„The great switch-off“? Europol und Interpol orakeln vom Abschalten des Internet durch „Revolutionäre“ und „Hacker“

Im Vorfeld der gestern zuende gegangenen, ersten gemeinsamen „Cybercrime-Konferenz“ von Europol und der internationalen Polizeiorganisation Interpol in Den Haag hatte Europol das „Project 2020“ gestartet. Dabei handelt es sich um eine Studie, die mehrere Szenarien von Angriffen auf die Internet-Infrastruktur annimmt und entsprechende „Lösungen“ präsentiert.

„Project 2020“ ist allerdings eine Allianz von Polizei und Sicherheitsindustrie: Zu den Teilnehmenden gehören Visa Europe, McAfee, CGI Canada, Atos, Cassidian, Digiware, Core Security Technologies und Trend Micro. Letztere zeichnet auch für einen merkwürdigen Werbe-Clip verantwortlich, der kürzlich veröffentlicht wurde:

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Über die zunehmenden Möglichkeiten des polizeilichen Abhörens und Auswertens privater, digitaler Spuren im Internet schweigt sich das Werbevideo jedoch aus. Noch mehr Propaganda soll ab dem 1. Oktober auf dem Youtube-Kanal von Europol gezeigt werden.

Als weitere EU-Behörde ist die Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) beim „Project 2020“ an Bord, seitens der Polizei ist die City of London Police beteiligt. Vielleicht ist dies der Grund für das absurde Szenario, das dem „Project 2020“ zugrundeliegt: Das Ganze spielt sich in einem Phantasie-Staat namens „South Sylvania“ ab. Ein weiteres Video orakelt von „massiven Cyberangriffen“ und „The great switch-off“, also dem drohenden Abschalten des Internet in „South Sylvania“ durch „Hacker“ und „Revolutionäre“:

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Angesichts derartiger Verschwörungs-Rhetorik sei daran erinnert, was der Europol-Chef dem EU-Parlament vorgestern eröffnete: Dass nämlich noch kein EU-Mitgliedstaat Europol ein Mandat zur Aufklärung des staatlichen Hackerangriffs (vermutlich aus Großbritannien) auf den belgischen Telekommunikationsdienstleister Belgacom erteilte.

Europol und Interpol gegen Anonymous

Nicht erst seit der Einrichtung seines neuen „European Cybercrime Centre“ (EC3) geht Europol auch gegen Netzaktivismus vor: Zusammen mit der internationalen Polizeiorganisatiom Interpol hatte sich die Agentur beispielsweise an Razzien gegen vermeintliche Mitglieder des Anonymous-Netzwerks beteiligt. Bei Europol firmierte die Aktion als „Operation Thunder“, bei Interpol als „Operation Unmask“. Europol richtete damals ein internationales Treffen zu „Hacktivism“ aus, um die verschiedenen Ermittlungsverfahren zu koordinieren und das weitere Vorgehen zu planen.

Überspitzt finden sich ähnliche Szenarien im fiktiven „South Sylvania“ wieder:

Where hacktivism once contented itself with defacing or denying service on a website (DDoS), a new generation are engaged in tech-enabled destruction which appears to be motivated by anarchist as well as anti-corporate sympathies. Automation of some law enforcement functions has also inevitably attracted attempts by criminals to gather intelligence, manipulate data and obstruct access.

Jedoch geht es bei „Project 2010“ nicht allein um Hacktivism. „South Sylvania“ soll ein Land darstellen, in dem weite Teile der Infrastruktur ins Digitale verlegt wurden:

Many of the citizen-facing government functions traditionally performed by personnel have now been entirely automated. These include voting (now entirely online), taxation, and some aspects of policing, in particular surveillance. Sensors and Radio Frequency Identification (RFID) track citizen movements, while advanced behavioural profiling helps intelligence operatives to identify individuals at risk of engaging in criminal or terrorist activity. Greater automation and artificial agency is exercising legal experts, as the question of whether computers and robots can be criminal agents becomes increasingly pertinent.

