Vor zehn Jahren hat sich ein UNESCO-Forum quasi offiziell auf den Begriff „Open Educational Resources“ (OER) zur Bezeichnung offener – im Sinne von offen lizenzierter – Lehr- und Lernunterlagen geeinigt. Diesen Monat findet in Paris der „World Open Educational Resources Congress“ statt, in dessen Rahmen auch eine Deklaration („Paris Declaration“) verabschiedet werden soll, die Regierungen zur Entwicklung und Nutzung offener Lernunterlagen auffordert. Ein Entwurf der Deklaration (PDF) liegt nun in englischer Sprache mit der Bitte zur Kommentierung vor.
Nach einer Präambel, die Bildung als Menschenrecht ausweist und eine Reihe vorhergehender Erklärungen anführt, geht es im Kern der Deklaration um einen zehn Punkte umfassenden Forderungskatalog an die UNSECO-Mitgliedsländer, den ich im folgenden leicht gekürzt übersetzt habe:
- Bekanntheit und Nutzung von OER fördern: Die Verwendung von OER soll zur Verbesserung des Zugangs zu Bildung auf allen Ebenen, sowohl formal als informal, aus einer Perspektive des lebenslangen Lernens vorangetrieben werden und damit zu sozialer Inklusion, Gleichheit der Geschlechter und besonderen Bedürfnissen in der Bildung beitragen. Sowohl Kosteneffizienz als auch Lernerfolg werden durch die vermehrte Nutzung von OER verbessert.
- Rahmenbedingungen für ermöglichenden Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie schaffen: Die digitale Spaltung durch Enwicklung angemessener Infrastruktur, insbesondere leistbarer Breitbandverbindungen, breit zugänglicher Mobilfunktechnologie und verlässlicher Stromversorgung. Medienkompetenz verbessern und die Entwicklung von OER in offenen Standarddatenformaten anregen.
- Entwicklung von OER-Strategien und -Policies verstärken: Spezifische Handlungsleitfäden für die Erstellung und Verwendung von OER im Rahmen allgemeiner Bildungsstrategien entwerfen.
- Offene Lizenzen verbreiten und verwenden: Mittels offener Urheberrechtslizenzen Wiederverwendung, Überarbeitung, Remix und Weiterverbreitung von Bildungsmaterialien auf der ganzen Welt fördern.
- Aufbau von Institutionen für eine nachhaltige Entwicklung qualitativ hochwertiger Lernmaterialien fördern: Einrichtungen sowie Lehrkräfte und andere Akteure unter Berücksichtigung lokaler Anforderungen bei Erstellung und Teilen hochwertiger Lernmaterialien unterstützen. Qualitätssicherung von OER vorantreiben.
- Strategische Allianzen für OER knüpfen: Strategische Partnerschaften zwischen Akteuren innerhalb und außerhalb des Bildungssektors für mehr Nachhaltigkeit eingehen.
- Erstellung and Anpassung von OER in einer Vielfalt an Sprachen und kulturellen Kontexten anregen: OER in lokalen Sprachen und diversen kulturellen Kontexten sichert deren Bedeutung. Internationale Organisationen sollten das Teilen von OER über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg unter Wahrung indigenen Wissens bzw. indigener Rechte befördern.
- Forschung zu OER unterstützen: Forschung zu Entwicklung, Nutzung und Re-Kontextualisierung von OER sowie hinsichtlich ihrer Folgen für Qualität und Kosteneffizienz von Lehren und Lernen liefert die Datenbasis für öffentliche Investitionen.
- Suche, Bereitstellung und Teilen von OER fördern: Entwicklung nutzerfreundlicher Werkzeuge zum Auffinden und Abrufen von OER mit Bezug auf spezifische Bedürfnisse. Dabei angemessen offene Standards zur Sicherstellung von Interoperabilität und Verwendung in verschiedenen Medienkontexten einsetzen.
- Öffentlich finanzierte Lernunterlagen offen lizenzieren: Regierungen und andere zuständige Stellen sollten sicherstellen, dass Lernunterlagen, die mit öffentlichen Geldern entwickelt wurden, unter offenen Lizenzen zugänglich gemacht werden.
Vor allem der letzte Punkt, eine Art OER-Klausel bei der Vergabe öffentlicher Mittel zur Erstellung von Lehr- und Lernunterlagen, würde in Deutschland tiefgreifende Änderungen in den bisherigen Finanzierungspraktiken und -strukturen, zum Beispiel im Schulbuchbereich erfordern. Dass es aber keineswegs unmöglich ist, beweisen andere Länder: So gibt es in Polen derzeit ein Pilotprojekt zur Erstellung offener Lernunterlagen im Schulbereich (vgl. „Polen setzt auf offene Bildungsmaterialien“). Und gestern erst hat in den USA der kalifornische Senat mit großer Mehrheit ein Gesetz verabschiedet (vgl. infojustice), das die Erstellung einer digitalen und Creative-Commons-lizenzierten Lehrbuch-Bibliothek vorsieht.
Weiterführende Informationen zum Thema Open Educational Resources sowie zur Situation in Deutschland liefert ein White Paper (PDF) zum Thema „Digitale Lehrmittelfreiheit“, das ich kürzlich für D64 verfassen durfte.
0 Ergänzungen
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.