Große Koalition in Brüssel für Datenspeicherzwang

Der Ausschuss für Bürgerrechte und Innenpolitik im EU-Parlament hat heute mit großer Mehrheit für den EU-weiten Datenspeicherzwang von Telefon- und Internetdaten gestimmt. Damit hat sich ein Bündnis aus Konservativen und Sozialdemokraten gegen den Berichterstatter Alexander Alvaro durchgesetzt, der bis vor kurzem noch diesen Vorschlag massiv bekämpft hatte. Der Ministerrat und die Kommission waren schon länger dafür, während das Parlament als letzte Hochburg der Bürgerrechte galt. Es gibt zwar in der heute angenommen Fassung recht umfangreiche Regelungen gegen Missbrauch (zwingender Richtervorbehalt bei Zugriffen auf die Daten; keine Soeicherung von Email- oder VoIP-Daten – vorerst nur Login-Logoff-Infos; Einrichtung von aufsichtsbehörden in den Mitgliedsstaaten; …), aber dennoch stellt dieser Beschluss alle 450 Millionen EU-BürgerInnen unter Generalverdacht und ist eines Rechtsstaates unwürdig. Die Speicherfristen sollen 6-12 Monate betragen, und die bis vor kurzem ebenfalls entsetzten ISPs werden generös entschädigt. Die Musiklobby hat ebenfalls einen Etappensieg errungen – die Daten sollen auch für die Bekämpfung von „Piraterie“ genutzt werden können. Künftig werden also Teenager, die ihre iPods auffüllen wollen, auf die gleiche Stufe wie Kinderpornografen oder Terroristen gestellt. European Digital Rights hatte noch gestern 58000 Unterschiften aus der Kampagne „Data retention is no solution“ an die EU-Abgeordneten übergeben (Fotos).
Das weitere Vorgehen wird nun davon abhängen, ob der Ministerrat mit den Beschränkungen einverstanden ist oder noch mehr will (was dann das Parlament wieder zu mehr bürgerrechtlichem Geist bringen könnte). Die britische Präsidentschaft will das Projekt in einer verschärften Fassung jedenfalls bis Ende des Jahres durchboxen. Falls es wirklich dazu kommt, wird es ziemlich sicher eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geben, eventuell auch vor den nationalen Verfassungsgerichten. Das BVerfG hatte ja in letzter Zeit das Telekommunikationsgeheimnis mehrfach gestärkt und verhandelt wieder gerade so einen Fall. Es lohnt sich also weiterhin, hier den politischen Druck durch Bürgerrechts-Organisationen und Einzelne aufrechtzuerhalten.
Eine ausführliche Analyse mit vielen Links von Andreas Dietl gibt es hier, das Wiki von EDRI zum Thema hier.

3 Ergänzungen

  1. „Datenspeicherzwang“ Dies beweist doch nur, dass sich Handeln und Ausdrücke, die sich auf die Totalität des gesellschaftlichen Lebenszusammenhanges beziehen, heute bereits als Idiologie gelten. Beispiele, dass die Politik und die Wirtschaft sich nicht selbst an eigene Gesetze halten, wenn es um die Durchsetzung ihrer Intreressen geht, gibt es genug. Das Recht selbst wird damit zum Gegenstand einer idiologisch gerichteten Interessenjurisprudenz, die den Sozioaldarwinismus präferiert.

    Peter Stollenwerk

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.