5.000 Fälle von Steuerhinterziehung will die italienische Finanzpolizei Guardia di Finanza seit Januar aufgedeckt haben. Dies meldet heute die Tagesschau aus dem ARD-Hörfunkstudio in Rom. 1.800 Personen wurden demnach wegen Betrugs angezeigt. Was der Artikel nicht erwähnt: Geholfen hat eine Software zur Automatisierung von Finanzermittlungen, die Italien im Januar unter dem Namen „Redditometro“ eingeführt hatte. Ermittler wollen damit auffällige Finanztransaktionen aufspüren.
Das italienische Data-Mining-Programm gleicht in der Steuererklärung angegebene Einkommen und Ausgaben ab. Die Haushalte werden hierfür in 11 Kategorien eingeteilt, darunter Paare, Singles oder Familien mit Kindern. Auf Basis früherer Angaben anderer Steuerpflichtiger werden Ausgaben nach Auffälligkeiten analysiert, etwa für Essen, Kleidung oder Freizeit. Weichen die angegebenen Daten stark von den Statistiken ab, wird weiter ermittelt.
Laut dem Leiter der italienischen Finanzbehörden wird ein Programm aus den USA genutzt. Datenschützer und Bürgerrechtsgruppen waren bei der Einführung alarmiert, auch in Parteien regte sich Kritik. Sogar der amtierende Premierminister Mario Monti kritisierte das „Redditometro“ als „tickende Zeitbome“, die von der früheren Regierung unter Silvio Berlusconi hinterlassen wurde.
Finanzermittlungen wie mit „Redditometro“ werden als „Al-Capone-Methode“ bezeichnet. Angespielt wird auf den US-amerikanischen Mafia-Paten, gegen den mehrfach wegen Mord, Geldwäsche, Bestechung und weiteren Delikten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ermittelt wurde. Al-Capone konnte sich der Justiz aber immer wieder entziehen, weshalb er schließlich wegen Steuerhinterziehung verurteilt werden konnte: Seine Einnahmen und Ausgaben wiesen starke Differenzen auf.
„Aufklärungsbasierte Strafverfolgung”
Finanzermittlungen spielen in allen Bereichen schwerer Kriminalität eine immer wichtigere Rolle. Polizei und Zoll analysieren auf diese Weise Beziehungen und Verbindungen zwischen Personen. In Holland werden derartige Ermittlungen als „Barrier Model“ gegen unerwünschte Migration genutzt. Verarbeitet werden Datenspuren, die MigrantInnen bei Polizeikontrollen, als Passagierdaten oder bei behördlichen Anträgen hinterließen. Auch Informationen von Führerscheinstellen und Taxi-Lizenzen werden genutzt.
Die „Al-Capone-Methode“ ist ein Beispiel für die zunehmende Vorverlagerung polizeilicher Arbeit in den Bereich der Gefahrenabwehr. Mit dieser sogenannten „aufklärungsbasierten Strafverfolgung“ („intelligence-led law enforcement“) wollen auch dänische Behörden mit zwei Spezialabteilungen unerwünschten Aktivitäten von Straßengangs, Rockergruppen und MigrantInnen auf die Spur kommen. Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden werden miteinander verzahnt: Neben den Polizeibehörden aller Regionen und Landkreise sind Steuer- und Sozialbehörden Teil der Kooperation.
Letztes Jahr hatte hatte auch der Berliner Innensenator Frank Henkel angekündigt, die „Al-Capone-Methode“ gegen Hells Angels und Bandidos zu nutzen.
Auch in Irland, Litauen und Schweden werden „disziplinübergreifende Einrichtungen“ für Finanzermittlungen aufgebaut. Hierfür werden Zentralregister von Bankkonten genutzt, wie sie in Frankreich, Deutschland, Italien, Portugal, Rumänien und Slowenien eingerichtet wurden. In Tschechien gewährt ein zentrales Fallbearbeitungssystem den Steuerbehörden Zugriff auf statistische Daten polizeilicher Ermittlungen.
EU lobt „proaktiven und präventiven Zusatznutzen“
Steuerbehörden sollen laut einem Papier der Europäischen Union derartige computergestützte Analysewerkzeuge verstärkt nutzen. Auf einer von der EU-Agentur zur justiziellen Zusammenarbeit (Eurojust) abgehaltenen Konferenz warb der Vizevorsitzende der Finanzabteilung der holländischen Staatsanwaltschaft, Finanzermittlungen in allen Kriminalitätsbereichen zu verankern. Dadurch könnten Netzwerke aufgespürt und „Anführer“ ermittelt werden. Es ließen sich sogar Hinweise zum „Hauptquartier“ der inkriminierten Gruppen analysieren.
