Live: 2-Strikes-Anhörung im Bundestag

Der Unterausschuss Neue Medien im Bundestag veranstaltete heute eine Anhörung zum Thema “Vermarktung und Schutz kreativer Inhalte im Internet”.

Rechtsanwalt Dieter Frey erklärte in seinem Eingangsstatement, dass er „hier das Fernmeldegeheimnis“ vermisse. „Ein solches Modell wäre undenkbar auf freiwilliger Basis“, das ergebe sich aus europäischem Recht und dem Grundgesetz.

Dirk von Gehlen von Jetzt.de erklärte, dass man im Kern die einfache Frage zu beantworten haben, „wie gehen wir damit, dass wir nahezu kostenfrei Kopien erstellen können?“ Er stellte die Frage, ob man die Zahnpasta wieder in die Tube zurückbekommen könnte: „Glauben wir, dass wir juristisch, technologisch, päddgogisch hinter diesen Punkt zurück wollen, wieder dahin, wo wir früher waren?“ Andere Fragen wären auch erstmal wichtig zu beantworten, z.B. ob die technologische Entwicklung mit einem Rückgang von Umsätzen zusammenhänge oder eher nicht. Wenn dem so wäre, wäre das mit Kanonen auf Spatzen schießen vereinbar und damit etwas unverhältnismäßig. Dirk von Gehlen stellte auch die Frage der Verhältnismäßigkeit, diesen Aufwand zu betreiben und damit auf in das Fernmeldegeheimnis einzugreifen. Zur Zeit würden wir eine sich drehende gesellschaftliche Debatte sehen, wo die Frage der Verhältnismäßigkeit in den Vordergrund kommt. Er schloß mit einem Plädoyer, dass „wir die Politik der Rechtsdurchsetzung beenden können“. Stattdessen sollten wir besser über alternative Modelle nachdenken und bessere Geschäftsmodelle schaffen: „Lasst uns über Geschäftsmodelle ohne Verletzerverfogung reden“.

Frank Rieger vom Chaos Computer Club kam auf die Abmahnindustrie zu sprechen, von „Vorsichtig formuliert halbseidenen Firmen, die von Glücksrittern betrieben werden, die sich damit einen goldenen Reihbach verdienen“. Die Ermittlung der IP-Adressen, um eine Abmahnung oder einen Warnbrief zu verschicken, wäre ungenau. Der CCC geht von 8-10% Ungenauigkeit aus. Rieger macht sich Sorgen, was nach einem Warnmodell kommt, wenn dieses nicht so klappen sollte, wie erhofft: Ist ein Warnmodell der Einstieg in eine Vollüberwachung? Technisch sei mit Deep-Packet-Inspection eine Echtzeitüberwachung des Datenverkehrs technisch möglich, aber „politisch müssen wir uns dagegen entscheiden“. Der CCC befürchtet, dass am Ende eine zentralisierte Datenbank stehe, um die IP-Adressen zu verwalten und der nächste Schritt sei eine Struktur, die zur zentralisierten Überwachung führe.

Oliver Süme vom eco erklärte, dass es rechtliche, wirtschaftliche und rechtspolitische Bedenken gegen ein Warnmodelle gäbe. Die Zusammenstellung der Infos über Inhaber einer IP-Adresse berühre das Fernmeldegeheimnis und sei Datenschutzrechtlich relevant. Er kritisierte den Einstieg in die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung.

Florian Drücke von der IFPI kritisierte, dass Dirk von Gehlen 20% Tauschbörsennutzer als konkrete Zahl genannt hatte. Diese Zahl gäbe es gar nicht, man hätte keine genauen Zahlen. (Ich kenne ja nur die offizielle CDN-Studie der Musikindustrie, die von unter 5% der Internetnutzern ausgeht, die schonmal kostenlos Dateien runtergeladen haben, warum ist sie ihm nur nicht eingefallen?)
Die Musikindustrie sei übrigens jederzeit bereit, über Abmahnindustrie zu sprechen.

Frank Rieger verweist auf die Auswirkungen der Abmahnindustrie auf das Rechtsverständnis von betroffenen jungen Menschen. Das würde eher zu Boykott führen und nicht die gewünschte Wirkung haben. In Frankreich hätte es durch Hadopi einen Rückgang von p2p gegeben (Und Wechsel zu 1-Click-Hostern und so), aber gleichzeitig würde man auch klar einen Rückgang bei legalen Inhalten sehen. Daraus zieht er den Schluß, dass es dort schon mehr Boykott wegen unverhältnismäßigen Maßnahmen gibt. 1.500 Euro für gegenerische Anwälte wegen Downloads sei vergleichbar mit halbem Jahr Knast wegen Überquerens einer Strasse nachts um Vier bei Rot.

