In den letzten Tagen war die Verwunderung groß, dass ausgerechnet der als investigativer Journalist geltende Hans Leyendecker (Süddeutsche Zeitung) sich gegen Wikileaks positionierte.
Für das Deutschlandradio Kultur debattierte er heute mit dem in der Netzgemeinde nicht unbekannten Philip Banse. Nicht nur einmal gelang es dabei Banse, Leyendecker argumentativ in die Enge zu treiben.
Das ungekürzte Gespräch gibt es bei Philip Banse im Blog, bzw. hier als MP3.
„Nicht nur einmal gelang es dabei Banse, Leyendecker argumentativ in die Enge zu treiben.“
Bitte was? Leyendecker lebt offensichtlich noch in der guten alten Zeit klarer Rollenverteilung: Auf der einen Seite die (Investigativen?) Journalisten als Hüter der Informationen, auf der Anderen das dümmliche Publikum, dem man fast gar nichts zutrauen kann und das nur sehr selektiv informiert werden darf. Für die Botschaftsdepeschen gilt selbstverständlich, dass man sie immer in einen Kontext einordnen muss, wobei oft Fragen offen bleiben. Das ist bei anderen Informationsquellen ja auch nicht anders.
Wenn das zu schwierig ist, sollte man vielleicht das Internet abschalten und Tagesschau schauen. Hier gibts die Wahrheit zumindest als Illusion.
Herr Leyendecker lamentiert herum und schafft es in der Tat nicht, ein einziges stichhaltiges Argument gegen die Veröffentlichung durch wikileaks anzuführen. Dieses Streitgespräch hat daher 0 Informationswert.
Wer es noch nicht getan hat: Unsere Bildzeitung für Nerds, Fefe, hat das SWR2-Gespräch (MP3) verlinkt und zitiert einige Leyendecker-Zitate.
Das, liebe Kommentarleser, zieht einem wahrlich die Schuhe aus. Dagegen argumentiert Hans Leyendecker im DKultur-Gespräch mit Philip geradezu logisch und vernünftig:
http://blog.fefe.de/?ts=b20d29ba
Na also es hat insofern Informationswert, dass wir jetzt wissen, das Leyendecker Wikileaks primär nicht mag, weil er was gegen Assange hat.
Gut – das ist Ansichtssache! Ich persönlich bin auch nicht unbedingt ein Fan. Dennoch unterstütze ich Wikileaks, weil es eben eine neue Art der Informationsquelle ist.
Was mir in der ganzen Diskussion um wikileaks fehlt ist eigentlich ein ganz anderer Punkt: Wenn die USA ihre eigenen vertraulichen Daten sichern indem sie 2 Millionen Regierungsangestellten an Computern mit eingebauten Kopiervorrichtungen unbegrenzten Zugang gewähren – was machen die eigentlich mit unseren Daten? SWIFT, Fluggastdaten usw? Auf CD Brennen und auf der Straße verteilen? Ist schon eine Abordnung von EU Parlamentarieren in die USA gereits um sich die technischen Sicherungsmaßnahmen anzugucken? Oder werden unsere Daten nur durch „Gesetze“ geschützt anstatt durch Zugriffsbegrenzungen und Verschlüsselung?
Ah ich hab mir das schlimmer vorgestellt, aber man kann die Kritik von Leyendecker schon nachvollziehen. Er ist ein „alter Hase“ und repräsentiert den Journalismus als solches – als Filter für die Leser. Er traut seinem Publikum nicht zu, ungefilterte Informationen aufzunehmen, und ganz falsch liegt er da nicht. Wir sind ja weit entfernt vom 100% medienkompetenten Bürger.
Was er nicht versteht, ist die wachsende Anzahl von Menschen die eben doch so kompetent sind mit den Informationen umzugehen, wir befinden uns eben in einer Gesellschaftsveränderung. Und er versteht nicht das wikileaks nicht DIE Quelle ist, sondern ein Quellenvermittler. Und er ist geblendet von der aktuellen Sache um die Persönlichkeit Assanges.
Wir bräuchten öfter solche Diskussionen, die Zeit für das Gespräch war auch viel zu kurz.
@murry
Das ist allerdings eine sehr interessante Frage.
Warum mussten die USA überhaupt warten, bis sich der mutmaßliche Whistleblower selbst im Chat outet? Ein System mit Geheiminformationen sollte doch den Zugriff protokollieren und ein Abruf von 250.000 Dokumenten müsste doch eigentlich sofort auffallen…
@supernorbert @murry
Die Idee die Zugriffe zu loggen wäre wohl ein guter Tip gewesen. B.Schneier schreibt in seinem Blog unter #3 zu dem fehlenden Zugriffslog
„What is surprising is that there wasn’t any audit logs kept about who accessed all these cables. That seems like a no-brainer.“
http://www.schneier.com/blog/archives/2010/12/wikileaks_1.html
Aber die SWIFT Daten sind sicher, keine Sorge :-D
Ich finde viele Dinge, die Leyendecker sagt eigentlich ganz vernünftig – verstehe allerdings selbst nach dem Interview nicht, wieso er die Veröffentlichungen für nicht richtig hält.