Es fehlen „langhaarige Geeks“

Offizielles Pic zum "Project 2020" - Es drohen Chaos und Revolution
Offizielles Pic zum „Project 2020“ – Es drohen Chaos und Revolution

Rettung gegen die Internet-Anarchie kommt von ehemaligen Abtrünnigen, nämlich jenen, die sich früher einer „Hacker Ethik“ verschrieben hatten, sich nun aber in Ministerien von „South Sylvania“ verdingen („[…] a number of politicians who once espoused hacktivist ethics are now members of national governments as Ministers for Freedom of Information“).

Damit schließt sich der Kreis zum neuen „Interpol Global Complex for Innovation“ (IGCI), den Interpol 2014 (analog zum EC3 von Europol) in Singapur einrichtet: Denn es fehlen die ehemaligen Hacker, die nun für die Polizei arbeiten wollen. Die Organisation sucht dafür seit letztem Jahr „langhaarige Geeks“ (hierzu seien die Texte „Letzter Ausstieg Gewissen“ des CCC bzw. bei netzpolitik „Hacken, Fressen und Moral“ empfohlen).

Die nächste Episode von „Project 2020“ findet übrigens nächste Woche bei der ENISA statt, wenn dort die jährliche Konferenz „CERTs in Europe“ ausgerichtet wird.

9 Ergänzungen

  1. Man muss aber sagen, dass bei der EU-Anhörung auch explizit erwähnt wurde, das Europol kein Service (Dienst) ist und damit auch legistisch nicht für Staatenspionage zuständig ist.

  2. Das was der Herr Monroy hier absondert ist mir leider schon mehrfach negativ aufgefallen :(

    Meist handelt es sich IMO um ziemlich verzerrte Wahrnehmungen der Realität, die mit zufällig im Web gefundenen Ergebnissen ,die ins Bild passen garniert wurden, um das Ganze damit vermeintlich zu bestätigen.

    Es gibt Leute, die würden soetwas Verschwörungstheorie nennen.

      1. Du scheinst keinerlei Ahnung zu haben wie solche EU Forschungsprojekte normalerweise ablaufen.

        Ich habe ehrlich gesagt noch kein einziges mal erlebt, dass da etwas brauchbares bei rumgekommen ist.

        Was mich bei Deinem Zeug halt stört ist dass das immer irgendwelche dubiosen Mashups aus öffentlich verfügbarer Information sind.

        Gruss

        Sven

    1. hey sven;

      also von einem forschungsprojekt ist ja im artikel gar nicht die rede. und nein, ich weiß nicht wie diese von innen aussehen, das ist nicht mein spezialgebiet, so genau möchte ich das gar nicht wissen. besser kenne ich mich aber aus mit der fehlenden kontrolle von polizei und diensten, wie diese zu missbrauch ihrer kompetenzen neigen und wie schnell sich dies verstetigt. das ist quasi mein hauptinteresse, auch im digitalen bereich.

      du hattest ja mal einen anderen artikel kritisiert, in dem es tatsächlich um das forschungsprojekt ABUL des fraunhofer IOSB ging, für das du demnach ebenfalls arbeitest. dass dir meine artikel dazu nicht gefallen, kann ich mir vorstellen, denn das IOSB

      * forscht zur erkennung „verdächtigen verhaltens“ von personen, fahrzeugen oder anderen objekten in videoströmen, kooperiert hierfür mit polizei und bahn bei der – noch testweisen – überwachung von bahnhöfen und flughäfen
      * entwickelt tracking-verfahren, um personen und objekte in den videoströmen entweder rückwirkend nachzuspüren oder zu verfolgen oder auch prognosen über deren zukünftigen weg zu erstellen
      * entwickelt bildgebende und -auswertende verfahren für die bundeswehrdrohnen LUNA in afghanistan
      * optimiert die bildersuche für polizeiliche datenbanken, damit das BKA nun auch stills aus überwachungsvideos nutzen kann um seine bestände nach personen zu durchforsten
      * forscht zu verfahren zur erkennung kleiner boote und schiffe durch auswertung von bildern aus der satellitenaufklärung und von drohnen, damit diese zur bekämpfung von migration genutzt werden können

      das ist nur eine kleine und natürlich selektive auswahl, ich bin auch fasziniert was das IOSB sonst so auf die beine stellt. aber mich interessiert dessen arbeit eben aus einem anderen blickwinkel, das magst du einseitig empfinden.

