Geplante Internetsteuer in Ungarn: Proteste gegen beispiellosen Rückschritt

via facebook/Százezren az internetadó ellen

Morgen soll im ungarischen Parlament erörtert werden, ob die Regierung eine „Internetsteuer“ einführen wird. Als die Pläne, eine Steuer von etwa 50 Cent pro Gigabyte Datentransfer einzuführen, letzte Woche bekannt wurden, haben sich Proteste manifestiert. Die Facebook-Gruppe „Hunderttausend gegen die Internet-Steuer“ hat zu einer Kundgebung aufgerufen, die Medienberichten zufolge am Sonntag von über zehntausend Demonstranten besucht wurde. Insgesamt seien die Proteste friedlich verlaufen, zu Ende gab es jedoch sechs Festnahmen.

Demo-Organisator Balazs Gulyas wandte sich gegen den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und rief aus:

Viktor, wir haben heute die Uhr zurück gedreht, nicht das Jahrhundert!

Nicht nur die Zivilgesellschaft äußerte ihren Unmut, auch EU-Digitalkommissarin Neelie Kroes brachte deutlich zum Ausdruck, dass sie die Regierungspläne verurteilt und rief zur Teilnahme an den Protesten auf:


Zuerst treffen würde die neue Regelung die Internetprovider, wie die ungarische Tochter der Deutschen Telekom, Magyar Telekom. Börsenanalysten prophezeihen dieser jährliche Kosten von 3,2 Millionen Euro. Ob diese direkt auf die Kunden umgelegt werden, ist laut den Analysten noch unklar, wenn auch auf lange Sicht wahrscheinlich. Telekom Magyar hat jedoch bereits angekündigt, dass unter derartigen Umständen auf jeden Fall geplante Investitionen in einen Ausbau der Breitband-Infrastruktur unmöglich werden würden.

Fest von einer Kostenerhöhung geht der ungarische Verband von IT-, Telekommunikations- und Elektronikunternehmen aus:

Die echten Verlierer bei der Internetsteuer sind nicht die Internetunternehmen sondern ihre Kunden, Nutzer und alle Ungarn, die nun alle Dienste, die sie bisher nutzen, viel teurer bezahlen müssten, oder – im Extremfall – gar nicht mehr nutzen würden.

Die Fidesz-Partei, deren Vorsitzender Orbán ist, hat mittlerweile angekündigt, den Gesetzesentwurf verändern zu wollen und eine Kostenobergrenze einzuführen. An der Rückschrittlichkeit des ganzen Vorhabens in Zeiten, in denen ein Breitbandzugang von einigen Ländern wie Finnland als Grundrecht eingestuft wird, ändert das nichts.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

7 Ergänzungen

  1. Liebe Anna,

    Orban und seine Fidesz-Partei gefällt sich in der Rhetorik und Positionierung gegen internationale Wirtschafts-, Kaptial- und Telekommunikationsunternehmen. Ähnliches konnte man beobachten, als das neue Mediengesetz verabschiedet wurde, das hauptsächlich die RTL Group (be-)trifft (RTL ist der Sender mit der größten Zuschauerzahl.)

    Neben Mehreinnahmen bei Steuern geht es dabei auch um die Überwachung, Kontrolle oder zumindest Behinderung von Journalisten, die nicht auf Parteilinie sind. Das hat sich erfolgreich durch Nachrichtenblätter und Zeitschriften gezogen und wird mit solchen Maßnahmen auch auf das Internet ausgeweitet.

    Das größte Problem ist aber, dass diese Politik bei einem großen Teil der Bevölkerung auf Zustimmung stößt.

  2. Mal ab von der Tatsache, dass dieser Gedanke gerade aus Ungarn kommt und welche Hintergründe dieses Vorhaben neben Steuereinnahmen sonst noch hat: Steuern an sich sind immer eine künstliche Belastung von irgendwas und wenn sie den Nutzer proportional zu seiner Nutzung belastet, ist sie gerecht. Ob das ganze Sinn macht, insbesondere unter dem Aspekt der Technologieförderung, steht auf einem anderen Blatt. Formal nichts besonderes, wer viel fährt zahlt viel Energiesteuer, Stromverbraucher zahlen Stromsteuer, Konsumenten Umsatzsteuer etc. Steuerpolitiker würden das Ganze vermutlich „innovativ“ nennen.

  3. Hallo Anna,
    wenn eine, immerhin auf einem nachvollziehbaren Rechenmodell basierende, Verbrauchssteuer, das Schlimmste wäre, was in Ungarn grad passiert, könnte ich den Beitrag verstehen. Dort geht es aber um viel mehr, und dieser kleine Treppenwitz macht mich schmunzeln, und schon vorbei. Mit Frau Kroes würde ich deshalb noch lange nicht gemeinsame Sache machen wollen, soviel Selbstachtung sollte doch sein. In Ungarn wurde die Pressefreiheit unter Zustimmung vieler abgeschafft. Das ist das relevante Thema.
    Dies ist vielmehr ein Anlass mit weniger Empörung und mehr Nachdenklichkeit über die Option von Steuern oder Abgaben im Internet nachzudenken. Was es da zu besteuern gäbe, wo die Steuer abzuschöpfen sei, wie sich Steuern auf Nutzung und Wege auswirken würde.
    Viele Grüße

  4. Das wäre auch für Deutschland ein Gute Sache, damit das Kostenlos-Denken mal aufhört.
    10 Cent pro MB würde ich da mal Ansetzen, 50% zweckgebunden zur Finanzierung der VDS.

    mfg

    Ralf

  5. @Ein Steuerzahler / Ralf.
    10ct pro MB… das macht dann für Streaming-Kunden, die für einen Film schon die Nutzungsgebühr beim jeweiligen Anbieter bezahlen (meist so um die 4-5€) nochmal extra Internetnutzungskosten.
    10ct/MB = 10000ct/GB, also 100€ für ein GB… und ein gestreamter Film hat locker mal mindestens 2GB. NIEMAND zahlt 200€ um einen Film anzusehen…
    soviel zu 10ct/MB….

  6. Weiter so Ungarn!
    Zumindest Technologisch haben wir dann aus der Ecke nichts mehr zu befürchten…. Vielleicht können wir Ungarn dann in 20 Jahren mit WIrtschaftshilfe in Milliardenhöhe wieder aus dem Mittelalter zurückholen!

  7. Hallo, ich glaube die Situation in Ungarn und deren Politik ist sehr diffiziel. Die Ungarn sind ein sehr stolzes Volk das wirtschaftlich am Abgrund steht. Die Schere zwischen (Neu)Reich und Arm geht extrem außeinander. Scheinbar hat die Regierung kein anderes Instrument mehr als auf alles erdenkliche Steuern zu erheben. Das ganze wird durch die „nicht“ freie Presse noch um so brisanter. Was dort über den Äther geht ist Wahnsinn. Die Proteste die derzeit dort laufen sind durch die Internetsteuer in Fahrt gekommen, aber das war nur der Tropfen der das Fass zum überlaufen brachte. Zudem wirds brisant, da mit den Einnahmen unter anderem die Lohnerhöhungen der Sicherheitsorgane (Polizei, Feuerwehr, Geheimdienste, Militär) finanziert werden sollen. Ich bin oft in Ungarn und kenne die Situation dort recht gut.
    Ich hab auf meinem Blog mal einen längeren Artikel dazu geschrieben, vielleicht interressierts jemanden.
    https://blog.payer.cc/index.php/digitaler-wegezoll

    Gruß tom

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.