In den letzten Tagen durften wir wieder mehrfach von einer “virtuelle Schengen-Grenze” lesen, mit der Europa vor dem bösen Internet beschützt werden sollte.
Der Vorschlag sieht für den sicheren europäischen Cyperspace eine „virtuelle Schengen- Grenze“ mit „virtuellen Zugangspunkten“ vor, wobei die „Internet Service Provider unerlaubte Inhalte auf Basis einer EU-Blacklist abwehren sollen“ (unwatched.org, 6. Mai)
Dass die zur Diskussion stehenden Präsentation (PDF) eines (weiterhin) ungenannten „Experten“ für eine Arbeitsgruppe des EU-Ministerrats überhaupt beachtet wurde, ist, bei allem Respekt, aber wohl eher ein medialer Unfall.
Das Mem war einfach zu schön, um nicht thematisiert zu werden. Soweit kein Problem. Was dabei leider weitesgehend auf der Strecke blieb, war eine Einordnung bzgl. seiner Relevanz. Inzwischen gibt es nicht nur ein Dementi, sondern auch eine – leicht alarmistische – Stellungnahme von EDRi (gestern von Linus übersetzt), die die Präsentation noch einmal in einen anderen Kontext rückt.
Wie auch immer: Ich glaube weiterhin, dass man das Thema nicht zu hoch hängen sollte. Absurde Wünsche und Vorstöße gibt es in der EU immer mal wieder.
Nein, die „Great Firewall of Europe“ wird wohl nicht das nächste große Ding auf EU-Ebene. Letztendlich ist die Forderung nämlich weder mehrheitsfähig noch umsetzbar. Und das sind Kriterien, die nicht einmal die besten Spindoktoren ignorieren können.
Deutlicher brisanter ist da schon eine Initiative der EU-Kommision, die Achim Sawall für golem.de zusammenfasst:
Die Europäische Kommission erwägt möglicherweise, die Internet Service Provider dazu anzuhalten, ihre Netzwerke zu überwachen, um illegale Downloads zu bekämpfen. Die umstrittene Maßnahme werde derzeit vom Europäischen Gerichtshof geprüft. Wie das Onlinemagazin Euractiv.com aus kommissionsnahen Kreisen berichtet, werde begutachtet, ob dafür ein bereits existierendes spanisches Gesetz übernommen werden kann. In Spanien wurde das Sinde-Gesetz am 15. Februar 2011 angenommen.
Tatsächlich kommen hier nämlich ein paar Dinge zusammen, die uns wirklich Kopfschmerzen machen sollten. Zum einen vorraussichtliche das Ausspionieren der eigenen Kundschaft durch die Provider. Was der Europäische Gerichtshof von Deep Packet Inspection und Co hält, interessiert sicher nicht nur mich.
Spannend dürfte auch werden, was der Europäische Gerichtshof zur Netzsperren auf Zugangsebene („Löschen statt Sperren“ dürfte insbesondere bei p2p-Indexen nicht greifen) oder „Three Strikes“ als mögliche Maßnahmen auf Nutzerseite zu sagen hat.
Wir erinnern uns: Anfang April hatte sich der Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof, Cruz Villalón, bereits einmal zum Thema Netzsperren geäussert (PDF). Wenn überhaupt, seien diese nur auf Basis einer „klaren und vorhersehbaren gesetzlichen Grundlage“ denkbar, fasste Kai Paterna damals das Statement für Heise Online zusammen.
Bemerkenswert ist der Vorstoß aber vor allem, weil eine starke Lobby hinter ihm stehen dürfte. Sawall schreibt:
Im April 2011 wurde bekannt, dass die EU-Kommission eine frühere hochrangige Mitarbeiterin des Musikindustrieverbandes IFPI (International Federation of the Phonographic Industry) zur neuen Referatsleiterin der Urheberrechtsabteilung machen wolle. […] Martin-Prat war in der Vergangenheit bereits für die EU tätig, wechselte zur IFPI und kehrte wieder zur EU zurück. Im April war sie Referatsleiterin der Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen (GD Markt) der EU.
Als ein weiterer Befürworter gilt der französische Politiker Michel Barnier, derzeit EU-Kommissar für die Entwicklung des Binnenmarkts (bzw. „Binnenmarkt und Dienstleistungen“) und als solcher auch für Fragen des Urheberrechts zuständig, dem Euractiv gute Kontakte zum französischen GEMA-Äquivalent CISAC attestiert:
Internet providers and collecting societies are at loggerheads on the issue but sources claim that the latter will win because CISAC, the French collecting society, is successfully lobbying their compatriot, Michel Barnier, the commissioner for the internal market responsible for intellectual property policymaking.
Mit anderen Worten: Statt auf eine “virtuelle Schengen-Grenze” dürfen sich Teilnehmer am europäischen Datenverkehr wohl eher auf permanente Kofferraumkontrollen im Inland einstellen.
