Netzneutralität im neuen TKG

Das Telekommunikationsgesetz (TKG) regelt die technische Infrastruktur, soweit es um Telekommunikation geht. Das betrifft verschiedenste Bereiche, unter anderem aber auch die Frage, ob und wie Netzbetreiber Daten, die über ihre Netze laufen, beeinflussen dürfen, z.B. verlangsamt, priorisiert oder gar nicht durchleiten. Mit anderen Worten: Soweit Netzneutralität in Deutschland in die Gesetze einfließen würde, bzw. wird, wäre das ein Thema für das TKG.

Für eine TKG-Reform ist vor zwei Wochen ein Referentenentwurf veröffentlicht worden. Ein solcher Entwurf stimmt nicht zwangsläufig mit dem neuen Gesetz überein – aber typischerweise ändern sich zwischen dem Referentenentwurf und dem fertigen Gesetz nur noch Details. Insofern kann ein solcher Entwurf schon viel Aufschluss darüber geben, was bald rechtliche Realität sein wird. Der TKG-Referentenentwurf, der hier auf Netzpolitik heruntergeladen werden kann, enthält einige Regeln in Bezug auf Netzneutralität. Wir konnten für Telemedicus Herrn Prof. Dr. Holznagel dafür gewinnen, sich den Entwurf mal in Bezug auf Netzneutralität anzuschauen. Weil das Thema relativ komplex ist, schreibe ich hier mal eine kurze Zusammenfassung.

Im Wesentlichen konzentriert sich der neue Entwurf auf Transparenzvorgaben. Das Kalkül: Solange die Kunden nur genau genug wissen, was ihre Access-Provider mit den Netzen anstellen, werden sie den Markt schon selbst regulieren. Holznagel fasst das wie folgt zusammen:

Dementsprechend schreibt § 43a Abs. 1 Nr. 2 TKG-E vor, dass die TK-Netzbetreiber und die Anbieter öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten dem Verbraucher und auf Verlangen anderen Endnutzern im Vertrag in klarer, umfassender und leicht zugänglicher Form die Art und die wichtigsten Leistungsdaten der angebotenen Telekommunikationsdienste zur Verfügung stellen müssen. Zu diesen Merkmalen gehören nach § 43a Abs. 2 TKG-E auch Angaben über alle weiteren Einschränkungen im Hinblick auf den Zugang zu und die Nutzung von Diensten und Anwendungen (Nr. 2), das angebotene Mindestniveau der Dienstqualität und gegebenenfalls anderer festgelegter Parameter für die Dienstequalität (Nr. 3), Information über alle vom Unternehmen zur Messung und Kontrolle des Datenverkehrs eingerichtete Verfahren, um eine Kapazitätsauslastung oder Überlastung einer Netzverbindung zu vermeiden (Netzwerkmanagementtechniken), und Informationen über die möglichen Auswirkungen dieser Verfahren auf die Dienstequalität (Nr. 4) sowie alle vom Anbieter auferlegten Beschränkungen für die Nutzung der von ihm zur Verfügung gestellten Endeinrichtungen (Nr. 5). (…)

Des Weiteren können die Anbieter verpflichtet werden, die Verbraucher über nachträgliche Änderungen, die die Nutzung der Dienste und Anwendungen einschränken, zu informieren (§ 45n Abs. 4 Nr. 3 TKG-E). Zudem können sie angehalten werden, vergleichbare, angemessene und aktuelle Endnutzerinformationen über die Qualität ihrer Dienste zu veröffentlichen (§ 45o Abs. 2 TKG-E).

Dass Parlamente bzw. auch die sonstigen mit der Gesetzgebung befassten Institutionen sich in Streitfragen auf „Transparenzvorgaben“ zurückziehen, ist nichts neues. Ob das ausreicht, kann man bezweifeln.