Also, ich habe den Eindruck, Leyendecker ist nur angekekst, weil die Quelle jetzt auch allen anderen zur Verfügung steht, und nicht mehr nur seiner elitären Journalisten-Kaste wie bisher.
Es geht doch bei WikiLeaks eben gerade NICHT um die Hintergrundrecherche, sondern um die Quellenveröffentlichung. Ihm stehen doch nun alle Möglichkeiten offen, genau das Material durchzurecherchieren – warum macht er nicht einfach endlich seinen Job ?! Anstatt sich an der Symbolfigur Assange festzubeißen ? Die Geschichte ist also entweder die Meta-Ebene (also der Skandal um WikiLeaks an sich) oder eben die Depeschen. Und nicht die Frage ob oder ob nicht veröffentlich werden sollte ?!
Und letztlich geht es vielleicht auch ein wenig darum, daß seine SZ bei den Exklusiv-Partner der Ertsveröffentlichung nicht dabei war ? Klingt alles nach gekränkter Eitelkeit für mich.
@abe: Nein, ich glaube Leyendecker meint es wirklich ehrlich. Er hat irgendwo schon recht, dass wenn der investigative Journalist sich auf Wikileaks als einzige Quelle verlässt, und bei so einer Datenmenge ist es einfach schwer sich zu fokussieren und andere Quellen zu suchen, dann wird er seinen eigenen Ansprüchen an Qualität nicht gerecht.
Die Journalisten haben heute doch keine Zeit mehr ordentliche Arbeit zu machen, weil einfach zu viel Information da draussen ist und keiner so genau weiss, was ist echt, was ist Astroturf, was ist argumentativ einfach fehlerhaft. Und jetzt kommt Wikileaks daher und schmeisst 99% Müll und 1% werthafte Information in den Ring. Wer soll das alles durcharbeiten?
Man muss in Zukunft auch wirklich aufpassen, dass bestimmte Interessentgruppen nicht gezielt Sachen an Wikileaks lancieren, und man das dann so ohne weiteres glaubt, weil es ja von Wikileaks kommt. Wikileaks ist ein extrem scharfes Schwert, aber man muss als Leser deswegen trotzdem aufpassen, dass man sich nicht selber versehentlich damit das Bein absäbelt.
Wenn man die Aussagen Leyendeckers beim SWR und hier vergleicht, dann sieht man auch, dass er sich argumentativ entwickelt, durchaus die Gegenargumente aufnimmt. Man sollte aber seine Punkte auch nicht gleich abtun, da ist schon was wahres dran.
Leyendecker sagt es nicht so explizit, aber das Problem der Cables ist doch klar:
1) Es ist die Sicht von Bürokraten aus der US-Regierung. Wer überprüft, dass das stimmt?
2) Es ist die Sicht von Bürokraten aus der US-Regierung. Damit wird eine US-zentrierte Story als Schwerpunkt-Diskurs gesetzt.
Das ist ja überhaupt keine Kritik an der Veröffentlichung. Er denkt auf der semantischen Ebene, nicht auf der des Transport-Layer. Finde ich sinnvoll.
Philipp Banse kann da nichts dagegen setzen, weil er immer nur sagt „kann doch jeder jetzt rummachen mit der einen Quelle“.
@supernorbert
danke! du machst deinem namen wirklich ehre. beitrag nr.1 habe ich mit wonne gelesen. das schiefe weltbild eines hans leyendecker messerscharf auseinandergenommen.
Zwei Dinge sind mir wichtig:
das eine sprach @murry bereits an: Unsere SWIFT und Fluggastdaten sind nicht sicher. Ich gehemal soweit zu behaupten, dass diese Daten von Datamining- Programmen ausgewertet werden und an US- Unternehmen verkauft oder ihnen zur Verfügung gestellt werden. Es lassen sich damir wunderbare Profile erstellen, die den US-Unternehmen bei künftigen internationalen Ausschreibungen eine genaue Prognose gewähren, wie das Angebot des konkurrierenden europäischen Unternehmens aussehen wird.
Der zweite Aspekt ist, dass ich annehme, künftig Leaks werden von Botschaftsangehörigen gefälscht, um Wikileaks oder Nachfolgeorganisationen für bestimmte politische Ziele zu instrumentalisieren. Die Dokumente sind echt, aber die Nachricht darauf ist dann speziell formuliert für eine eventuelle Veröffentlichung. Es reicht schon, wenn der Inhalt einiger gefälschter Nachrichten nur dem Zweck dient, zu „beweisen“, auch am Inhalt der echten Depeschen zu zweifeln.
