Noch mehr heimliche Beobachtung mithilfe des Schengener Informationssystems

Via SIS II verfolgte Personen erfahren von der Maßnahme nichts. Auskunftsrechte sind beschnitten, eine Mitteilung kann unterbleiben wenn die ausschreibende Behörde dies verlangt.
Via SIS II verfolgte Personen erfahren von der Maßnahme nichts. Auskunftsrechte sind beschnitten, eine Mitteilung kann unterbleiben wenn die ausschreibende Behörde dies verlangt.

Die EU-weiten Ausschreibungen zur verdeckten Beobachtung oder Kontrolle von Personen haben sich seit 2013 nahezu verdoppelt. Dies teilte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesinnenministerium Günter Krings in der gestrigen Fragestunde des Bundestages mit. Im Mai 2013 waren demnach 31.907 Personen zur heimlichen Verfolgung ausgeschrieben, zum Stichtag 30. November 2015 waren bereits 59.553 Personen betroffen. Bei den meisten soll es sich laut Krings um mutmaßliche „ausländische Kämpfer“ handeln.

Das Schengener Informationssystem (SIS) sieht in Artikel 36 des SIS-II-Ratsbeschlusses die Möglichkeit vor, Personen oder auch Fahrzeuge mit einer verdeckten Kontrolle zu verfolgen. Befugt sind hierzu Polizeibehörden und Geheimdienste jener Länder die dem Schengener Abkommen beigetreten sind. Wird eine Person bei einer polizeilichen Kontrolle angetroffen, erhält die ausschreibende Stelle eine Mitteilung.

Auf diese Weise können Reisewege und Grenzübertritte der Betroffenen nachvollzogen werden. Die Ausgeschriebenen sollen davon möglichst nichts bemerken. Ziel ist auch die Sondierung von Netzwerken in denen sich die Ausgeforschten bewegen. Bei den Kontrollen werden auch Mitreisende erfasst.

PolizeibeamtInnen haben sich gegenüber ausgeschriebenen Personen „verplappert“

Nach den Anschlägen in Paris im Januar wurde das SIS um die Funktionalität „Sofortmaßnahme“ („immediate action“) erweitert. Die zuständigen Behörden der ausschreibenden EU-Mitgliedstaaten erhalten die Treffermeldungen nach Benennung einer Kontaktstelle auf Wunsch unverzüglich. Laut dem jüngsten Bericht des EU-Koordinators für die Terrorismusbekämpfung machen die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Allerdings würden die „Sofortmaßnahmen“ jeweils sehr unterschiedlich gehandhabt.

Den enormen Anstieg seit 2013 begründet das Bundesinnenministerium mit dem Phänomen „ausländische Kämpfer“. Laut Krings sei dies aus den Zahlen der Ausschreibungen anderer europäischer Regierungen zu entnehmen. Auch stiegen die heimlichen Ausschreibungen demnach „rasant“. Allerdings kann dies nicht die bereits 2013 erfolgte Zunahme erklären.

Laut Krings hätten die Behörden „in einer ganzen Reihe anderer Staaten, aber auch in Deutschland“ die Ausschreibungen früher vielleicht „weniger ernst genommen als heute“. Man benötige auch Vertrauen in dieses System. In der Vergangenheit habe es mitunter Pannen gegeben, etwa wenn sich „irgendein Polizeibeamter eines anderen Staates“ gegenüber den ausgeschriebenen Personen „verplappert“, die heimliche Fahndung mithin offengelegt.

Kommission rügt Unannehmlichkeiten für Betroffene

Deutschland gehört zu jenen Staaten die den Artikel 32 und die Möglichkeit der „Sofortmaßnahme“ rege nutzen. Derzeit haben deutsche Sicherheitsbehörden 3.142 heimliche Fahndungen ausgeschrieben, davon 254 Personen mit dem Zusatz „Sofortmaßnahme“. Laut Krings hätten „wir als Deutsche“ die anderen Regierungen „sehr stark ermutigt, dieses System stärker zu nutzen“.

Unter anderem fordere der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) „auf vielen Ratssitzungen“ die Ausweitung der Maßnahme. Zuletzt sprach de Maizière das Thema auf dem inoffiziellen G6-Treffen der sechs einwohnerstärksten EU-Mitglieder an. Zu der halbjährlichen Konferenz war auch das US-Heimatschutzministerium eingeladen.

In einem Bericht hatte die Europäische Kommission vergangenes Jahr erklärt, dass Ausschreibungen einiger Mitgliedstaaten ungültig seien. So würden Ausschreibungen nicht fristgerecht gelöscht, auch könnten „nicht mehr relevante Ausschreibungen“ den Betroffenen „Unannehmlichkeiten bereiten und Schäden zufügen“. In vielen Ländern fehlten laut der Kommission Verfahren und Kontrollen durch die zuständigen nationalen Behörden und klaren Rechtsvorschriften.

Mit den Behörden sollten die Ursachen geklärt und gegebenenfalls Untersuchungen eingeleitet werden. Krings wusste hierzu nichts zu berichten, auch ob Deutschland von der Kommission gerügt wurde konnte der Staatssekretär nicht beantworten. Allerdings muss sich sein Ministerium nun mit der Angelegenheit befassen: Vor zwei Monaten hat die Kommission an alle Mitgliedstaaten einen Fragebogen zur Nutzung und zu Funktionalitäten der Ausschreibungen nach Artikel 36 verschickt.

Auch Frontex und Europol sollen Zugang erhalten

Die Ergebnisse der Umfrage werden in der Ratsarbeitsgruppe „SIS/SIRENE“ ausgewertet. Vorgesehen ist die Erstellung eines gemeinsamen Konzeptes für die Nutzung des SIS II. Eine weitere Zunahme der heimlichen Ausschreibungen ist also zu erwarten. Zukünftig soll auch die Polizeiagentur Europol „systematisch“ auf das SIS II zugreifen und automatische Abfragen vornehmen. Dann könnten alle Datensätze des SIS mit Europol-Datenbanken abgeglichen werden.

Die Kommission wird nun auf Bitte des Rates einen entsprechenden Gesetzgebungsvorschlag vorlegen. In einem späteren Schritt soll dann auch die Grenzagentur Frontex auf die SIS-II-Datenbank zugreifen. Frontex könnte dazu in einer überarbeiteten Verordnung ein Mandat zur Bekämpfung von Terrorismus erhalten.

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