Digitale Remixkultur: Fünf widersprüchliche Gleichzeitigkeiten

Landwehr, D. (Hrsgl., 2015): Public Domain. Merian Verlag

Der Remix ist längst im Alltag angekommen. Laien und Künstler arbeiten heute lustvoll und frei mit Bildern, Texten und Musik. Das Urheberrecht macht ihnen aber in vielen Fällen einen Strich durch die Rechnung.

Der folgende Text entstammt dem von Dominik Landwehr herausgegebenen Band „Public Domain“ (2015, Merian Verlag).

Im eigentlich gar nicht so heißen Sommer des Jahres 2014 schwappte eine Eiswasserwelle durch das Internet. Auf der ganzen Welt filmten sich Menschen dabei, wie sie sich Kübel voller kaltem Wasser über den Kopf gossen, teilten das Ergebnis in sozialen Netzwerken und nominierten ihre Freunde für diesen merkwürdigen Brauch, der schnell den Namen ‚Ice Bucket Challenge‘ erhielt. Dabei handelt es sich um eine Art digitalen Kettenbrief, der sich wie ein Lauffeuer im Internet verbreitete. Das Ganze war eigentlich ein Spendenaufruf für die ALS Association. ALS (Amyoptrophe Lateralsklerose) ist eine seltene Nervenkrankheit.

Aber damit ist das Phänomen nur zum Teil beschrieben. Im Unterschied zum Kettenbrief hatte jede Eiswasserperformance nämlich auch eine individuelle Note, war ein Fortspinnen des allgemeinen Motivs. Die „Ice Bucket Challenge“ ist in diesem Sinn auch prototypisch für die digitale Remixkultur.

Beispielhaft für den Remixcharakter ist eine im Internet kursierende Version dieser ‚Ice Bucket Challenge‘, die auf dem berühmten Bild „Der Schrei“ von Edvard Munch basiert. Das Bild ist Remix und lebt vom Zusammenspiel zwischen Alt und Neu. Ohne klar erkennbare Referenz auf die Bilderserie ‚Der Schrei‘ von Edvard Munch1 wäre es genauso unverständlich wie ohne Kenntnis des Phänomens ‚Ice Bucket Challenge‘. Genau das macht einen Remix aus: das alte, ursprüngliche Werk bleibt im neuen Werk erkennbar.

Ice-Bucket-Challenge-Version von Edvard Munchs "Schrei", Urheber unbekannt (via).
Ice-Bucket-Challenge-Version von Edvard Munchs „Schrei“, Urheber unbekannt (via).

Das Beispiel ‚Ice Bucket Challenge‘ ist aufschlussreich. Es illustriert, wie Internet und digitale Technologien zum Aufstieg weitverbreiteter, um nicht zu sagen demokratisierter Remixkultur beigetragen haben. Diese neue Remixkultur als Massenphänomen zeichnet sich dabei durch eine Reihe von Widersprüchlichkeiten aus.

1. (Un)klare Ursprünge

Das klassische Urheberrecht und dessen umfassende Schutzrechte basieren auf der Fiktion einer ursprungslosen Schöpfung. Dabei standen und stehen Kreative immer schon auf den Schultern von Riesen. Solange aber Ursprünge nur implizit, uneindeutig und überformt in Werke eingingen, ließ sich diese Fiktion einer ursprungslosen Schöpfung aufrechterhalten. Beim Remix ist das völlig anders. Remix lebt gerade davon, dass die verwendeten Werke erkennbar bleiben – „It’s not a bug, it’s a feature“. Insofern sind die Ursprünge von Remixwerken viel klarer als jene anderer Werke.

Gleichzeitig ist aber die Zuordnung einer eindeutigen und umfassenden Urheberschaft schwieriger. Wenn offensichtlich ist, dass nicht ein genialer Autor allein verantwortlich ist für ein Werk, wo sollen Urheberrechte dann andocken? Besonders deutlich wird das in der musikalischen Praktik des Samplings, wie sie vor allem im Bereich der elektronischen Musik und im Hip-Hop weitverbreitet ist. Sampling bedeutet, wiedererkennbare Sequenzen eines Songs in einen neuen musikalischen Kontext zu verfrachten. Bisweilen ist es sogar so, dass erst Sampling dem gesampelten Werk zu Prominenz und dem Urheber zum Durchbruch verhilft – so geschehen beim Song ‚Thank You‘ der britischen Sängerin Dido. Nachdem ‚Thank You‘ bereits 1998 erstmals veröffentlicht worden war, avancierte er erst 2000 zu Didos bislang größtem Hit, nachdem Eminem die erste Strophe in seinem Song ‹Stan› gesampelt hatte.

