Ausleihen zu vieler Bücher aus der Bibliothek: Haftbefehl für Aaron Swartz

Aaron Swartz, Programmierer und Aktivist bei Demand Progress wurde gestern verhaftet, weil er zu viele Artikel aus der wissenschaftlichen Datenbank JSTOR heruntergeladen hat.

Um es auch Nicht-Akademikern kurz zu erklären: Wer als Wissenschaftler einen Artikel publizieren möchte, tut das üblicherweise in einer Zeitschrift („Journal“) – und gibt dabei die Rechte am Artikel an den Verlag ab. Der Verlag vertreibt dann die Zeitschrift, üblicherweise im Abo, natürlich kostenpflichtig, vor allem auch für die Universität, die schon den Wissenschaftler und die Studie finanziert hat. Die Uni muss dafür bezahlen, ihre eigenen Forschungsergebnisse den eigenen Studenten zugänglich zu machen.

JSTOR als Non-Profit-Organisation bietet solche Abo-Modelle im Bündel an, und erlaubt den Nutzern freien Zugriff auf über 1.000 wissenschaftliche Zeitschriften. Üblicherweise handelt eine Uni Bündel-Konditionen für Lehrende und Studierende aus, die dann als Universitätsangehörige freien Zugriff auf die Artikel haben.

Das war auch am MIT der Fall, dem Aaron angehört. Er hatte das Recht dazu, all diese Artikel kostenlos zu bekommen
Also bastelte er sich einen Crawler, der über 4 Mio. Artikel aus der Datenbank herunterlud. Dafür musste er natürlich mit einigen einfachen Methoden den Crawler-Schutz, mit dem sich JSTOR gegen Datenlecks schützen muss, umgehen. Es ist nicht das erste Mal, dass Swartz so etwas im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit gemacht hat: Für einen Artikel in der Stanford Law Review untersuchte er 441.170 Artikel auf ihre Finanzierung. Update: Klarstellung: Die Zugangskontrolle funktioniert über die IP-Adresse: Stammt diese aus einem berechtigten Uni-Subnetz, funktioniert der Zugriff ohne weitere Passwortabfrage. Deshalb brachte Aaron im MIT einen Rechner unter, der außerdem regelmäßig seine IP änderte, um Sperrungen durch das MIT oder JSTOR zu umgehen. Hinzu kommt, dass er nicht MIT-Angehöriger war./Update

Die US-Staatsanwaltschaft machte jetzt aus dem Herunterladen von JSTOR die Absicht, das urheber-lizenzrechtlich geschützte Material in p2p-Netzwerken anzubieten, den unerlaubten Einbruch in das MIT-Netzwerk (in dem sich Swartz‘ Computer befand) und noch ein paar weitere witzige Anschuldigungen wie ‚rücksichtslose Beschädigung eines geschützten Computers‘

Die Höchststrafe im Falle eines Verurteilung beliefe sich auf 35 Jahre Knast und 1 Million Dollar Geldstrafe. In einer Pressemitteilung redet der Staatsanwalt auch permantent von Diebstahl, Computer-Betrug und ähnlichen abstrusen Vorwürfen.

JSTOR selbst erhält eine Zeugenvorladung, ist also in dem Fall noch nicht einmal Kläger, und äußert sich sehr verhalten zu der Angelegenheit. David Segalin von Demand Progress kommentierte ziemlich korrekt:

Das ist, als wenn man jemanden dafür verurteilt, zu viele Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen zu haben.

Update: Auch wenn erst noch geklärt werden muss, inwieweit dieser Vergleich zutrifft, denke ich dass das Problem darin liegt, dass es überhaupt so etwas wie „nicht zum Lesen berechtigt“ bei akademischen Artikeln gibt./Update

Bei Demand Progress gibt es eine Petition für Aaron Swartz.
Als OpenAccess-Verfechter, also Freund der Idee, dass durch öffentliche Universitäten geschaffenes Wissen allen Menschen frei verfügbar sein sollte, halte ich diesen Fall für in seiner Absurdität nicht zu überbieten: Swartz hatte das Recht, die Artikel zu herunterzuladen [unklar. Siehe oben]. Es war dafür nicht allzu knapp bezahlt worden.

Das Handeln der Verlage dient in keiner Form der Wissenschaft oder ihrem Vorankommen – im Gegenteil: Wenn, dann behindert es die Wissenschaft in ihrer Freiheit und der Entfaltung ihrer Wirkung. Es wird Zeit, dass im Bereich wissenschaftlicher Publikationen eine ähnliche Revolution wie im Film-, Musik- und Journalismus-Geschäft stattfindet. Gerade in der Wissenschaft haben lizenzrechtliche Korsetts überhaupt nichts verloren.

