Die kommerzielle Bedeutung von Standards

„Geld regiert die Welt“, heißt es sprichwörtlich. Und der Bürger hat oft das Nachsehen, wenn seine Interessen mit monetären Interessen von Firmen im Konflikt stehen. Was hat das mit Standards und der digitalen Revolution zu tun? Sehr viel, denn manche Firmen hoffen mit IT-Standards viel Geld zu verdienen. Man stelle sich vor eine oder mehrere Firmen verdienen automatisch und ohne Gegenleistung bei jeder digitalen Steuererklärung oder sonstigen E-Government-Anwendung. Sozusagen eine E-Government-Zwangsabgabe. Kann es nicht geben? Doch, denn Patente machen es möglich.

Heutzutage gibt es wahrscheinlich keinen Standard in der Informationstechnologie, der nicht von Patenten abgedeckt wird. Das bedeutet, der Standard kann nur dann in einer Software genutzt werden, wenn eine Lizenz des Patenthaltern vorhanden ist. Diese benötigte Lizenz kann kostenfrei oder gegen Geld erteilt werden. Es ist somit Sache der Standardisierer wie mit solchen Lizenzen umgegangen wird. Alle Standards des World Wide Web Consortiums (W3C) müssen beispielsweise lizenzkostenfrei nutzbar sein. Dies bedeutet, dass alle Patenthalter einer lizenzkostenfreien Nutzung ihrer des Standards betreffenden Patente a priori zustimmen müssen. Die Alternative ist das sogenante RAND-Lizenzmodell. RAND steht für reasonable and non-discriminatory und bedeutet, dass der Patenthalter jedem eine Lizenz geben muss, wenn der Lizenznehmer die Lizenzgebühren zahlt. RAND ist nicht kompatibel mit Open-Source-Software und dies hat zur Folge, dass solche Standards nicht in Open-Source-Software einsetzbar sind.

Bislang ist man in der IT-Industrie sehr gut mit lizenzkostenfreien Standards gefahren. Das Internet nutzt lizenzkostenfreie Standards, Datenbanken lassen sich durch lizenzkostenfreie Standards abfragen und Programmiersprachen stellen meistens ebenfalls lizenzkostenfreie Standards dar. Warum also ein gut funktionierendes System ändern? Weil die Euros locken! Man stelle sich vor, ein RAND-Standard schafft es in einen E-Government-Prozess (beispielsweise elektronische Steuererklärung). Der Patenthalter kann nun in den folgenden 20 Jahren mit reichlich Lizenzeinnahmen rechnen.

Und wenn es Geld zu verdienen gibt, dann ist auch die Lobby nicht weit entfernt. Und die Argumente für Lizenzgebühren sind sehr kreativ. So staunte ich nicht schlecht, als ich auf einer Informationsveranstaltung zu Offenen Standards von Industrievertretern sinngemäß folgende Argumentationskette hörte.

Der Standardisierungsprozess ist für Unternehmen sehr teuer und es muss die Möglichkeit eingeräumt werden, dass Unternehmen diese Kosten wieder reinbekommen können. Ohne Lizenzgebüren als Einnahmen ist die Standardisierung nicht finanzierbar. Dann wird es keine Standards geben. Das ist genauso wie bei der Musik, wenn im Internet die Musik nur kostenfrei heruntergeladen wird, dann wird es sich nicht mehr lohnen Musik zu produzieren und somit wird es keine Musik mehr geben. Aus diesem Grund müssen Standards Lizenzgebühren beinhalten dürfen, da es sonst keine neuen Standards mehr geben wird.

Diese Argumentationskette ist meiner Meinung nach reine Propaganda und entbehrt jeden Bezug zur Realität. Warum das so ist, werde ich im nächsten Absatz erläutern. Zunächst muss ich jedoch ein paar Worte zu der Analogie mit der Musik verlieren. Ich halte diese Entwicklung für extrem gefährlich. Hier wird bewusst die Forderung nach lizenzkostenfreien Standards mit dem illegalen Download von Musik im Internet gleichgesetzt. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen, nur um von der Tatsache abzulenken, dass keine Argumente vorhanden sind, die Lizenzgebühren in Standards rechtfertigen.

Die Argumentation setzt vorraus, dass die einzige Einnahmequelle zur Finanzierung des Standards Lizenzgebühren sind. Dies ist jedoch falsch. Es gibt folgende Einnahmemöglichkeiten, um die Kosten für einen Standard zu finanzieren:

  1. Erlöse durch die Software, die den Standard nutzt,
  2. Erlöse durch die Dokumentation des Standards,
  3. Erlöse durch Lizenzeinnehmen

Man sieht also, dass Lizenzeinnahmen nicht die einzige Möglichkeit darstellt, um den Standardisierungsprozess zu finanzieren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang noch, dass lizenzkostenfreie Standards sowohl in Freie Software, als auch in proprietärer (also evtl. auch lizenzkostenpflichtige) Software eingesetzt werden können, während lizenzkostenpflichtige Standards nur in proprietärer Software nutzbar sind. Interessanterweise kamen die Argumente von Unternehmen des Telekommunikationsbereichs, also nicht von IT-Unternehmen. IT-Unternehmen sehen dies glücklicherweise etwas anders. IBM, einer der größten Patenthalter im Softwarebereich, fordert beispielsweise lizenzkostenfreie E-Government-Standards.

Der Grund dürfte klar sein: IT-Unternehmen benötigen Standards, um die gestiegenen Anforderungen an Interoperabilität zu bedienen. Einnahmen werden nicht durch den Standard direkt, sondern indirekt durch die Software oder Dienstleistungen realisiert.

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