Hier bedarf es eines Markers, diese Dokumente als besonders Recherchewürdig zu kennzeichnen.
@Ralf Bendraht (Nr. 15)
Doch, er kritisiert auch die Veröffentlichung an sich, sagt sogar, dass er im Zweifel dafür gewesen wäre, die Depeschen nicht zu veröffentlichen.
Dass inhaltlich nicht wahr sein muss, was (formal wahr) irgendjemand erzählt hat, versteht sich doch von selbst. Aber es geht doch auch in den meisten Fällen gar nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um Einschätzungen. Natürlich können die falsch sein.
Dass die Cables US-zentriert sind, ist doch überhaupt kein Problem. Mit dem gleichen Argument könnte man ja den Bericht über einen CDU-Parteitag kritisieren, dass er CDU-zentriert ist.
Was ich mich frage: Warum schickt man die Leaks nicht einfach anonym an die großen Tageszeitungen. Wozu einen Mittler?
Von den Dokumenten wurden bisher nur wenige 1000 veröffentlicht. Insofern widersprechen sich die Wikileaks-Enthusiasten doch selbst. Offenbar stehen Dinge in diesen Dokumenten, wo auch hart-gesottene kalte Füße bekommen.
Nächster Punkt: Irgendwie verwahrlost das Netz zu Zeit. Erst DDOS-Keule und nun die Sache mit Gawker. Früher hat man einfach einen Defacement oder etwas ähnliches gemacht und es ansonsten gut sein lassen. Ich weiß nicht, ob man das mit Wikileaks in Verbindung bringen sollte, aber vollkommen losgelöst davon scheint es mit auch nicht zu sein. Die Leute meinen jetzt halt sich alles raus nehmen zu können. Es gibt keine Regeln mehr.
@DarkStar
Ja genau, früher war alles besser.
Aber mal im Ernst – Wikileaks hat es geschafft, dass sich x große, internationale Zeitungen gleichzeitig mit den Depeschen beschäftigen. Das hätte der Leaker so vmtl nicht hinbekommen. Und dabei dann noch anonym zu bleiben stelle ich mir auch schwierig vor, da man ja mittlerweile davon ausgehen muss, dass alle Transportkanäle für Information (Post, Email, Internetz allgmein) von den amerikanischen Geheimdiensten flächendeckend abgeschnorchelt werden und die Zeitungen da vmtl keine großartige Expertise besitzen.
Zweitens sehe ich die eher geringe Anzahl an bisher veröffentlichten Cables als Mittel, um die Aufmerksamkeit zu managen. Wenn man alles auf einmal freigeben würde, würden vmtl auch brisante Dinge einfach im Wust untergehen. Dass der Verdacht berechtigt ist, sieht man ja gut daran, dass der Spiegel sich erstmal auf den „Tratsch“ gestürzt hat, anstatt die eigentlichen Skandale zu behandeln. Nuja, andere Medien auch, aber da hätte ich mehr erwartet.
Ich denke in den letzten Sätzen wird Leyendeckers Position deutlich: Er kann halt „diesen Assange“ einfach nicht leiden.
Nicht mehr und nicht weniger und soweit erst mal durchaus verständlich.
Das bedeutet leider, daß die Speerspitze des deutschen Journalismus weder über das intellektuelle Format, noch über die persönliche Größe verfügt, um in Seiner Arbeit über seinen Anomositäten zu stehen.
Ein Grund mehr warum wir Wikileaks brauchen, damit jeder an die Quellen kommt und Größere als Herr Leyendecker Sie für Uns zusammenfassen können.
Und damit dürfte ich dann auch den tieferen Grund für Leyendeckers Position entdeckt haben: Dem und seinesgleichen geht der Arsch auf Grundeis.
er (der herr leyendecker) scheint also nach all den jahren so angebiedert von seinem publikum zu sein, dass er nun dieses emotionale verwürfnis – man könnte es auch enttäuschung nennen – auf neue phönomene in den medien projiziert. in diesem fall ist das also julian assange. und er reduziert sich dann darauf, die informationen der quelle für schlecht zu halten, weil er die quelle für schlecht hält?
@Ralf Bendraht (Nr. 15)
„1) Es ist die Sicht von Bürokraten aus der US-Regierung. Wer überprüft, dass das stimmt?
Genau, das ist eine berechtigte Frage von Leyendecker – spricht aber nicht gegen eine Veröffentlichung. Die erste Frage lautet: Sind die Dokumente echt? Sind sie. Ob die Diplomaten darin die Wahrheit schreiben muss Gegenstand der Berichterstattung sein. Interessant ist hier ja vor allem, dass diese Depeschen im Bewusstsein geschrieben wurden, dass sie geheim bleibe. Sie spiegel also die Weltsicht der US-Diplomaten wider, die sie ihren Chefs vermitteln wollen. Das ist eher interessant als ein Problem.