Die EU-Kommission hat gestern Vorschläge gemacht, wie Internet-Governance zukünftig gestaltet werden sollte. Wir haben zur Einschätzung die Internet-Governance Forscherin Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum Berlin interviewt.
netzpolitik.org: Warum macht die EU-Kommission zum jetzigen Zeitpunkt Vorschläge?
Jeanette Hofmann: Seit 2005 waren die Positionen zu der Frage, wer die Aufsicht über die sogenannten kritischen Internetressourcen (im wesentlichen Domainnamen, IP Adressen) ausüben sollte, faktisch festgefahren. Im Herbst 2013 ist dann plötzlich Bewegung in die Angelegenheit gekommen – eine der unerwarteten Nebenwirkungen der Snowden Enthüllungen. Eine wichtige Gruppe von Akteuren, die mit der Koordination der Internetressourcen befasst sind, hat der US-Regierung mit dem Montevideo Statement ihre Loyalität aufgekündigt und sich erstmals für eine Globalisierung der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) und der zugeordneten IANA Funktionen ausgesprochen.
Das Montevideo Statement hat international ein sehr großes Echo hervorgerufen. Die konkreteste Auswirkung ist eine von der brasilianischen Regierung zusammen mit Partnern organisierte globale Konferenz im April 2014. Diese Konferenz hat zwei Ziele: sie will erstens konkrete Vorschläge für eine Internationaliserung, präziser: für eine Entstaatlichung von ICANN und ihren Aufgaben ausarbeiten und zweitens Konsens über ein „framework of principles“ für Internet Governance erzielen. Vor diesem Hintergrund hat sich nun auch die Europäische Kommission zu Wort gemeldet. Natürlich möchte sie Einfluss auf den nun angelaufenen Diskussionsprozess.
netzpolitik.org: Wie konkret sind diese Vorschläge?
Jeanette Hofmann: Konkret sind sie sicher nicht. Aber darum geht es der Kommission in dieser Situation wohl auch nicht. Schön ist, dass sich die Kommission so klar zum Multistakeholder Prozess bekennt und selbst die intergouvernementalen Diskussionen in diesem verankert sehen möchte. Schön ist zudem, dass sich die Kommission für die Stärkung des Internet Governance Forums ausspricht. Sie lässt aber im Dunkeln, wie diese Stärkung aussehen soll und vor allem, welchen Beitrag sie selbst dazu leisten möchte.
netzpolitik.org: Wen möchte die EU-Kommission damit erreichen?
Jeanette Hofmann: Ich denke, die Kommission möchte ich an dem bevorstehenden Aushandlungsprozess mitwirken, und diesen Anspruch meldet sie mit diesem Dokument an.
netzpolitik.org: Was ist von der Initiative Brasiliens zu halten, im April eine Konferenz zu Internet-Governance zu organisieren?
Jeanette Hofmann: Für viele derjenigen, die die Debatten um Internet Governance über die letzten 10, 15 Jahre verfolgt haben, stellt die brasilianische Initiative einen großen Schritt vorwärts dar. Die beteiligten Organisationen und Personen auf der brasilianischen Seite genießen international Anerkennung und Glaubwürdigkeit. Selbst die US-Regierung unterstützt inzwischen offiziell den Prozess und bildet einen der Co-Hosts. Das wäre vor einem Jahr so noch kaum denkbar gewesen.
Die aus meiner Sicht spannende Frage ist nun, was genau an die Stelle der US-Aufsicht über die Netzinfrastruktur tritt. Es gibt keine unmittelbaren Vorbilder für eine internationale Organisation, die nach dem Multistakeholder Prozess organisiert und durch diesen auch kontrolliert wird.
netzpolitik.org: Die EU-Kommission schlägt „konkrete Maßnahmen für die Festlegung eines klaren Zeitplans für die Globalisierung der ICANN und der „IANA-Funktionen“ vor, wie könnten diese aussehen?
Jeanette Hofmann: Ich denke, eine der Ergebnisse der Konferenz in Sao Paulo wird ein solcher Zeitplan sein. Wichtiger als der konkrete Zeitplan scheint mir die Substanz: welchen Anforderungen soll eine Internationalisierung von ICANN genügen? Wie wird deren Einhaltung sichergestellt, und welche Rolle stellen sich die Regierungen dabei für sich selbst vor? Wer arbeitet das konkrete Modell aus und wer entscheidet darüber? Hier hätte ich mir konstruktive Vorschläge der Kommission gewünscht.
netzpolitik.org: Wie kann das globale Internet-Governance-Forum gestärkt werden (was dieses Jahr in der Türkei stattfinden soll)?
Jeanette Hofmann: Das ist auch so eine Frage, über die sich die Geister seit langem streiten. Ein chronisch neuralgischer Punkt betrifft die Finanzierung. Dem IGF fehlt es mal mehr mal weniger dramatisch an Geld. Die EU gehört zwar zu den regelmäßigen Spendern, aber wenn sie es ernst meint mit der Empfehlung, das IGF zu stärken, dann könnte sie mal tiefer in die Tasche greifen.
Ein zweiter strittiger Punkt betrifft das Output des IGF. Seit vielen Jahren fordern viele Teilnehmer, dass das IGF stärker ergebnisorientiert arbeiten und seine Diskussionen besser dokumentieren sollte. Zwar schließt das Mandat des IGF Etnscheidungen und offizielle Handlungsempfehlungen ausdrücklich aus, aber zwischen offiziellen Deklarationstexten und dem jährlich veröffentlichten „chairman’s summary“ gibt es noch viel Luft. Hier muss sich das IGF bewegen und mit neuen Formaten experimentieren, wenn es nicht irrelevant werden will. Das Montevideo Statement, das in den letzten Monaten so viel ins Rollen gebracht hat, wurde eben von einer schmalen Netzelite in Montevideo und nicht in Bali von den 1500 Teilnehmern des letzten IGF verabschiedet. Das will schon was heißen!
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