Die Regierungen Litauens, Griechenlands und Italiens beraten über eine Neuauflage des „Stockholmer Programms“. Der Fünfjahresplan für Justiz und Inneres hatte vor seiner Verabschiedung Bürgerrechtsgruppen und DatenschützerInnen in Atem gehalten: Denn es ging um nicht weniger, als Weichenstellungen auch für den polizeilichen Umgang mit personenbezogenen Daten festzulegen.
Deutschlands damaliger Innenminister Wolfgang Schäuble wollte den Masterplan in seinem Sinne beeinflussen und richtete hierfür eine sogenannte „Zukunftsgruppe“ ein. Es handelte sich dabei um eine Art Stammtisch, denn die Gruppe wurde nicht parlamentarisch kontrolliert. Postuliert wurde damals ein „Digitaler Tsunami“, allerdings war damit das Gegenteil einer Katastrophe gemeint: Polizeien und Geheimdienste freuten sich auf stetig wachsende Datenhalden.
Angesichts ausufernder Funkzellenauswertung, der steigenden Versendung „Stiller SMS“, Rasterfahndungen bei Banken und Kreditinstituten, Passagierdatensammlungen und der Nutzung von polizeilicher Analysesoftware und „Data Mining“ sei noch einmal an Konzeptpapier der „Zukunftsgruppe“ erinnert (2007):
Eine offensichtliche Umsetzung ist die Möglichkeit, den Standort von jedem aktiven Handy zu verfolgen (und zu wissen, wo sie zuletzt aus- und eingeschaltet waren). Dies ist nur der Anfang. In den nächsten Jahren werden Milliarden von Elementen der physischen Welt miteinander verbunden, darunter Technologien wie Radio Frequency Identification (RFID), drahtloses Breitband (WiFi, WiMAX), satellitengestützte und kleinere drahtlose Systeme (Bluetooth, Wireless USB, ZigBee). Dies bedeutet, dass mehr und mehr Objekte in Echtzeit verfolgt werden können und ihre Bewegung und Aktivität auch nachträglich analysiert werden kann.
„Dies ist nur der Anfang“ war wohl ernst gemeint. Denn es ging damals auch um Fahndungen in Sozialen Netzwerken, dem Aufspüren von Fahrzeugen über SIM-Karten und „Predicitve Analytics“, also der Vorhersage von Straftaten oder abweichendem Verhalten – CAMINSENS, MuVIT, ASEV, ADIS und INDECT lassen grüßen.
Hier noch ein Zitat aus dem Abschlussbericht der „Future Group“:
Information ist der Schlüssel zum Schutz der Bürger in einer zunehmend vernetzten Welt, in der Sicherheitsbehörden Zugang zu schier grenzenlosen Mengen an potenziell nützlichen Informationen haben werden. Dies ist sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance. Sicherheitsbehörden müssen ihre Arbeitsweise ändern, wenn sie diese Datenflut bewältigen und Erkenntnisse daraus gewinnen wollen.
Dem „Stockholmer Programm“ gingen das „Tampere Programm“ und das Haager Programm“ voraus. Ob es tatsächlich wieder einen neuen Fünfjahresplan (das „Rom Programm“) gibt, ist noch unklar. Denn wegen des Vertrages von Lissabon und dem dort verankerten Mehrheitsprinzip (statt Einstimmigkeit) braucht es das Maßnahmenpaket vielleicht nicht mehr. Auf jeden Fall soll es um die Festlegung neuer „strategischer Leitlinien“ gehen, obwohl diese längst andernorts definiert sind.
Es sah und sieht nicht gut aus für europäische BürgerInnenrechte. Damals blieb der Widerstand auf nationaler Ebene stecken. In Deutschland wurde die Entwicklung verschlafen, da sich Bewegungen hier lediglich auf die geplante Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung festlegten. Protest in Brüssel kam nur zögerlich in Gang, widmet sich aber wenigstens auch anderen Erscheinungsformen von Überwachung und Kontrolle. Immerhin gab es einige Aktionen in Stockholm, wo das Programm 2008 auf die Schiene gesetzt wurde, unter anderem wurde ein Haus besetzt. Alle Berichte und Aktionen wurden auf einer Kampagnen-Webseite gesammelt.
Litauen hat nun ein vorläufiges Papier zur Umgestaltung der europäischen Innenpolitik vorgelegt. Beraten wird es zunächst von Griechenland und Italien (den zukünftigen Präsidentschaften). Im Juni 2014 entscheidet der Rat der Europäischen Union darüber.