Auch bei der ‚Ice Bucket Challenge‘ fehlt ein eindeutiger Ursprung. Das humoristische und öffentlichkeitswirksame Potenzial von gefilmten Eiswasserduschen wurde nicht von der ALS Association erfunden. Sie hat lediglich ihre eigene Version mit einem Spendenaufruf kombiniert. Ebenfalls im Jahr 2014 hatte davor bereits eine amerikanische Stiftung für verunfallte Feuerwehrleute eine ‚Cold Water Challenge‘ gestartet. Aber auch sie hatte die Eiskübelgeschichte nicht erfunden, wie ein Blick in die Filmarchive belegt: Im 1932 veröffentlichten Stummfilm ‚Towed in a Hole‚ übergießen sich die beiden Komiker Laurel und Hardy minutenlang gegenseitig mit kaltem Wasser.

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2. (Un)geplante Entwicklung

Selbst wenn man von der Frage nach dem Ursprung absieht, lebt Remixkultur gerade auch von den Prozessen der Fortschöpfung. Was dabei entsteht, ist immer bis zu einem gewissen Grad ungeplant – und zwar selbst dann, wenn einem einzelnen Remix ein ausgefeilter Plan zugrunde liegt. Darin liegt auch der Prozesscharakter, das Flüssige der Remixkultur. Exemplarisch dafür ist die Weiterentwicklung, die das Werk des Künstlers Shepard Fairey – sein stilisiertes Obama-Porträt, selbst ein Remix eines Obama-Fotos einer Presseagentur – nach seiner Veröffentlichung erfahren hat. Unzählige Varianten mit anderen Personen und anderen Botschaften sind seither in Abwandlung von Faireys Werk entstanden. Dabei überschreitet diese ungeplante Entwicklung auch die Grenze zwischen Popkultur und Kunst.

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Dasselbe konnte man schon bei Andy Warhols bekanntem Werk ‚Marilyn Diptych‚ und dessen unzähligen Varianten beobachten. ‚Marilyn Diptych‘ gehört zu den bekanntesten Werken von Andy Warhol und ist eine Ikone der Pop-Art. Es entstand im Jahr 1962 und wiederholt in unzähligen Farbvarianten ein berühmtes Bild der strahlend lächelnden Marilyn Monroe.

Eine ähnliche Dopplung von Planung und ungeplanter Entwicklung findet sich auch im Fall der ‚Ice Bucket Challenge‘. Die Verantwortlichen der ALS Association starteten diese zweifellos mit dem Plan, Aufmerksamkeit und Spenden zu generieren. Vielfalt und Reichweite der Aktion waren nicht nur ungeplant, sie waren auch unplanbar. Wer etwa hätte vorhersagen können, dass sich der Microsoft-Gründer Bill Gates mit einem von mehreren Kameras aufgenommen Video beteiligen würde?

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3. Kollektiv-individualistisch

Der Hauptgrund dafür, warum Remixkultur unplanbar ist, liegt in ihrem Charakter mit ihren teils individualistischen, teils kollektivistischen Noten. Natürlich ist die ‹Ice Bucket Challenge› getrieben von der Teilnahme von vielen Prominenten, die sich mit Wasser überschütten. Aber damit allein lässt sich der Erfolg nicht erklären. Youtube, Facebook und andere Plattformen sind voller Videos von allen möglichen Menschen, die sich mit Eiswasser übergießen. Das Phänomen ‚Ice Bucket Challenge‘ erfordert einerseits Partizipation, Aneignung und Individualisierung von kollektiven Ideen. Andererseits lebt es davon, dass diese individualisierten Ideen wieder in den kollektiven Korpus an Werken zurückgespeist werden. Genau dies ist aber nur in einer digitalen Welt möglich, wo sich Ideen mühelos und schneeballartig ausbreiten können.

Ähnlich erfolgreich und mit einer ähnlichen Dynamik verlief die Verbreitung von Harlem-Shake-Videos im Jahr davor. Ganze Großraumbüros tanzten in Verkleidung zum Song ‚Harlem Shake‘ und schafften es mit ihren Videos in Best-of-Harlem-Shake-Compilations, die wieder andere zum Weitertanzen und der Gestaltung eigener Versionen animierten.

