Gefälschte Transparenz im EU-Parlament

    Im Europäischen Parlament fand am letzten Donnerstag (1. März) die Hauptveranstaltung zu ACTA statt. Eingeladen waren einige Kommissionsbeamte und – für das Podium zu Grundrechtsfragen – sogar ein Urheberrechts-Anwalt, der sich auf Nachfrage aus dem Publikum als Lobbyist der Markenvereinigung INTA entpuppte. Als einziger offensichtlicher ACTA-Gegner durfte Michael Geist, Professor an der Universität Ottawa, sprechen. Vertreter der Zivilgesellschaft wurden nicht eingeladen. Obwohl man also allen Grund hatte pessimistisch zu sein, wurde man während des Workshops angenehm überrascht – die Stimmung im Saal war klar gegen das Abkommen.

    Der Vorsitzende des federführenden Ausschusses INTA, Prof. Vital Moreira, leitete durch den Workshop und pries die Veranstaltung einleitend als Triumph der Transparenz und der Offenheit des EU-Parlaments. Als dann aber der Auftritt von Michael Geist mit ordentlichem Applaus belohnt wurde, erklärte Moreira dem Publikum mehrmals, diese “Form des Protests” nicht zu dulden und kündigte an, die Leute aus dem Saal zu werfen. Wir haben die wundervollen Szenen auf YouTube zusammengeschnitten gefunden:

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    Details über den Verlauf des Workshops hat Erich Moechel hier schon verbloggt und Tweets kann man dort nachlesen. Den Workshop gibt es hier auch komplett zu sehen.

21 Ergänzungen

  1. Köstlich wie in dem Moment sein Podiumsnachbar zu ihm rüberblickt als das Wort „demonstrate“ fällt.
    In einem Blick der wohl sagen möchte „Meint er das als Spaß? Hm, nope.“
    Na dann schön weiter nachdenklich das Kinn kraulen und hoffen dass es nicht noch peinlicher wird.

  2. Mit Verlaub: Weder im Plenum noch im Ausschuss haben Nicht-Abgeordnete zu klatschen oder sich sonstwie zu beteiligen. Es ist einer Debatte im Ausschuss völlig abträglich, wenn da jubelndes Publikum sitzt, das die Akteure einseitig beklatscht. Was wäre denn umgekehrt, wenn dort eine Mehrzahl von ACTA-Fans im Publikum säße und „ihre” Vertreter anfeuert?

    Ich halte das im Interesse einer fairen Debatte für völlig legitim, auch wenn ich ACTA grundsätzlich ablehne.

    1. Ach, hast du schon mal eine Debatte in dem Kindergarten namens Bundestag gesehen? Reinreden; beleidigen; höhnisch lachen; ignorieren des Redners; trotzig was anderes tun, wenn einer eine Rede hält.
      Da habe ich es lieber, wenn von außen jemand jubelt oder klatscht, als so etwas Kindisches zu schauen.

      1. das tun die Abgeordneten, nicht das Publikum auf den Rängen. Im Bundestag bekommt man dann auch einen Platzverweis.
        Kai hat damit schon recht.

    1. es handelte sich aber nun nicht um eine Debatte im Ausschuss, sondern um eine Veranstaltung für die Öffentlichkeit.

      Es ist es egal, ob es eine Ausschussitzung oder „nur” ein Workshop war. In einer Diskussion steht der Austausch von Argumenten im Vorderund und nicht das Beklatschen von Meinungen, wie — richtig angemerkt von Blixten — in einer Talkshow. Es muss möglich sein, dass eine Debatte ruhig und sachlich geführt und nicht durch Applaus gesteuert oder beeinflusst wird. Ich finde es peinlich, dass hier so einige offenbar von einer angemessenen Streit- und Diskussionskultur weit entfernt sind.

      Die Spitze stellen dann Kommentare dar, die einen Bezug zur Diktatur in Weißrussland herstellen. Solche hanebüchenen Vergleiche zeugen von einer völlig unangemessenen Sichtweise auf demokratische Prozesse.

      1. Ähmmm, lieber Kai,

        gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie noch nie einem Workshop beigewohnt haben („teilgenommen“ sage ich bewusst nicht)? Ansonsten wüssten Sie, dass auf Workshops Beifall durchaus üblich ist.

        naja, Sie haben Ihre Meinung, lehnen anscheinend das Recht auf freie Meinungsäußerung ab und gehen davon aus, dass der Bürger gefälligst unmündig zu sein hat.

  3. War das nicht Weißrußland, wo auf der Straße nicht nicht mehr geklatscht werden durfte, weil das eine Demonstration gegen die Regierung war?
    Vorzeigedemokratie ;-)

  4. FAST wie in Belarus? Ich würde sagen, GANZ GENAU wie in Belarus. Aber wie sagt man dort so schön, „lieber Diktator als Demokrat“. Oder so ähnlich.

    Haben denn im Anschluss an die Aufforderung Leute grade mit Fleiß extra viel geklatscht?

  5. Ist INTA jetzt eine „Markenvereinigung“ oder der „federführende Ausschuss“? Das geht aus euremText leider nicht hervor, die Videos konnte ich mir noch nicht ansehen.

  6. Verstehe ich dass richtig, dass die „gefälschte Transparenz“ allein darin bestand, dass das Publikum sich nicht wie in einer Fernsehtalkshow benehmen durfte?

  7. der verlinkte Blog mit Bericht über die Veranstaltung ist sehr zu empfehlen; leider wird in dem Blog hier inhaltlich nicht berichtet.
    Man wünscht sich mehr solcher Veranstaltungen auch zu anderen Themen. Das ist in der Tat offene, transparente und lebhafte Demokratie. Respekt an auch an De Grucht das er sich dem so ausführlich stellt. Von einem deutschen Minister wäre sowas mit Sicherheit eher nicht zu erwarten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.