Jonathan Zittrain, Professor für Recht und Computerwissenschaft in Harvard und Autor von „The Future of the Internet and how to stop it“, setzt sich in einem aktuellen Artikel auf newrepublic.com mit der möglichen Manipulation von Wahlergebnissen durch Dienste wie Facebook auseinander. Wie lässt sich verhindern, dass Mark Zuckerberg den nächsten amerikanischen Präsidenten bestimmt?
Zittrain beschreibt, wie in einem Experiment während der Halbzeit-Kongresswahlen in den USA 2010 versuchte, mehr Facebooknutzer zum Wählen zu bewegen. Mittels einer Grafik bekamen manche Nutzer die Möglichkeit, Wahllokale in ihrer Umgebung zu lokalisieren, selbst anzugeben, dass sie gewählt hatten, und es wurden bis zu sechs Freunde angezeigt, die ebenfalls ihre Stimme abgegeben hatten. Kontrollgruppen bekamen simple „Geht wählen“-Nachrichten oder keine Erinnerung. Nach Auswertung der Daten stand fest: Eine solche Grafik konnte die Wahrscheinlichkeit der Nutzer, wählen zu gehen, erhöhen und zusätzliche Stimmen mobilisieren. Zwar war ein Urnengang der solcherart beeinflussten Nutzer nur um 0,39 Prozent wahrscheinlicher, in konkreten Zahlen waren dies aber bis zu 340.000 Stimmen mehr.
Dieses mächtige Werkzeug könnte ohne Probleme im Sinne einer Unternehmensideologie eingesetzt werden. Die Informationen über Vorlieben, Interessen, politische Präferenzen seiner Nutzer besitzt Facebook ohnehin. Eine Wahl zu beeinflussen, indem einfach nur den ‚relevanten‘ Nutzern die mobilisierende Grafik angezeigt wird, erscheint kinderleicht. Diese Taktik nennt Zittrain „digital gerrymandering“ (Nach dem ursprünglichen Gerrymandering, dem Manipulieren von Wahlkreisgrenzen, um Erfolge in einem Mehrheitswahlsystem zu erzielen):
Digital gerrymandering occurs when a site […] distributes information in a manner that serves its own ideological agenda. This is possible on any service that personalizes what users see or the order in which they see it, and it’s increasingly easy to effect.
Und: Nur die wenigsten würden überhaupt mitbekommen, dass am Newsfeed etwas gedreht wurde.
Wie sehen nun Lösungen für dieses Szenario aus? Nach Zittrain ist es wenig sinnvoll, die Informationspräsentation der Internetfirmen mittels Gesetzen zu lenken, er hält daher auch das EuGH-Urteil zu Google und das postulierte ‚Recht auf Vergessen‘ für falsch. Stattdessen schlägt er eine Informationstreuhänderschaft (‚Information Fiduciary‘) vor. Diese verpflichtet Besitzer von Daten, verantwortungsvoll mit diesen umzugehen: Zu verfolgen, was mit ihnen geschieht, ihre Dienste optional nicht-personaliert zu präsentieren, und die Informationen nicht für eigene ideologische Ziele zu missbrauchen.
Eine solche Treuhänderschaft wäre dann nicht nur ein Modell für Facebook, sondern auch andere große Datensammler, wie beispielsweise Google. Der Konzern hatte zuletzt im Sommer 2013 erläutert, wie personenbezogene Daten gezielt zur Wahlkampfoptimierung genutzt wurden. Das Klinkenputzen ist allerdings mittlerweile überholt.
Eine 0,39 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit ist aber verdammt nah am simplen statistischen Messfehler.
Wie im Beitrag beschrieben, es klingt wenig, aber v.a. beim Mehrheitswahlrecht können die wenigen Stimmen, die daraus resultieren, einen starken Einfluss entfalten.
Es geht aber darum, ob diese 340k Leute wegen der Aktion gewählt haben, oder aufgrund statistischer Schwankung. Und bei sowas ist 0,34% halt nicht viel.
Bei der riesigen Zahl an Nutzern könnten 0,39 Prozent hoch signifikant sein. Ich würde außerdem schätzten, dass die Wirkung der Werbung je nach Wählergruppe anders ist, so dass der Effekt auf bestimmte Gruppen weitaus größer sein könnte.
Die Studie auf die sich Zittrain bezieht wurde 2012 veröffentlicht, hier noch einmal ein Link der sich darauf bezieht: http://www.nature.com/news/facebook-experiment-boosts-us-voter-turnout-1.11401#/b1
Offenbar schlossen die Wissenschaftler, wer Foto von seinen (wählenden) Freunden angezeigt bekam wurde 0,39% wahrscheinlicher selbst Wähler. Daraus errechneten sie 60.000 direkt beeinflusste Stimmen plus Weiterverbreitung.
