Das Bundesverfassungsgericht hat heute seine Entscheidung veröffentlicht, dass der Abruf von vorratsgespeicherten Telekommunikationsdaten bis zur Hauptverhandlung zu polizeipräventiven Zwecken nur
„zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr“
erlaubt ist. Damit wird die erste Eilentscheidung vom März 2008 ergänzt. Damals hatten die Verfassungsrichter die Nutzung der Daten bei der Strafverfolgung auf die Verfolgung schwerer Straftaten beschränkt. Durch die mittlerweile erfolgte Verabschiedung u.a. der neuen bayerischen und thüringischen Polizeiaufgabengesetze wurde auch eine Regelung im Bereich der vorbeugenden Aufgaben der Polizei nötig. Mit der aktuellen Entscheidung wird eine weitergehende Abfrage der Daten ausgeschlossen, und außerdem wird ihre Weitergabe an die Geheimdienste ausgeschlossen, sofern nicht auch hier eine konkret drohende dringende Gefahr abgewehrt werden soll. Die Nutzung weit im Vorfeld von Straftaten, was das klassische Aufgabenfeld der Geheimdienste ist, wird damit ausgeschlossen.
Diese Entscheidung geht auch auf einen zweiten Eilantrag des AK Vorrat ein, der sich auf neue Erkenntnisse zur Gefahr von gespeicherten Daten gestützt hatte, darunter Umfragen zum veränderten Kommunikationsverhalten und natürlich die Datenskandale bei der Telekom. Leider haben die Richter (noch?) nicht die Speicherpflicht insgesamt aufgehoben. Das wird erst in der Hauptverhandlung geklärt werden. Zu den Telekom-Datenskandalen sagen sie:
Zwar zeigen diese Fälle, dass eine Speicherung von Daten, gerade wenn es sich um umfängliche und sensible Daten wie denen nach § 113a TKG [VDS-Gesetz, RB] handelt, auch im Blick auf Missbrauchsmöglichkeiten Bedenken ausgesetzt sein kann. (…) Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass ein Missbrauch der nach § 113a TKG zu speichernden Daten in der Zeit bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde konkret zu befürchten ist. Das Telekommunikationsgesetz verlangt von dem zur Speicherung Verpflichteten, durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass der Zugang zu den gespeicherten Daten ausschließlich von ihm hierzu besonders ermächtigten Personen möglich ist (…). Eine gesteigerte Gefahr, dass gegen diese Pflichten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit verstoßen wird, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich das nicht aus von den Beschwerdeführern angeführten, je eigens gelagerten Fällen.
Hier wollen die Richter also offenbar noch kein Muster erkennen, dass alle Datenhalden irgendwann missbraucht werden, sondern argumentieren mit Einzelfällen. Das ist für die Internet-Zugangsanbieter besonder ärgerlich, weil die ab 1. Januar nun auch gezwungen werden, die Daten ihrer Kunden zu speichern. Allerdings gibt es hier einen Ausweg, denn das Verwaltungsgericht Berlin hatte kürzlich entschieden, dass die dafür nötigen Investitionen unzumutbar sind, solange die Vorratsdatenspeicherung insgesamt nächstes Jahr in Karlsruhe aufgehoben werden könnte. Der AK Vorrat ruft deswegen die ISPs auch zum Boykott der Vorratsdatenspeicherung auf und bekommt mittlerweile immer häufiger Mails von Firmen, die das machen wollen.
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung kommentiert die Eilentscheidung in seiner Pressemitteilung:
Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom März und Oktober dieses Jahres sind wir zuversichtlich, dass die exzessive Totalspeicherung unserer Verbindungs-, Standort- und Internetdaten auch weiterhin schrittweise in sich zusammen fallen wird.
Der Deutsche Journalisten-Verband begrüßte die Entscheidung ebenfalls:
„Die Anordnung aus Karlsruhe bedeutet einen weiteren Etappensieg für den Informantenschutz“, erklärte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken, „denn das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung schränkt den Quellenschutz der Journalistinnen und Journalisten massiv ein.“
Ähnlich äußerte sich der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. Der Grünen-Geschäftsführer Volker Beck forderte laut heise die Bundesregierung erneut zur Aufhebung der Speicherpflicht auf.
Pressemeldungen: heise, Süddeutsche Zeitung (dpa), Spiegel Online.
Ich frage mich: hat das nicht auch Folgen für das BKA-Gesetz?
Einstweilen eingeschränkt wurde (mit der Maßgabe, dass zusätzlich eine dringende Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes vorliegen muss oder die Maßnahme zur Abwehr einer gemeinen Gefahr erforderlich ist) folgende Vorschrift des Bayrischen Polizeiaufgabengesetzes:
„Art. 34a
(1) Die Polizei kann durch die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation personenbezogene Daten erheben
[…]
2. über Personen, wenn konkrete Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen die begründete Annahme rechtfertigen, dass sie eine schwerwiegende Straftat begehen werden“
Das BKA-Gesetz formuliert ganz ähnlich:
§ 20m, BKA-G_E
„2. der Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten gem § 4a Abs. 1 Satz 2 vorbereitet“
Hier könnte die dritte schallende Ohrfeige für den Gesetzgeber lauern. Ich glaube ich frage mal Herrn Wiefelspütz auf Abgeordnetenwatch.de
Eine gute Übersicht zu den Hintergründen der Entscheidung bietet telemedicus hier
http://tinyurl.com/64aoj4
und noch ausführlicher hier:
http://tinyurl.com/5rcg6y
und vom Blogfürst hier:
http://tinyurl.com/5az6cg