Der Fall Aaron Swartz wird durch seine mediale Aufmerksamkeit hoffentlich der lang erwartete Auslöser dafür werden. Wenn nur das US-Rechtssystem nicht für seine psychotischen Anmutungen bekannt wäre.

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49 Ergänzungen

  1. Was macht der Herr Schwartz denn sonst so, daß er ins Ziel der US-Amerikanischen Staatsanwaltschaft gerät?

      1. Danke. Ich hab vorhin auf Demand Progress zu oberflächlich geschaut. Die enagieren sich ja genau für die derzeit in Regierungskreisen unbeliebten Themen. Protect IP, Thee Strikes, Anti-Zensur, etc. Damit macht ein Angriff auf ihn wohl Sinn.

    1. In den USA gibt es sicher viele „Lapalien“, die einen in diese Situation buxieren können.

  2. Ist es nicht auch hier an den Universitäten so, daß man über seine Zugangsdaten nur dann Material runterladen darf, wenn es unter Garantie nicht weitergegeben wird? Habe meine Zugangsdaten trotzdem an Freunde verteilt. Soll sich bitte jeder so viel bei Springer oder sonst wo ziehen wie er will. Wo kommen wir denn da hin wenn jede wissenschaftliche Veröffentlichung nur gegen Geld einzusehen ist?!

    1. Laut dem NetzpolitikArtikel würde ich sagen das er die Artikel auch nicht weitergegeben hat.
      Diese Anschuldigung kommt von der Anklage.
      Die Argumentationskette ist die:
      Er hat viele Daten runtergeladen. Das sieht für den äusseren Betrachter recht willkürlich aus also will er das bestimmt zum p2p-download anbieten.

      Bezeichnend ist auch das die Anklage nicht von JSTOR selbst kommt.

  3. Ja, damit versuchen sie ihm etwas zu unterstellen. Soll Warnung und Einschüchterungsversuch für alle sein, die ähnliche Überzeugungen haben wie der Herr Swartz.

  4. Das „Krosett“ sollte bestimmt ein Korsett sein, beim Kopfschütteln sollte ebenfalls darauf geachtet werden das selbiger durch Heftigkeit nicht abfällt.

  5. Klarer Fall von insurance.dat.

    Was sagt denn die Uni/das MIT dazu? JSTOR ist leider etwas „too big to fail“, sonst könnte man sich da erstmals abmelden …

    Und wer genau klagt mit was gegen wen? Etwas mehr kann man schon in den Artikel packen. :)

    1. Hmm, die Anklage baut neben dem immer wieder dämlichen Argument der Beeinträchtigung andere User darauf auf, dass er eine Menge „krimineller“ Energie aufgewandt hat um zum Ziel zu kommen.

      Woran sie 33, „Swartz intended to distribute a significant portion of JSTOR’s archive of digitized journal articles through one or more file-sharing sites.“ fest machen, ist mir selber nicht ganz klar.

      Ich halte es alles für weit hergeholt. Aber er hätte auch einfach mal fragen können („Wissenschaftlicher Hintergrund“)

      Ansonsten wieder mal ein Argument mehr für OpenAccess in der Wissenschaft.

      Kann man irgendwo für den Prozess spenden?

  6. > Es wird Zeit, dass im Bereich wissenschaftlicher Publikationen eine
    > ähnliche Revolution wie im Film-, Musik- und Journalismus-Geschäft
    > stattfindet.

    Da braucht man ja nur mal in Studentenwohnheime schauen. Dort gibts für wissenschaftliche Publikationen (als eBook und auf totem Holz) genauso Tauschbörsen wie für Film und Musik. Das kann sich doch auch kein normaler Student leisten pro Semester 2-3 Bücher a 50 – 100 € zu kaufen.

    1. Lehrbücher sollten OpenAccess sein. Anders macht es eigentlich auch keinen Sinn. Es steht soviel Unsinn in den alten Auflagen und Fehler gibt es meist auch zu Hauf.

      1. Oh, schlage das den Professoren vor die verlangen, dass man Ihre Publikationen/Auflagen kauft und im Unterricht verwendet. Nicht ganz preiswert der Spaß.

        Und unfair gegenüber denen, die nicht die 50-100 € für solche Objekte haben.

        Generell sollten doch wiss. Publikationen, die durch Steuergeld finanziert wurden, frei verfügbar sein. Ist dies nicht der Punkt warum das Internet (bzw. HTML) geschaffen wurde? Austausch wiss. Publikationen..

