das Mittel gegen potentielle Suizidgefährdung ist natürlich eine Kamera in jeder Ecke jedes Zimmers jedes Haushalts. Was spricht dagegen?

      1. Nix! Prima Idee. IT-Anschub-Subventionierung. Grobe Milchbüachl-Rechnung: 82Mio Köppe macht grob 40Mio Haushalte in auch grob 85Mio Zimmer mal 4 Ecken gibt 340Mio Kameras.
        Nach Auskunft zweitschlägiger Experten wird der Exitus gerne auch im Badezimmer genommen, weniger auf Toilette. Also nochmal 32Mio mal 2 mal 4 Ecken, gibt 256 Kameras.

        Fortgeschrittene gehen aber gerne auch auf den Dachboden, weniger in den Keller. Diesen zusätzlichen Bedarf könnte man per freiwilliger Selbstauskunft abdecken.

        Finanziert wird das Ganze natürlich durch die Bewohner, weil die da auf eigene Gefahr wohnen. Präkäre Haushalte könnten einen Kamera-Rabatt bekommen, weil eigentlich 2 Kameras pro Raum ausreichen, aber das sollte nicht an die grosse Glocke gehängt werden, sonst meinen die Neureichen, dass sie auch nur zwei Kameras benötigen wollen.

        Für diese Anzahl von Kameras benötigt man natürlich genügend Personal, das 24*365 Stunden konzentrierte Überwachungsarbeit leisten muss. Indische oder chinesische Servicecenter könnten dafür in Frage kommen. Selbstverständlich muss bis dahin für die Überwachungsleitungen die Netzneutralität so verwirklicht werden, dass Leib und Leben Vorrang hat.

        Das alles ist wichtig, um genaueste Statistiken zu bekommen, gerettet werden soll natürlich niemand. Wäre auch zu teuer. Im übrigen haben die Kameras schon so eine abschreckende Wirkung, so dass die Idee eines Suizids gar nicht mehr erwogen wird, besonders Frauen machen sich einen Kopf, wie oder ob das denn gut aussehen könnte.

        Linke Subversive versuchen mit der Ansiedlung von Spinnen in den Zimmerecken der Beobachtung zu entgehen. Denen muss man dann halt das Objektiv zwangsreinigen. Soviel Zuwendung muss dann schon sein!

      2. die Kamera im Schlafzimmer speichert ja nur, was im Bett passiert, ausgewertet wird erst nach Richtervorbehalt …

        Was wir zusätzlich unbedingt brauchen ist eine Gendatenbank aller Bürger, damit der Selbstmörder schneller indentifiziert werden kann … das spart Kosten.

      3. Personal? Hier eine bessere Idee. Um die Deutsche Innovation zu fördern und in Sachen Smart Bedroom wieder auf Weltspitzenniveau mitspielen zu können, wird das BMBF 200 Millionen an Fördergelder für die Entwicklung von Depressionserkennungsagorithmen zur Verfügung stellen. Das ist alternativlos angesichts einer aus unerklärlichen Gründen wachsenden Suizidrate seit Einführung der Präventionskameras.

        Der Branchenverband BITKOM spricht von einer richtigen Entscheidung und rechnet mit einem Boom für die kleinen und mittelständischen Videoauswertungsunternehmen und warnt vor übertriebenen Forderungen nach Privatsphäre. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist natürlich verantwortlich für die Sicherheit der Kameras, d.h. den Schutz vor mutwilligen Beschädigungen durch Hausvandalen. Hier wird signalisiert: Sicherheit geht vor.

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