Zusätzlich nennt Holznagel eine zweite Eingriffsmöglichkeit. Gem. § 45o Abs. 1, Abs. 3 des TKG-Entwurfs kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) eine Rechtsverordnung aufstellen, in denen es den Internet-Providern (vielleicht) so etwas wie Netzneutralität vorschreiben könnte. Die Vorschrift lautet:

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages Rahmenvorschriften für die Dienstqualität und für zusätzliche Dienstmerkmale, die der Kostenkontrolle dienen, zu erlassen. (…) In der Rechtsverordnung nach Absatz 1 können gegenüber den Unternehmen, die öffentliche Telekommunikationsnetze betreiben, Mindestanforderungen an die Dienstqualität festgelegt werden, um eine Verschlechterung von Diensten und eine Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern. (…)

Das Problem an dieser Regelung: Niemand weiß bisher so richtig, was mit „Dienstqualität“ gemeint ist. Hat ein „Dienst“ dann „Qualität“, wenn er neutral ist? Oder geht es hier um etwas ganz anderes? Zumindest der letzte Satzteil („um eine Verschlechterung von Diensten und eine Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern“) deutet in die Richtung Netzneutralität. Holznagel diskutiert dieses Problem, eine abschließende Stellungnahme gibt er an diese Stelle jedoch nicht ab.

In § 45o Abs. 3 TKG-E ist auch noch geregelt, dass sich die deutschen Behörden über die Inhalte der Rechtsverordnung auf europäischer Ebene abstimmen müssen. Die Entscheidung darüber, ob bzw. wie neutral das Internet bleiben wird, fällt also nicht in Berlin, sondern in Brüssel. Aus meiner Sicht ist es jedenfalls durchaus möglich, dass sich die „Pro Netzneutralität“-Fraktion bei der Interpretation des § 45o Abs. 3 TKG durchsetzen wird.

Zur Kritik an dem Entwurf

Holznagel geht auch auf Kritik an dem Entwurf ein. Zum einen bezweifelt er, dass Transparenzvorgaben ausreichen, um die Netzbetreiber zu kontrollieren – wie vielen Endkunden ist die Netzneutralität so wichtig, dass sie deswegen ihren Internetprovider wechseln? Zumal, wenn das regelmäßig viel Geld und Zeit kostet, weil es Probleme mit der Technik gibt?

Zum anderen wirbt er für seine Idee, eine Art „netzneutrale Mindestkapazität“ vorzuschreiben:

Durch die Festlegung eines Mindeststandards an Dienstequalität können u.a. gewisse Bandbreiten für Best-Effort-Dienste gesichert werden. Diese Regelung ähnelt daher den herkömmlichen Must-Carry-Regelungen, die für bestimmte Medieninhalte gewisse Übertragungskapazitäten im Kabelfernsehnetz sichern. Parallelen gibt es auch zu den Universaldienstvorgaben, die z.B. für den Sprachdienst oder das Internet bestimmte Qualitätsanforderungen festschreiben. Diese Vorgaben sind zu begrüßen, können sie doch dazu beitragen, das Ziel der kommunikativen Grundversorgung gewährleisten.

Der Vorschlag ist hier, einen Teil der Bandbreite zwingend neutral auszugestalten, während in anderen Teilen der Bandbreite den Anbietern Eingriffe in die Netzneutralität erlaubt sein sollen (mehr dazu bei Telemedicus).

Zuletzt weist Holznagel noch auf einige rechtstechnische Schwierigkeiten hin. Zum einen ist es möglich, dass Brüssel die nationalen Behörden in der Regulierung „ausbremst“. Zum anderen gibt es in einem verwandten Rechtsgebiet, dem Rundfunkrecht, schon so etwas wie Vorgaben zur „Netzneutralität“. Wie diese Regeln mit der TKG-Novelle zusammenpassen sollen, ist noch offen.

Zum Beitrag bei Telemedicus.

Netzpolitik.org zum Referentenentwurf.

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