Die Studie selbst ist allerdings kostenpflichtig: http://www.nature.com/nature/journal/v489/n7415/full/489212a.html
Deswegen kann ich jetzt auch nicht den genauen Hergang der Berechnungen nachvollziehen. Das Statement bleibt, aufgrund der Aktion seien insgesamt etwa 340.000 Bürger mehr wählen gegangen.
Hab mir die Studie gerade angesehen (Uni-Zugang sei Dank ;-).
Es konnten 6 Mio Facebooknutzer mit dem Wählerverzeichnis abgeglichen werden – damit standen 3 Mio Stichproben zur Verfügung von Nutzern, die den „wirksameren“ Wahlaufruf erhalten hatten.
Bei n= 3 Mio Stichproben und einer Wahrscheinlichkeit von 38% (Wahlbeteiligung) beträgt die Standardabweichung (normale statistische Schwankung) nur 840.
Von einem signifikanten Ergebnis spricht man, wenn man die Nullhypothese mit 95% Wahrscheinlichkeit bestätigen kann – dies entspricht einer Abweichung des Ergebnisses von Erwartungswert von 2 Standardabweichungen.
0,39% mehr bei 3 Mio Wählern entspricht aber 11.700 zusätzlichen Stimmabgaben . Dies ist deutlich mehr als die Standardabweichung und deshalb hochsignifikant.
Standardabweichung von
von denen die Hälfte eine enmtsprechend Da nur
Wenn ich die Worte „Informationen“, „lenken“ und „Staat“ in einem Satz lese, bekomme ich immer eine arge Gänsehaut. Ich bekomme sie aus Abscheu, ein Politiker aufgrund sexueller Erregung.
Informationen und ihre Präsentation beeinflussen also die politische Meinung und damit potentiell eine Wahl? Ach nee. Na das ist aber jetzt mal was fundamental Neues.
Lieber Herr Professor: Genau deshalb informieren sich Leute. Genau deshalb gibt es bei ihnen in den USA im Gegensatz zu Deutschland echte Meinungsfreiheit. Und deshalb dürfen sie lehren, was sie lehren und niemand, außer ihr privater Arbeitgeber, den sie jederzeit wechseln können, kann ihnen das verbieten.
Wenn ich zusätzlich noch die Worte „wenig sinnvoll“ lese (wie hier), sieht das ganz anders aus.
Und Leute in den USA haben auch nur Meinungsfreiheit, wenn sie damit nicht die Gewinnerwartungen bestimmter Firmen schmälern.
„Und Leute in den USA haben auch nur Meinungsfreiheit, wenn sie damit nicht die Gewinnerwartungen bestimmter Firmen schmälern.“
Das ist mit Verlaub Blödsinn. Anders als in Deutschland und praktisch allen europäischen Staaten (mir ist keine Ausnahme bekannt) herrscht in den USA uneingeschränkte Meinungsfreiheit. Und ob ich da etwas über Politiker, den Präsidenten oder irgend ein Unternehmen sage, ist vollkommen irrelevant. Ich kann auch den größten Quatsch erzählen, wenn ich das möchte.
Die USA haben eben immer noch eine freiheitliche Verfassung, im Gegensatz zu Deutschland. Der Ansatz der Wahrung der Grundrechte ist in der amerikanischen Verfassung und dem deutschen Grundgesetz um 180 ° verschieden. Dass die Verfassung auch in den USA gerne von Politikern missachtet wird, allen voran dem Präsidenten, ist natürlich unstrittig.
Und Facebook hat nunmal heutzutage ein effektives Monopol auf Kommunikation mit Freunden. Muss man nicht mögen, ist aber trotzdem so: Du kannst nur da mit deinen Freunden reden, wo die auch sind. Und vielen sind ihre Freunde halt wichtiger als unbeeinflusst reden zu können.
Microsoft hat einen Marktanteil bei Endverbraucher-PCs von 95 %. Und? Android beherrscht ca. 70 % des Smartphonemarktes. Und jetzt? AOL war Mitte und Ende der 90er Jahre gleichbedeutend mit dem Internet – jedenfalls bei 99 % aller Menschen. Aber anderes als bei echten, das heißt staatlichen Monopolen, kann es damit sehr schnell wieder vorbei sein. Siehe AOL. Und ja, diese Firma gibt es heute tatsächlich noch – von der Öffentlichkeit unbemerkt.
In den meisten Regionen Deutschlands hat die regionale Tageszeitung übrigens einen Marktanteil von 100 % bei den Tageszeitungen, weil es schlicht nur eine gibt. Und nun? Soll es vielleicht staatliche Zensoren geben?
Da kommen noch viele viele weitere Manipulationsmöglichkeiten als nur die Auswahl der Nutzerkreise zusammen. Z.B. der Zeitpunkt, je nachdem welche Themen gerade diskutiert werden. Stichwort Agenda-Setting.
Diese Manipulationsmöglichkeiten sind Massenmedien inhärent. Wenn Facebook auf Informationen verweist, wie in diesem Artikel, dann ist es nunmal ein Massenmedium, s. Arne & Harry.