Am 19. und 20. November hält das Bundeskriminalamt in Mainz seine diesjährige Herbsttagung ab. Auf der Agenda steht die „Organisierte Kriminalität“, die kaum vergleichbar komplexes und dynamisches Kriminalitätsphänomen beschrieben wird: Sie umfasse „in der heutigen stark globalisierten und hoch technisierten Welt“ unterschiedliche Kriminalitätsfelder und weise deshalb ein hohes Gefahren- und Schadenspotenzial auf.
Das mag auch der Grund sein, warum auch Troels Oerting, der Chef des neuen Cybercrime-Zentrums bei Europol, nach Mainz gebeten wird. Denn wenn zur „Organisierten Kriminalität“ irgendwie alles gezählt werden kann, dann passt auch „Cybercrime“ hinein. Auf der Agenda der Kriminalistinnen und Kriminalisten steht die Erarbeitung von „Handlungserfordernissen und Strategien“ für die Sicherheitsbehörden.
„Intelligente Datenselektion“
Schon letztes Jahr hatte sich die Herbstagung mit „Cybercrime“ befasst (hier der Tagungsband sowie einige der Beiträge auf englisch). Damals hatte der BKA-Präsident Ziercke zur digitalen „Ermittlungs- und Auswertungsarbeit der Polizei“ gesprochen und einen Paradigmenwechsel beschrieben:
Was meine ich damit?
Zum Einen: Strafverfolgung ist konfrontiert mit
(1) unstrukturierten Daten in vielerlei Formaten, oft ohne zu wissen, ob und welche Beweismittel in diesen Daten liegen,
(2) kryptierten Datencontainern auf inkriminierten Datenträgern sowie
(3) einer hohen Komplexität in der mobilen IT-Forensik.
Ziercke will die „Zukunft der Ermittlungsgrundlagen“ neu definieren. Polizeibehörden stünden „stetig wachsenden Datenmengen“ gegenüber, deshalb seien neue Verfahren zu deren Auswertung vonnöten. Der BKA-Chef nennt dies eine „intelligente Datenselektion“ und kündigt einen „rechtlichen Anpassungsbedarf“ an. Was damit gemeint ist, lässt sich beispielsweise an der „Antiterrordatei“ oder der „Rechtsextremismusdatei“ ablesen: In deren Errichtungsanordnung wird erstmals die Suche in „unstrukturierten Daten“ festgeschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hatte hierzu aber Änderungsbedarf angemeldet.
Online-Durchsuchung statt Hausdurchsuchung?
Bereits 2007 hatte der BKA-Chef gefordert, Verfahren zum Knacken oder Umgehen von Verschlüsselung zu entwickeln. Es ging um die Durchsetzung der Online-Durchsuchung. Auch auf der vergangenen Herbsttagung ging es um Verschlüsselung, die wieder als Hindernis bei der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung beschrieben worden war:
Interne Auswertungen bei bedeutenden Verfahren des Terrorismus und der Schwerkriminalität zeigen, bei einer Stichprobe von 85 TKÜ-Maßnahmen, folgendes Bild: In drei von vier TKÜ-Maßnahmen (75 %) werden Verschlüsselungs-, Kryptierungs- und/oder Anonymisierungsdienste genutzt! Bei der Untergruppe von DSL-TKÜ-Maßnahmen sind zwei von drei Maßnahmen (68 %) verschlüsselt, bei Mobilfunk-TKÜ-Maßnahmen sind es acht von zehn (81 %). Die Überwachung der Telekommunikationsinhalte ist in diesen Fällen so gut wie nicht möglich. Derzeit ist es technisch unmöglich, einen laufenden kryptierten Kommunikationsvorgang zu entschlüsseln.
Auch verschlüsselte Festplatten stellten die ErmittlerInnen demnach vor Probleme. Zwar könne die Polizei bei einer Hausdurchsuchung „auf den Überraschungseffekt setzen und hoffen, dass der Verdächtige seinen Rechner nicht schnell genug ausschalten oder sperren kann“. Erfolgversprechender sei es aber, auch hierfür die Online-Durchsuchung zu nutzen.
Auch Markus war zur Abschlussdiskussion der Tagung eingeladen und kommentierte zutreffend:
Herr Beckedahl appellierte an das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger und betonte: „…[es sollte] schon bewusst sein, dass wir auf einmal ständig und überall überwacht werden. Die Frage ist nicht mehr, ob wir überwacht werden, sondern nur noch wie oft, durch wen, wo und ob das für immer gespeichert und gegen uns verwendet wird.“ Er beschrieb dies als Problem einer Demokratie und jedes Einzelnen, da diese Überwachung einen Grundrechtseingriff darstelle. Die Tatsachen der aktuellen „NSA-Affäre“ waren für Herrn Beckedahl nicht neu. Er berief sich auf den Echelon-Skandal1: „Das war der Vorläufer-Skandal. Damals ist auch schon rausgekommen, dass unsere ganze Internet-Kommunikation überwacht wird, dass die NSA und der britische Geheimdienst einfach ’mal die Glasfaserkabel anzapfen.“ Dies sei in seinen Augen inakzeptabel. Man müsse „…technisch und politisch die richtigen Wege einschlagen, damit wir zukünftig wieder anonym kommunizieren können.
„Global Complex for Innovation“ in Singapur
Sowohl der Präsident als auch der Vizepräsident des BKA sollen auf der Tagung verabschiedet werden. Ziercke geht in den Ruhestand, ein Nachfolger wird angeblich immer noch gesucht. Jürgen Stock hingegen wechselt im November zur weltweiten Polizeiorganisation Interpol.
Interpol will noch dieses Jahr in Singapur seinen „Global Complex for Innovation“ (IGCI) in Betrieb nehmen. Die Wahl des Der mit Sicherheitsforschung und Informationstechnologie bestens vertrauten Stock dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Der IGCI soll neue Kriminalitätsphänomene und neue Technologien aufs Korn nehmen, darunter alle Facetten von Cyberkriminalität. Die Polizei müsse heutzutage in Echtzeit über den grenzüberschreitenden Zugang zu Informationen verfügen, schreibt Interpol:
The Global Complex will go beyond the traditional reactive law enforcement model. This new centre will provide proactive research into new areas and latest training techniques. The aim is to give police around the world both the tools and capabilities to confront the increasingly ingenious and sophisticated challenges posed by criminals.
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