Gestern Abend fand in Wien die Verleihung der Big Brother Awards für Österreich statt. Hier die Gewinner:
Business und Finanzen: Bruno Wallnöfer, TIWAG Vorstandsvorsitzender: Mit Detektiven gegen Kritiker. Der Tiroler Energieversorger hat bei seinem beinahe vier Jahre währenden Versuch, einen Kritiker mundtot zu machen, wirklich überhaupt nichts ausgelassen. (…) Nun kam heraus, dass der Energieversorger – Eigentümer ist das Bundesland Tirol – den Kritiker Wilhelm auch ein Detektivbüro auf den Hals gehetzt hat. Über 1000 Stunden ließ die TIWAG gegen Wilhelm ermitteln, Kostenpunkt: 152.000 Euro.
Politik: Günter Kößl [ÖVP] und Rudolf Parnigoni [SPÖ]: Sicherheitspolizeigesetz – Mir wern kan Richter brauchen. (…) Vorbei an Innenausschuss und Datenschutzrat machten Kößl und Parnigoni das Sicherheitspolizeigesetz in einer Version beschlussreif, die zu den Handystandortdaten auch noch den Zugriff auf die IP-Adresse erlaubte. Endgültig ausgehebelt war der parlamentarische Workflow, als das Sicherheitspolizeigesetz als letzter Punkt der letzten Parlamentssitzung des Jahres kurz vor Mitternacht durch den Nationalrat ging. Seit dem 1. Jänner 2008 definiert die Polizei allein, was „Gefahr im Verzug“ bedeutet. In der Praxis heißt es jedenfalls: Ein Richter wird bei dieser Zugriffsgenehmigung nicht gebraucht. Seitdem sind die Abfragen der Behörden bei Internet-Providern und Telekoms nach Standortdaten und IP-Adressen exponentiell gestiegen.
Behörden und Verwaltung: Daniela Strassl, Direktorin von Wiener Wohnen: 220.000 Fragebögen mit versteckter Kundennummer: Rechtzeitig vor der Wahl fiel der Geschäftsführung von „Wiener Wohnen“ ein, dass sie eigentlich schon immer wissen wollte, was die Gemeindebaumieter so über ihre Wohnung, Hausanlage, Nachbarn, Umgebung, Sicherheitssituation, Hausverwaltung und die Stadt Wien denken. (…) Der seitlich angebrachte Strichcode enthält nämlich die volle „Wiener Wohnen“ Kundennummer des Mieters. Damit ist jeder Fragebogen direkt mit dem vollen Datensatz des Gemeindebaumieters verknüpfbar.
Kommunikation und Marketing: UPC – Aus österreichischen Tippfehlern werden US-Werbeprofile: In welcher Situation ist eine Person wenn sie eigentlich „schwangerschaftsberatung.at“ ansehen wollte? Welche Rückschlüsse lassen sich auf das persönliche Umfeld eines Menschen ziehen, der versehentlich „gebrauchtwagn.at“ oder „jobbörse..at“ eintippt? Und was ist, wenn die aus all diesen Fehlern generierte Information automatisiert in den USA zur Anlage von Werbeprofilen verknüpft wird, ohne dass der User davon eine Ahnung hat? (…) Das passiert ungefragt für alle, ausser man meldet sich aktiv davon ab oder betreibt einen eigenen Nameserver. Alle anderen werden von Infospace mit kommerziellen Werbebannern und einem eindeutigen Cookie beglückt, Ablaufdatum: das Jahr 2108 [sic!].
Lebenslanges Ärgernis: Post AG – Notorischer Datenhändler: Es gibt Ersttäter, Rückfällige und Gewohnheitsstäter – und es gibt die österreichische Post AG, die unbeirrt ein und dasselbe Ziel verfolgt. Die persönlichen Daten ihrer Kunden weiterzuverkaufen.
Publikumspreis: Telekom-Austria: Kundendaten für die Porno-Industrie: Auf Begehren einer Vorarlberger Anwaltskanzlei, die im Auftrag von Pornofirmen tätig wurde, gab die Telekom Austria die persönlichen Daten der Kunden von hunderten Breitbandanschlüssen weiter. In hart an der Drohung formulierten Mahnschreiben forderte man eine Pauschalgebühr von rund 800 Euro für den Download „urheberrechtsgeschützter Werke“ die Rechteinhabern wie „Cazzo Film“ oder „Muschi Movie“ gehören. Die Telekom Austria berief sich erst auf die Rechtslage: Laut OGH-Entscheid sei man verpflichtet, bei Urheberrechtsverletzungen Stammdaten und IP-Adressen der Kunden herauszugeben. Weder der Verband der Internet-Provider [ISPA], noch die Mitbewerber der TA – also alle anderen – teilen diese Rechtsansicht, Bedingung für die Datenweitergabe ist für sie immer noch der Beschluss eines ordentlichen Gerichts.
Positivpreis „Defensor Libertatis“: Meryem Marzouki, Kosmopolitin und Doyenne der Bürgerrechte im Informationszeitalter: Seit sich die digitale Bürgerrechtsbewegung Europas Mitte der Neunziger Jahre zu konstituieren begann, ist der Name Meryem Marzouki nicht mehr wegzudenken. Meryem war Gründungsmitglied der ersten weltweiten Dachorganisation Global Internet Liberty Campaign 1996 und wirkte seitdem bei jeder großen Aufklärungskampagne gegen Zensur und Verschlüsselungsverbote, gegen Überwachung, Gängelung und Kontrolle federführend mit. Parallel dazu baute sie in Frankreich mit IRIS eine der schlagkräftigsten Truppen im Kampf gegen die Überwachungslawine in Europa auf. Dass Meryem Marzouki nach der Jahrtausendwende zur Vorsitzenden des Dachverbandes European Digital Rights [EDRi] gewählt wurde, war nur konsequent und – wenn auch im Nachhinein betrachtet – eigentlich voraussehbar. Als Vorsitzende eines Dachverbands von Cyber-Habenichtsen, die durch ihr Engagement fehlende Budgets mehr als kompensieren, hat es die Doyenne der digitalen Bürgerrechtsbewegung in Europa souverän verstanden, die Energien zu bündeln und über alle nationalen Grenzen hinweg der Forderung nach Wiederherstellung der Bürgerrechte im Informationszeitalter lautstarken Ausdruck zu verleihen.
Ich war bei der Gala dabei und kann nur sagen: Hut ab! Ein grandioses Fest, tolle Moderatoren, Musiker und andere Beteiligte, wohlverdiente Preise, und eine super Stimmung. Das Rabenhoftheater war komplett ausverkauft, es mussten sogar Leute wieder nach Hause gehen. Nächstes Mal also in der Wiener Staatsoper?
Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass da so eine Bomben-Stimmung herrscht. Aber dann echt mal Hut ab. Und dann war das Ganze ja auch noch ausverkauft. Ich glaube, da entsteht wieder ein neuer Big Brother Boom!!