Im Oktober 2012 hatte der Rat der Europäischen Union der Ratsarbeitsgruppe „Allgemeine Angelegenheiten“ einen Bericht mit „Schlussfolgerungen und Empfehlungen“ übermittelt. Finanzermittlungen würden demnach einen „proaktiven und präventiven Zusatznutzen“ auch bei der „Terrorismusfinanzierung“ und anderen schweren Straftaten versprechen und helfen, „internationale Netze der organisierten Kriminalität zu zerschlagen“:
Finanzermittlungen sollten in allen Fällen schwerer und organisierter Kriminalität (einschließlich Terrorismus) durchgeführt werden, und nicht nur bei bloßen Wirtschafts- und Finanzdelikten. Es sollte daher eine übergreifende Politik für Finanzkriminalität und Finanzermittlungen konzipiert werden, die für alle einschlägigen Behörden, einschließlich Strafverfolgungsbehörden, gilt und zum Ziel hat, komplexe und langwierige Ermittlungen im Bereich der Finanzkriminalität schneller voranzubringen.
Ermittelt würden etwa „Motive, Beziehungen und Verbindungen zu Personen oder Orten“, aber auch Bewegungsprofile von Verdächtigen. Dieser tiefgreifende Eingriff in die Privatsphäre wird in dem Dokument als „proaktive, verdeckte Nutzung von Finanzinformationen“ bezeichnet.
Datenschutz als letztes Hindernis
Unverhohlen beklagt der EU-Bericht nationale Bestimmungen des Datenschutzes als Hindernis für den Zugriff auf weitere Datensammlungen. Demnach würden dadurch die Möglichkeiten, „an solche Daten heranzukommen“, behindert. Empfohlen wird, dass sich die Ermittler dennoch über internationale Gremien Zugang zu den begehrten Daten verschaffen können – nämlich über ein undurchsichtiges Netzwerk von Verbindungsbeamten:
Sofern dies auf nationaler Ebene nicht möglich ist, sollten maßgeschneiderte Vereinbarungen über den Datenaustausch gefördert werden. Zur Erleichterung der operativen Zusammenarbeit könnten Verbindungsbeamte zwischen den Dienststellen benannt werden.
Finanzämter, Polizei- und Zollbehörden der Mitgliedstaaten werden angehalten, verstärkt Kapazitäten von Agenturen der Europäischen Union zu nutzen, insbesondere von Europol und Eurojust. Beide würden über „modernste Computersysteme“ verfügen, mit denen „große Mengen an Daten im Bereich der Finanzkriminalität ausgewertet werden können“. Vor allem Europol besitzt laut dem Dokument eine mehr als zehnjährige Erfahrung mit der „Analyse strafrechtlicher Erkenntnisse der Mitgliedstaaten“.
Auch die damaligen G7-Staaten (heute G8) hatten die Bedeutung von Finanzermittlungen erkannt und hierfür die sogenannte Financial Action Task Force (FATF) gegründet. Sie hat derzeit 36 Mitglieder, Deutschland gehört zu den Gründern. Die Organisation entwickelt Standards zur Bekämpfung von Geldwäsche, aber auch der Finanzierung von Terrorismus und Waffenhandel. Unter anderem analysiert die FATF veränderte Methoden der Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung oder anderer Kriminalitätsbereiche. Ihre „40 Empfehlungen“ enthalten auch eine „proaktive Strafverfolgung“:
At least in all cases related to major proceeds-generating offences, these designated law enforcement authorities should develop a pro-active parallel financial investigation when pursuing money laundering, associated predicate offences and terrorist financing.
Wie die EU regt auch die FATF die Einrichtung neuer, übergreifender „nationaler Zentren“ aus mehreren Behörden an. Sie sollen in jedem Mitgliedstaat als Kontaktstelle zur Entgegennahme, Analyse und Weitergabe von Meldungen über verdächtige Transaktionsmeldungen dienen. Die Einrichtungen müssten „direkt oder indirekt“ Zugang zu „finanziellen, administrativen und polizeilichen Informationen“ erhalten. Die nationalen Finanzermittlungsgruppen sollen laut der FATF sogar ein politisches Mandat übernehmen: Von ihr gewonnene Erkenntnisse müssten in die „Entwicklung und Umsetzung von politischen Strategien und Aktivitäten“ einfließen.
Geld stinkt nicht und Geld ist ein Machtmittel.
Wieso sollte es nicht ein legitimer Anspruch sein, einer dem Gemeinwohl orientierten demokratischen Gesellschaft, über das Erwirtschaften von Geldmitteln im Bilde zu sein und z.B. Einkommenssteuern zu erheben?
Solange Daten über zu versteuernde Geldmittel nicht mit Daten der politischer Anschauung, Migrationshintergrung o.ä kombiniert und investigativ präferiert werden, ist es unproblematisch.
Wenn sich allerdings die Aufmerksamkeit des Staates gegen spezielle soziale Gruppierungen richtet, z.B. die politische Opposition oder wie bei der Polizei das Racial Profiling, wäre es latent faschistisch.