Um die Bekämpfung von Terroristen kann es der NSA und anderen Geheimdiensten eigentlich nicht gehen – zumindest nicht nur. Das wissen wir spätestens, seitdem bekannt ist, dass die US-Geheimdienste auch das Handy von Angela Merkel im Visier hatten.
Aus nun ausgewerteten Dokumenten aus dem Bestand von Edward Snowden geht hervor, dass die NSA und der britische Geheimdienst GCHQ auch den aktuellen EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia abhörten. Über eine Kooperation hatten der Spiegel, der britische Guardian und die New York Times Einsichten in das Snowden-Material.
Der Spiegel berichtete, dass unter den Telefonnummern, die sich in dem Listen befinden, auch Anschlüsse aus dem Berliner Regierungsviertel, die deutsche Botschaft in Ruanda und ganze „Signalstrecken“, wie etwa „Deutschland-Georgien“ und „Deutschland-Türkei“ gewesen seien sollen. Im Visier der Briten waren laut Spiegel weiterhin der damalige israelische Verteidigungsminister Ehud Barak und eine Mail-Adresse mit der Beschriftung „israelischer Premierminister“. Insgesamt seien in den Beständen hunderte Telefonnummern mit mehr als 60 Ländervorwahlen aufgeführt. Der GCHQ überwachte „systematisch internationale, über Satelliten laufende Telefonverbindungen“ und außerdem Mail-Korrespondenzen. Die ausgewerteten Dokumente beziehen sich auf den Zeitraum 2008 bis 2011.
Der Eintrag „EU COMM JOAQUIN ALMUNIA“ taucht laut Spiegel in einer informellen Auswertung aus dem Jahr 2009 auf. Es war die Hochzeit der Euro- und Finanzkrise. Damals war der Spanier Almunia EU-Wirtschafts- und Finanzkommissar. „Broadoak“ sei sein Codename in der britischen Zieldatenbank gewesen. Noch im November hatten die drei britischen Geheimdienstchefs vor dem Unterhaus beteuert, dass ihre Aktivitäten in erster Linie der Terrorabwehr gelten.
An dieser Stelle stellt sich unweigerlich die Frage, warum genau das EU-Mitglied Großbritannien und Deutschlands „engste Verbündete außerhalb Europas“, die USA, deutsche Regierungsnetze und ein EU-Kommissionsmitglied abhören. Wenn es, wie wiederholt von britischer und US-Seite behauptet, bei der Spionage um Terrorismus-Abwehr gehen soll. Aber welcher Terrorist würde mit einem Wettbewerbskommissar telefonieren? Es ist die gleiche Frage, die spätestens im Herbst aufkam, als bekannt wurde, dass die NSA auch Merkel belauscht. Der Verdacht liegt also nahe, dass sich das Erkenntnisinteresse des britischen Geheimdienstes auf wirtschaftliche Entscheidungen bezieht. Wirtschaftsspionage, man kann es wohl so nennen.
Und eigentlich nennt der Geheimdienst selbst das Kind beim Namen. Auf Spiegel-Anfrage soll der GCHQ mitgeteilt haben, „man werde nicht auf Details eingehen, aber der Dienst sei befugt, Kommunikation abzufangen, wenn es um das wirtschaftliche Wohlergehen Großbritanniens und die Sicherheit des Staates gehe.“ Dennoch handele es sich „definitiv nicht um Wirtschaftsspionage“, was als Behauptung äußerst fragwürdig erscheint. Die NSA und der GCHQ arbeiten beim Abhören ihrer Bündnispartner eng zusammen. Lange Tradition hat Wirtschaftsspionage von Seiten der Geheimdienste sowieso.
Ein Fall von vor fast 20 Jahren verdeutlicht das. 1994 deckte die NSA einen Bestechungsskandal der EADS-Tochter Airbus auf. Die Spione hatten Faxe abgefangen und Telefonate zwischen dem europäischen Flugzeugbauer Saudi Arabian Airlines und dem Königshaus belauscht. Ein klassischer Fall von Wirtschaftsspionage. Airbus wollte die Flotte der Fluggesellschaft des Wüstenstaates modernisieren und hatte die Saudis dafür geschmiert. Korruption im Ausland war zu diesem Zeitpunkt in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Staaten noch nicht illegal und konnte sogar von der Steuer abgesetzt werden. Der Deal über sechs Milliarden Dollar platzte – wegen den NSA-Spionen. Konkurrent Boeing erhielt daraufhin den lukrativen Auftrag.
Dazu passend beschäftigt man sich auf EU-Ebene nicht erst seit gestern mit Wirtschaftsspionage. Im Abschlussbericht des Echelon-Untersuchungsausschuss von 2001 wird der ehemalige CIA-Chef James Wooley zitiert. Das Abhören und Mitlesen interner Unternehmenskommunikation sei demnach hauptsächlich geschehen, um Bestechung vor Vertragsabschlüssen zu bekämpfen. Wooley versuchte damals seine Zuhörer auf einer Pressekonferenz zum Echelon-Überwachungsprogramm zu beruhigen. Nur fünf Prozent der Informationen über Unternehmen und Wirtschaft seien auf illegalen Wegen beschafft worden.
In den aktuell ausgewerteten Dokumenten sind die Namen von Unternehmen wie dem französischen Rüstungskonzern Thales und dem Mineralöl-Konzern Total vermerkt. Wie intensiv und über welche Zeiträume genau die Spionage stattgefunden habe, gehe aus den eingesehenen Dokumenten nicht hervor, schreibt der Spiegel. Mindestens von einem afrikanischen Politiker sollen die Briten allerdings dessen gesamte SMS-Kommunikation abgefangen haben.
Weiterhin enthalten die Listen laut Spiegel politische und diplomatische Ziele, afrikanische Staatsoberhäupter, deren Familienmitglieder, Geschäftsleute und Vertreter internationaler Organisationen. Darunter seien dem deutschen Nachrichtenmagazin zufolge die Vereinten Nationen, deren Landwirtschaftsorganisation FAO, das Kinderhilfswerk UNICEF und das Uno-Institut für Abrüstungsforschung. Und selbst NGOs wie Ärzte der Welt (Médecins du Monde).
Die Enthüllungen erlauben scheinbar auch tiefere Einblicke in die Arbeitsweise der Dienste. In den Dokumenten seien Testläufe und Fragen danach verzeichnet, ob sich die Überwachung bestimmter Ziele auch lohne. „Ja“ habe in vielen Fällen die schlichte Antwort gelautet.
Wir fragen uns jetzt natürlich, wann Merkel oder Neu-Außenminister Frank-Walter Steinmeier den britischen Botschafter Simon McDonald einbestellt, um „ihm persönlich und mit deutlichen Worten die Position der Bundesregierung“ darzulegen.
Ich frage mich ja schon seit langem, warum sich alle so auf die NSA einschießen und die GCHQ der Briten als EU-Mitglied links liegen lassen.
Ich tippe ja auf komplettes eigen interesse des GCHQ.
Wenn die wirklich so die Sherriffs sind, wie man erwarten kann, sind die auch klug genug auf westliche presse-berichterstattung einfluss zu nehmen.
Und in zeiten von #DamageControl würde ich anstelle des GCHQ alles in betracht ziehen.