Dirk von Gehlen ergänzt das und fragt: Wollen wir die Rechte der Rechteinhaber über die Rechte der Gesellschaft stellen? Finden wir das ok, dass wir nur die verfolgen, die nicht wissen, wie man VPNs nutzt und beim Filesharing aufpassen? Dann bekommen wir großen Legitimationsverlust im Urheberrecht, das wäre eine Katastrophe. „Dieser Erosionsprozess hätte schlimmere Folgen als 20% Urheberrechtsverletzungen bei p2p“.

Ganz groß war das praktische Beipiel von Professor Schwartmann, warum man jetzt ein Warnmodell brauche. Und zwar ging das in etwa so: Was ist mit den Leuten, die Kinder und ein WLAN haben und deren Kinder in Facebook das WLAN-Passwort reinschreiben und ihre Freunde sich dann Sachen runterladen? Hier würde ein Warnhinweis an die Eltern pädagogisch helfen, das Passwort zu ändern. Geschichten, die das Leben schreibt. „Kritik an Warnhinweis ist so, als würde ich Postboten vorwerfen, dass er eine Anklageschrift zustellt“, so Erfinder Rolf Schwartmann.

Drücke war dann nicht in der Lage, genauere Zahlen zu den Abmahnungen zu geben, weil er die nicht hätte. Hier hätte es ja gereicht, nur die Zahlen zu den Abmahnungen zu nennen, die von den IFPI-Firmen als Dienstleistungen verschickt und kassiert werden. Diese Zahlen sollte die IFPI doch haben.

hier war der Teil zu 2-Strikes vorbei und ich hab aufgehört.

Es gilt: Ich blog hier live, Rechtschreibfehler werden vielleicht später korrigiert und ich schaff es leider nicht, sämtliche Aspekte mitzuschreiben.

Eingeladen sind folgende Personen (Ihre Stellungnahmen finden sich jeweils hinter den Links, Warner Bros bewirbt übrigens aktuell funktionierende Streamingplattformen):

Reimut van Bonn, Musiker, VUT – Verband unabhängiger Musikunternehmen e. V.
Dr. Florian Drücke, Bundesverband der Musikindustrie e. V.
Dr. Dieter Frey, Fachanwalt für Urheber und Medienrecht
Dirk von Gehlen, Süddeutsche Zeitung
Frank Rieger, Chaos Computer Club
Prof. Dr. jur. habil. Rolf Schwartmann, Fachhochschule Köln
Christian Sommer, Executive Director, EMEA Anti-Piracy Operations, Warner Bros. Entertainment
Dr. Christian Sprang, Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V.
Oliver Süme, eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e. V.

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9 Ergänzungen

  1. Kritik an Warnhinweis ist so, als würde ich Postboten vorwerfen, dass er eine Anklageschrift zustellt

    Ich hätte nichts dagegen, eine Anklageschrift auch über das Internet zu bekommen, ähnlich wie vom Postboten. Wogegen ich aber etwas hätte, ist eine Anklageschrift vom Postboten zu bekommen, die vom Postboten geschrieben wurde, nachdem er meine Briefe durchwühlt hat, um belastendes Material zu finden.

    1. Ich habe das eher so verstanden, dass ein Produkthersteller dem Postboten erzählt „Du, der Andi hat eins meiner Produkte geklaut und sich zuschicken lassen!“, und der Postbote mir daraufhin schreibt „Ich habe gehört, Sie haben ein Produkt von Produkthersteller geklaut. Sowas darf man nicht! Vorletzte Warnung, sonst kann ich Ihnen vielleicht nie wieder was bringen!“

      Und wenn der Postbote mir das wahlweise zwei- oder dreimal gesagt hat, antwortet er beim dritten bzw. vierten Mal dem Produkthersteller „Boah, schon wieder? Das habe ich dem Andi schon so oft erklärt!“, woraufhin der Produkthersteller direkt zum Gericht läuft und der Postbote dort als Zeuge aussagt, dass ich gerüchteweise Serientäter sei. Und wenn der Produkthersteller dann beweisen kann, dass ich in diesem (also dem letzten) Fall tatsächlich was geklaut habe, verbietet das Gericht dem Postboten, mir nochmal irgendwas zu bringen.

      1. Oder auch kurz:

        eine Anklageschrift vom Postboten zu bekommen, die vom Postboten geschrieben wurde, nachdem er meine Briefe durchwühlt hat, um belastendes Material zu finden.

      2. @ Nine of Thirteen:
        Nee, der Postbote wühlt ja eben gar nichts durch, sondern plappert nur ungeprüft eine eingeflüsterte Behauptung nach. (So ne Art „Stille Post“, haha.)

        Jedenfalls habe ich den werten Herrn Professor so verstanden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.