      ich lasse auch das argument nicht gelten, dass die forschenden nichts mit der späteren anwendung zu tun haben. vielleicht wusstest du gar nicht, dass die ergebnisse beispielsweise zur flüchtlingsabwehr genutzt werden sollen? vielleicht erzählen sie in karlsruhe, dass die technik bloss dazu da sei das schmelzen der polkappen zu messen und kinderpornografie einzudämmen? das glaube ich nicht, du brauchst bloss 1 + 1 zusammenzählen und dir ansehen, in welchen forschungen des BMWi und der EU das IOSB hierzu drin steckt. hier komme ich wieder ins spiel, denn das ist quasi mein tagewerk, zugegebenermassen mit fokus auf überwachung und kontrolle.

      du musst dich fragen lassen, ob du mit den forschungen für polizei, militär und dienste einverstanden bist (gibt ja auch viel streit um die zivilklausel bzgl. fraunhofer und KIT in karlsruhe).

      dass ich manchmal zu viele aspekte in artikel packe ist mir bekannt; ich arbeite daran. gerade in diesem hier aber eigentlich nicht, außer vielleicht das mit interpol und den „langhaarigen geeks“, das ich an anderer stelle bei netzpolitik bereits beschrieb. ich fand die frage, ob diese „geeks“ wirklich bei der zunehmenden überwachung mitarbeiten wollen hierfür aber sehr interessant.

      liebe grüße! m.

  3. Ach, ich dachte, das Internet abschalten wollten die USA und andere Staaten.
    Jetzt sollen es also die bösen „Hacker“ sein.

    …obwohl… ist ja garkein Widerspruch, das sind ja die selben Leute.

    Ob die irgendwann merken, daß sie da gegen sich selbst kämpfen?

    Ist ja beim „Antiterrorkampf“ genauso: erst sponsorn und dann gegen angehen. Tja, irgendwie muss man seinen Job ja rechtfertigen. Soll ja auch Feuerwehrmänner gegeben haben, die sich ihren Job mit Feuerlegen gesichert haben.
    Insofern gehört Brandstiftung zur Sicherheitsbranche.

    Und beim Waffenexport ist es auch nicht anders: erst Waffen esportieren (gerne an Diktatoren), und irgendwann dann gegen diese bösen Unterdrücker Krieg führen.

    Und offiziell gegen das Hackertum sein, und sich dann überall rein hacken.

    Man könnte noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Sie reden von unserer Freieheit und der Demokratie, sie sie sichern wollen, tun aber de facto das Gegenteil.

    …ach ja, da isser:
    http://www.itespresso.de/2012/07/12/obama-sichert-sich-notaus-furs-internet/

    Friedrich will auch noch einen Not-Aus-Knopf, was?
    Zumindest für’s deutsche Rechtsgebiet…

  4. Man sollte vielleicht hinzufügen (habe bei Heise zu diesem Projekt geschrieben), dass sich etliche hochrangige Strafverfolger auf der Konferenz in Den Haag besonders von dem Staatsfeind-Video von Trend Micro distanzierten. Neben mir saß ein Kriminaler, den dieses im Video aufgetischte Big-Brother-Image schlicht „ankotzte“.

  5. Es droht eher eine Revolution von Oben, durch privatwirtschaftliche Big Data Center und staatlicher geheimtätiger Dienste, als eine Revolution von Unten, durch Hacktivism und DDOSer.

    In den oberen behördlichen Ebenen machen sich scheinbar Realitätsverlust, krankhaft paranoide Wahnvorstellungen und Größenwahn breit.
    Man könnte auf die Idee kommen die behördlich „Obersten“ haben vergessen wer sie zur Macht legitimiert.
    Sollten sie das vergessen haben, wird es höchste Zeit für einen Revolution. Eine Revolution von Unten.

    Und dann ab mit dem Kopf von Big Brother!

    Freiheit, Gleichheit, Guillotine

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.