Update: Worum es zukünftig gehen könnte, ergab die kürzlich eingetrudelte Antwort auf eine Kleine Anfrage „Kooperationen und Projekte europäischer Polizeien im ersten Halbjahr 2013“. Teil 1 hier, Teil 2 hier.
„Datenflut bewältigen.. Schlüssel zum Schutz der Bürgerinnen… Standort verfolgen.. wo… wielang… in Echtzeit… Bewegung und Aktivität nachträglich analysiert…“
Weisste Bescheid. Immer, überall, Alles und Jeder. Sicherheit.
Protest: in ein paar Jahren nochmal versuchen. Es geht um die Zukunft. Wie wahr! Über Stock und Holm zum Syndrom.
Und nun streichen wir behördenkonform das Nichtzutreffende und lesen den Satz noch mal:
„Information ist der Schlüssel … zum Bürger.“
So wird ein Stiefel draus.
Ich denke die ganze Sache wird überbewertet. Die Dienste haben dies schon immer getan, es ist deren Aufgabe. Heute ist ist es nur ungemein leichter. Sie müssten schon explizit weghören. Und das sollte in Zukunft mit den weiteren technischen Entwicklung leichter sein – das gezielte Weghören. Jeder sollte sich aber bewusst machen, dass die Spuren, die man zieht, nunmal da sind und nicht mehr verschwinden – unabhängig von irgendwelchen staatlichen Diensten. Dafür gibt es schon heute zuviele privat betriebene robots etc. Allein mit deren völlig unkontrolliert und unregulierbaren Datensammlungen sollte es in nicht allzuferner Zukunft möglich sein das zu erfahren, was aktuell mittels teurer Speziallösungen, grob PRISM, möglich ist. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.
Dass der technische Fortschritt die Überwachung spielend leicht macht, ist mir zu pauschal und Totschlagargumente finde ich unangebracht.
Ich habe noch nie gehört, dass Handykommunikation irgendwo für immer Spuren hinterlässt. Wenn man sich auf Prism bezieht, frage ich mich, warum jetzt diese gigantischen Speicher gebaut werden müssen. Scheint doch viel Geld und Aufwand nötig zu sein, um alles abzufangen.
Genauso gut könnte man die Behauptung in den Raum stellen, dass durch technischen Fortschritt ohnehin bald keine Kommunikation mehr existiert, die aufgespürt entschlüsselt werden kann?!
Das ewige geschrei in D. wegen der Privatzone ist zum lachen. In D werden die CD angekauft und die SP macht das grösste Theater von wegen „Schutz“. Ja Schutz vor der SP. Kommt wieder auf den Boden und werdet sachlich. Der Wahlkampf mögen leider nicht alle vertragen
Ständig dieses Geschrei wegen der Pivatzone. Haben die nicht gelernt den Mund zu halten die Deutschen in der DDR oder davor? Haben die noch nicht genug? Sachlich betrachtet ist doch Lachen das Beste, wenn der doppelte Boden des Grundgesetzes angekauft.. häh, was?
Wenn *alle* prophylaktisch als verdächtig gelten, ist niemand verdächtig …
Im Ernst:
Die anfallende Datenmenge wird über kurz oder lang so groß werden, dass sie auch mit den klügsten Computer-Algorithmen nicht mehr sinnvoll analysiert werden können, weil diese Analysen letztendlich von Menschen ausgewertet werden müssen.
Wenn die Datenmenge – wie zu erwarten – exponentiell ansteigt, brauchte es folglich immer mehr Menschen zur Auswertung dieser Analysen.
Am Ende arbeitet die halbe Menschheit an den Analysen, mit denen die andere Hälfte überwacht werden soll.
Wer aber überwacht die dann die Analytiker und wer deren Überwacher ???
Die emsigen Datensammler werden sich schnell überfressen und verschlucken.
Derartige Allmachts-Phantasien hatte schon vor 40 Jahren der Ex-BKA-Chef Horst Herold – er war an mangelnden Speicherkapazitäten gescheitert – seine Nachfolger werden in der Datenflut ertrinken.
Und über eines sind wir uns wohl alle einig:
Es geht *nicht* um den Schutz des Bürgers, sondern um der Machterhalt der Herrschenden.
„DatenschützerInnen“ „BürgerInnenrechte“
Geht das auch auf Deutsch, verdammt noch mal?
klappe halten, kopf benutzen.