Der Euractiv-Artikel enthält leider ein paar Fehler. Die EuGH-Überprüfung bezieht sich nur auf ACTA, und sie soll klären, ob das Abkommen über bestehendes EU-Recht hinausgeht. (Das ist für internationale Abkommen nicht möglich.) Zudem liegt die Anfrage an den EuGH noch gar nicht vor. Die Grünen im EP wollten das diese Woche abstimmen lassen, aber die anderen Fraktionen spielen auf Zeit und wollen erstmal abwarten, bis das Parlament ACTA offiziell zur Ratifizierung zugeleitet bekommen hat. Dann besteht allerdings die Gefahr, dass eine wichtige Klärung bei einem auch juristisch hoch umstrittenen Abkommen nicht mehr erfolgt, sondern ACTA von schwarzgelb einfach so angenommen wird. Sanfter oder auch kräftigerer Druck v.a. auf die Liberalen im EP diesbezüglich wäre daher dringend geboten. Aber selbst dann müssen die Pläne von Barnier & Co politisch bekämpft werden. Mir scheint, dass die FsA-Demos im Herbst mit der VDS und dem virtuellen Eisernen Vorhang einen noch stärkeren EU-Fokus brauchen.
Danke für die Klarstellung. Dass da ein paar Dinge durcheinander geraten sind, wird auch im Kontext mit dem Sinde-Gesetz deutlich. Leider ist mein spanisch bzw. französisch zu schlecht, um die Quellen (ein paar hundert Seiten …) im Original durchzugehen. Bei der generellen Problematik und dem Lobby-Potential, das dort hintersteht, sind wir uns aber einig, oder?
Ist das spanische Gesetz nicht auch das, das von den Amerikanern „diktiert“ oder zumindest maßgeblich beeinflusst wurde?
Da war doch was in Zusammenhang mit den von Wikileaks geleakten US-Depeschen.
Genau (Womit wir wieder bei ACTA wären). Ziemlich wilde Geschichte, das alles. Das Problem beim „ley sinde“ ist leider, dass nur die Entwicklung bis Anfang Dezember halbwegs transparent ist (zumindest wenn man kein Spanisch spricht). Damals war der Entwurf so gut wie gestorben bzw. entschärft.
Danach, und insbesondere kurz vor der Verabschiedung im Februar, hat es aber noch einmal massive Veränderungen gegeben, die sich im Detail nicht ganz so einfach überblicken lassen.
Tja, und spätestens im Kontext mit der EU wird es dann endgültig wild, siehe Ralf.
Hoffentlich zerbricht die EU schon bald an ihrer inneren Krise und die USA sind pleite. Dann kann man endlich wieder zur Souveränen Demokratie zurückkehren.
Ein Staat ist ein Gebilde das keine Demokratie zulässt.Demokratie ist, man hält sich an zusagen und wenn die nicht eingehalten werden ist sofort eine trennung von jeweiligen teilnehmern oder Verträgen die folge.
Also entweder haben wir Meinungsfreiheit,Selbstbestimmung,Mitbestimmung und das recht auf ein würdiges Leben oder wir sagen uns von Undemkratischen Gebilde los und das geht nur wenn wir so gut wie möglich uns selbst versorgen.Müssen wir ja ohne hin bald alles selber machen aber so bald wir das tun bricht das Undemokratische Gebilde zusammen.
Also in der Konsquentz heisst das,Energie(Bachlauf,Wind,Sonne,Bio),Nahrung(z.b.Kartoffeln in Speisbütten oder Blumenkübeln ziehen) und mit überschüssiger Energie dann noch Trinkwasser selbst machen und so viel Mitmenschen in das Boot holen wie es geht und so gut es geht je mehr das machen desto schneller sind wir das Undemokratische Gebilde los.
Glaubt ihr nicht dann noch was zum Schluss: Freiheit ist nur ein anderes Wort für Unabhängigkeit.
Herrje.
Nein, natürlich nicht. Demokratie bedeutet zunächst einmal nur, dass das Volk bestimmt, wie Entscheidungen von allgemeinem Interesse getroffen werden. Dazu gehört auch, wie Entscheidungen getroffen werden bzw. wie Verstöße sanktioniert werden.
Eine direkte Demokratie ist dabei nur eines der möglichen Modelle. Die repräsentative Demokratie, mit der wir es in der Regel zu tun haben, hat ja nicht nur Nachteile. Im Gegenteil.
Die haben wir. Allerdings nicht uneingeschränkt auf Kosten Dritter.
Das Schengen-Konzept, wie von den Ungarn präsentiert, setzt doch auch bei den ISPs an und bräuchte, wollte man es durchsetzen, natürlich eine Rechtsgrundlage auf europäischer Ebene! Einen großen Unterschied zu den (?) Überlegungen der Kommission kann ich nicht erkennen. Von verschiedener Seite werden sich über die Überwachung des Netzes eben Gedanken gemacht.