Zur Zeit findet in London das 50. ICANN-Treffen statt, bei dem Interessensvertreter aus aller Welt über die Zukunft von Internet Governance, die Koordination des Domain Name System und die IP-Adressenvergabe reden. Das derzeitige Meeting steht vor allem unter dem Zeichen des Rückzugs der US-Regierung aus der Aufsicht der Internetverwaltung, denn bis zum September 2015 muss deshalb eine neue Verwaltungsstruktur geschaffen werden. Seit 1998 lag diese Aufgabe beim US-Handelsministerium, auf dem letzten Treffen der ICANN in Singapur hat die National Telecommunications and Information Administration bekanntgegeben, diese Aufgabe abzugeben – offiziell natürlich nicht aus Gründen des NSA-Skandals, sondern weil „die Zeit reif für einen Übergangsprozess ist“.
Aber wie das beim Multistakeholderism der Internet Governance ist, wird eine Kurs-Einigung keine triviale Aufgabe und die Stimmen gehen weit auseinander. China, sowie auch Frankreich beispielsweise plädierten für eine UNO-artige Internet Governance Allianz und ein damit verbundenes stärkeres Stimmrecht der Länderregierungen, aus dem dem deutschen Wirtschaftsministerium kam ebenfalls die Idee von mehr nationalem Einfluss, aber nur wenn bei der Administration ihrer jeweils eigenen nationalen Top Level Domains.
ICANN-Chef Fadi Chehadé kennt diese Meinungsverschiedenheiten bereits und brachte das Problem, dass Regierungen gerne mehr Macht über das Internet hätten, im Vorfeld der NetMundial-Konferenz im April in einem Interview mit der FAZ auf den Punkt:
Heute sind sie [die Regierungen] verführt von der Macht des Internets und verwirrt von der Unfähigkeit, transnationale Prozesse zu gestalten. Sie sind ängstlich, weil sie verwirrt sind, und sie wollen im Voraus die Kontrolle übernehmen – das sind die beiden Triebfedern der Verwaltung und des Geschäfts.
Letztlich ist aber fraglich, ob die zukünftige Kontrollstruktur nicht vielmehr symbolische als funktionale Bedeutung haben wird, denn Chehadés Mitarbeiter Jean-Jacques Sahel bemerkte auch, dass man die bisherige Rolle der USA gar nicht so stark wahrgenommen habe und man am Ende vielleicht gar keine zusätzlichen Kontrollmechanismen haben werden wird.
Für die genauen Regelungen wird es jenseits der großen ICANN-Meetings mit eine Koordinationsgruppe geben, die sich aus 27 Mitgliedern zusammensetzt. Nicht primär aus Regierungen, sondern unter anderem auch aus Vertretern des Internet Architecture Board, der Internet Engineering Task Force, der Internet Society und Top Level Domain Registries.
Am Rande dieser „großen Fragen“ gab es auch konkrete Probleme, bisweilen amüsanter Natur. Durch die im März forcierte Öffnung der Vergabe von Top Level Domains sind immer mehr Anträge auf Endungen wie „.berlin“ und „.bayer“, aber auch „.audi“ oder „.tattoo“ eingegangen. Die Berechtigung einiger dieser Domains ist strittig. In London beschwerten sich nun die European Federation of Origin Wines und die französische Regierung mit Unterstützung durch die EU-Kommission über die vorgesehen Domains „.wine“ und „.vin“ und forderten, vorerst Abstand von der Registrierung von Marken und Labeln zu nehmen, die eine geographische Herkunft andeuten, bis eindeutige Regelungen geschaffen sind.
Wein ist eine ernste Sache, wir alle mögen Wein.
Tipp am Rande: Wer Probleme hat, in all dem Wirrwarr der Internet Governance den Überblick zu behalten, der kann sich beim „Reiseführer in die digitale Welt“ Hilfe holen.
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