    2. Ein Professor meinte, dass es kein vernünftiges Buch in seinem Fach gibt und wir deshalb nur sein Script nutzen sollten. Geld gespart!

  7. unglaublich… unglaublich
    was die sich alles einfallen lassen, um geld aus leuten rauszupressen!

    aber es sind „lizenzrechtliche Korsetts“ gemeint“ oder?

  8. http://about.jstor.org/news-events/news/jstor-statement-misuse-incident-and-criminal-case

    Gut Antwort von JSTOR schon mal vorab. Clever.

    „It is important to note that we support and encourage the legitimate use of large sets of content from JSTOR for research purposes. We regularly provide scholars with access to content for this purpose. Our Data for Research site (http://dfr.jstor.org) was established expressly to support text mining and other projects, and our Advanced Technologies Group is an eager collaborator with researchers in the academic community.“

    For additional information and media inquiries, contact Heidi McGregor, VP, Marketing & Communications at heidi.mcgregor@ithaka.org or (212) 358-6406.

  9. Einen Link zum Corpus delicti hätte ich mir von den hiesigen Qualitätsjournalisten aber schon erwartet. Link to torrent or it didn’t happen!

    1. Klarer fall: it didn’t happen.
      Dass es keinen Torrent gibt, ist die Pointe der Geschichte, man!

  10. „Üblicherweise handelt eine Uni Bündel-Konditionen für Lehrende und Studierende aus, die dann als Universitätsangehörige freien Zugriff auf die Artikel haben (…) Er hatte das Recht dazu, all diese Artikel kostenlos zu bekommen.“

    Wo und auf welche Weise hat Swartz das Recht zum Download von wem bekommen/lizenziert?

    Laut Anklageschrift war Swartz „not affiliated with MIT as a student, faculty member, or employee or in any other manner other than his and MIT’s common location in Cambridge.“

    Auch in der Stellungnahme von JSTOR ist davon die Rede, dass der Zugriff nicht autorisiert war:

    „Last fall and winter, JSTOR experienced a significant misuse of our database. A substantial portion of our publisher partners’ content was downloaded in an unauthorized fashion using the network at the Massachusetts Institute of Technology, one of our participating institutions. The content taken was systematically downloaded using an approach designed to avoid detection by our monitoring systems. “

    Was stimmt: Die Angaben in diesem Blogbeitrag oder die Angaben der US-Staatsanwaltschaft und von JSTOR?

  11. Ist doch total normal, daß man in der Bibliothek immer viel mehr Bücher ausleiht, als man dann wirklich liest oder gar durcharbeitet.

    Ich bestelle meine Bücher auch immer nur als temporäre Deko-Artikel für meinen Bücherschrank. :o)

  12. So sehr ich mit Aaron sympathisiere, ist das hier nicht ganz richtig dargestellt (wie DieterK oben schon ausgeführt hat). Aaron hat mit dem MIT nichts zu tun (hätte die ganzen Paper aber natürlich über Harvard’s Zugang bekommen können, denn dort ist er tatsächlich Fellow).

    Die Analogie wäre also korrekter: Jemand bricht in eine Bibliothek ein, um dort Bücher auszuleihen, obwohl er einen Bibliotheksausweis für die Bibliothek der Nachbarstadt hat, wo’s die gleichen Bücher gibt. (Und dummerweise ist eine Abteilung der Bibliothek danach eine Zeitlang geschlossen – anscheinend war der JSTOR Zugang des MIT ja für einige Zeit blockiert).

    1. Die entsprechenden Artikel bei Telepolis und Golem lesen sich in der Tat etwas anders als hier.

      Etwas seltsam mutet die ganze Aktion dann doch an. Warum lädt er die Dateien nicht in seiner eigenen Bibliothek herunter oder stellt gar eine Anfrage JSTOR? Nur um zu zeigen, dass er’s kann?
      Andererseits frage ich mich aber auch, warum die Staatsanwaltschaft unbedingt auf eine Anklage besteht, obwohl er sich bereits mit JSTOR geeinigt hatte? Und wie kommt man auf die Idee, dass er die Dateien (die er JSTOR ja offenbar zurückgegeben hat) über p2p verteilen wollte?

  13. QDieterK: Aaron Swartz ist Mitglied im MIT somit berechtigt lt. Statut die OpenAccess Bibliothek kostenlos zu nutzen. Er kann soviele Dokumente ausleihen, wie er will. Er ist nur nicht berechtigt, die Sicherheitsmechanismen mittels Crawler zu umgehen. Das hat er gemacht. Dafür soll er für 35 Jahre ins Gefängnis. Die Mächtigen haben Angst vor solchen Menschen. Menschen, die Wissen konsumieren, fangen an zu denken. Wer denkt, handelt auch irgendwann. Stellen Sie sich mal vor, alle Menschen würden von jetzt auf gleich anfangen zu denken. Morgen wäre Revolution. Oder haben Sie sich noch nie gefragt, warum unser Fernsehprogramm so aussieht, wie es aussieht?