4. (Un)politisch

Bei all dem ist Remixkultur gleichzeitig unpolitisch und politisch. ‚Harlem Shake‘ und ‚Ice Bucket Challenge‘ sind, je nach Geschmack, großartige oder schreckliche Unterhaltung – auch dann, wenn Politiker sich mit Eiswasser übergießen.

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Remixkunst und -kultur ist manchmal aber auch explizit politisch: Nicht nur in Wahlkämpfen versuchen sich Parteien an Remixes zum Transport ihrer Botschaften, sondern zu fast allen kontroversen Themen ermöglichen Remixpraktiken wie Entfremdung, Umdeutung und Collage auch ressourcenschwachen Akteuren, potenziell große Öffentlichkeiten zu erreichen. Dirk von Gehlen, Autor des Buchs ‚Mashup‘, spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen „Art demokratisierter, aktualisierter Version der Karikatur„.

5. (Il)legal

Gerade diese politische Dimension von Remixkultur unterstreicht die Bedeutung der Frage von Legalität und Illegalität. Denn ein großer Teil alltäglicher Remixpraktiken bewegt sich im Widerspruch zu bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Selbst bei der rechtlich unverdächtigen ‚Ice Bucket Challenge‘ gab es die Diskussion, ob die ALS Association den Begriff schützen sollte.

Remixkultur als Massenphänomen ist angewiesen auf Veröffentlichung und Verbreitung. Das geschieht größtenteils mittels kommerzieller Plattformen wie Youtube oder Facebook. Diese Plattformen haben eine hervorragende Vernetzungsfunktion. Gleichzeitig ist kaum mit Klagen wegen Verletzung der Urheberrechte zu rechnen, schlimmstenfalls droht die Sperrung eines Videos.

Durch Nutzung von Plattformen wie Youtube werden Remixpraktiken aber keineswegs automatisch legal, wie auch die Gewerkschaft IG Metall im deutschen Bundestagswahlkampf 2013 erfahren musste. Deren Onlineredaktion hatte einen Clip veröffentlicht, der aus zahlreichen Schnipseln anderer Youtube-Videos zusammengestückelt war; der Clip war äußerst erfolgreich und brachte es auf über eine Million Downloads. Auf die Frage, ob sie die Rechte dafür geklärt habe, verwies die Onlineredaktion zunächst auf die Youtube- Nutzungsbedingungen, welche angeblich eine kostenlose Nutzung, Reproduktion und Herstellung derivativer Werke erlaubten.

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Diese Erklärung war falsch. Selbst wenn die Nutzungsbedingungen Remix erlaubten, so ist ein großer Teil des auf Youtube verfügbaren Materials nicht von den Rechteinhabern hochgeladen worden. Sie haben den Nutzungsbedingungen also nicht zugestimmt, weshalb eine Weiternutzung im Rahmen des IG-Metall-Videos ohne Rückfrage illegal war. Die IG Metall entfernte kurz nach der Wahl das Video aus ihrem offiziellen Youtube-Kanal.

Das Beispiel der IG Metall ist dabei kein Einzelfall. Auf Youtube finden sich Hunderttausende Videos mit dem Zusatz ‚No copyright intended‘, frei übersetzt etwa: ‚Ich will mir kein Urheberrecht anmaßen‘. Auch das ist jedoch eine rechtlich unwirksame Strategie, um sich vor juristischen Folgen für im Remix unvermeidliche Urheberrechtsverletzungen zu schützen.

Fazit

Der Remix ist im Alltag angekommen. Remix ist heute Teil der gängigen kulturellen Praktiken des Alltags und müsste eigentlich durch die Rede-, Meinungs- und Ausdrucksfreiheit abgedeckt sein. Die heute geltenden Gesetze berücksichtigen diese Praxis aber nur unzureichend und beharren auf der Vorstellung vom autonomen Autor, der seine Werke gleichsam aus dem Nichts schafft. Entschädigungen gibt es demnach nur für die ursprünglichen Autoren und nicht für die Künstler, die aus dem Fundus von Kunst, Musik und Literatur neue Werke schaffen. Interessanterweise ist der Remix heute nur auf den großen Plattformen wie Youtube zulässig. Erst mit einem flexibleren und für Remixkultur offenen Urheberrecht kann diese zur Entfaltung kommen und das ihr innewohnende Potenzial für kreative Vielfalt und kulturelle Teilhabe realisieren.

Das Buch „Public Domain“, dem dieser Beitrag entnommen ist, wird am Freitag, 27. November 2015, 16.00-20.30 Uhr im Café Buchholz, Joachimstraße 20 in Berlin präsentiert/a>.

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