  14. Swartz hat da am MIT ganz klar heimlich downgeloadet, sich vor den Überwachungskameras z.B. verborgen, etc., etc. Die Anklageschrift liest sich recht interessant. Die Gründe mögen sicher lauter sein, aber er hat sich damit angreifbar gemacht. Ganz normal im grünen Bereich war sein Verhalten nicht. Die in Aussicht gestellten Strafen sind trotzdem absurd und drakonisch, selbst für ein schwereres Vergehen. Scheinbar hatte er keine Ahnung was ihm da blühen kann.

    https://www.documentcloud.org/documents/217115-20110719-schwartz.html

  15. Wird die „DigitaleGesellschaft“ hier irgendwie zu Stellung beziehen? Es gibt aus meiner Sicht drei Punkte:

    1) Er hat gegen die *Bibliotheks* Regeln verstoßen, er hätte auch anders an die Daten kommen können (s.o., Kommentar von JSTOR)

    2) Was er getan hat, ist trotzdem nachvollziehbar. Ein Wissenschaftler braucht in dieser Zeit nicht mehr so Informationen betteln und suchen. Es ist ja quasi alles da, wenn es erst einmal gescannt/mit Metadaten versehen wurde.

    3) Es geht hier um den Schutz eines Geschäftsmodells, welches natürlich auch wiederum die Hardware etc., pp. bereit hält und auch Leute bezahlt die dort arbeiten.

    4) Gibt es einen bessere Vorschlag? Wie könnte der aussehen? (Universitäten hosten JSTOR, etc.)

    5) Ist euch die Geschichte mit Greg Maxwell bekannt?

    http://en.wikipedia.org/wiki/Philosophical_Transactions_of_the_Royal_Society

    http://idealab.talkingpointsmemo.com/2011/07/open-access-advocates-arrest-inspires-release-of-thousands-of-scientific-journals-online.php

    1. @icke: Nö. Warum sollte der Digitale Gesellschaft e.V. dazu Stellung nehmen? Wäre der gleiche Fall in Deutschland passiert, würden wir uns sicher äußern.

      1. Ich mir ist das zu D-zentrisch, sorry. ACTA und Co. wurden auch nicht in Deutschland gemacht. Zu OpenAcess Stellung beziehen kann man auch so.

        1. @icke: Das ist ein Fall, bei dem US-Gesetz gilt und der in den USA vorgefallen ist. Wir berichten hier darüber. ACTA & Co sind internationale Abkommen, die später auch hier in nationales Gesetz übernommen werden.

      2. Hmm, für mich ist diese Sichtweise nicht nachvollziehbar. Aber Du/Ihr werdet schon eure Gründe haben.

        Jeder Student der in D studiert wird JSTOR, Springer oder Elsevier nutzen (müssen). Damit ist das für mich ein ziemliches Thema. Aber egal.

        Zum könntet Ihr ja mal ein paar IFG Anfragen machen um rauszubekommen was JSTOR & Co. eigentlich wirklich kosten … Die Nationallizenz enthält nicht alles.

        1. @icke: Angesichts begrenzter Zeit der Mitmachenden, die das alles ehrenamtlich nebenbei machen, kommen wir wohl in absehbare Zeit nicht dazu, IFG-Anfragen zu diesem Thema zu stellen. Aber wir sind immer offen für Angebote, sowas im Rahmen des Digitale Gesellschaft e.V. zu machen, wenn jemand sich den Hut aufsetzen und etwas Freizeit und Einsatz einbringen möchte.

      3. Evtl. kann man hier Meta-Informationen bekommen: http://www.hbz-nrw.de/angebote/dbs/

        Letztendlich läuft es im Uni-Alltag eh auf den „Austausch“ zwischen internationalen Arbeitsgruppengruppen/Kollegen hinaus. Das bedeutet auch, dass hier das Urheberrecht schon lange von den „Sachzwängen“ und Möglichkeiten schon überholt worden ist. Das war auch früher so, da waren es aber mehr das Papier/die Kopierer.

        Die Fernleihe wird aber so teurerer und komplizierter — besonders wenn man weiß, dass es jetzt rein theoretisch alles sofort gibt. Es muss nur auch gelesen werden …

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.