EU-ÜberwachungspläneUnionsfraktion jetzt gegen Chatkontrolle, Innenministerium will sich nicht äußern

Überraschend kündigte am Dienstagnachmittag der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU an, dass es eine anlasslose Kontrolle von Chats mit der Union nicht geben würde. Das Innenministerium sagt, die Abstimmung sei noch nicht abgeschlossen.

Mann mit Brille, Anzug und Krawatte
Jens Spahn beim Statement am Dienstagnachmittag. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Andreas Gora

Die Unionsfraktion im Bundestag stellt sich gegen eine anlasslose Überwachung von Chats und damit gegen die Chatkontrolle, die am 14. Oktober im EU-Rat abgestimmt werden soll.

Bei einer Pressekonferenz am Dienstagnachmittag sagte der Fraktionsvorsitzende der Union, Jens Spahn: „Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind gegen die anlasslose Kontrolle von Chats. Das wäre so, als würde man vorsorglich mal alle Briefe öffnen und schauen, ob da etwas Verbotenes drin ist. Das geht nicht, das wird es mit uns nicht geben.“

Gleichzeitig sei klar, dass Kindesmissbrauch bekämpft und geahndet können werden müsse. Deswegen sei es auch grundsätzlich gut, dass die Europäische Union sich dieses Themas annehme. „Am Ende muss gelingen, dass die Verordnung, die geplant ist auf europäischer Ebene, Kinder wirksam schützt, ohne dabei die Sicherheit und die Vertraulichkeit individueller Kommunikation zu gefährden“, so Spahn weiter.

„Abstimmung noch nicht abgeschlossen“

Was das für die bis morgen erwartete Einigung der Bundesregierung bedeutet, ist noch unklar. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte gegenüber netzpolitik.org, die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung über eine Positionierung zum aktuellen Verordnungsentwurf sei noch nicht abgeschlossen. Zu laufenden Abstimmungen äußere sich das Ministerium grundsätzlich nicht. Das Bundesjustizministerium antwortete nicht auf eine Presseanfrage von netzpolitik.org zum Thema.

Elina Eickstädt, Sprecherin des CCC und Teil des Bündnisses „Chatkontrolle stoppen“ warnt allerdings: „Auch wenn Jens Spahn sich gegen die Chatkontrolle ausspricht, entscheiden letztendlich BMI und BMJ über die Positionierung der Bundesregierung.“ Entscheidend sei nicht nur das der dänische Vorschlag am 14. Oktober abgelehnt werde, sondern auch, dass sich die Bundesregierung generell gegen Client-Side-Scanning positioniere.

Union bekommt viele Zuschriften zur Chatkontrolle

Das Thema Chatkontrolle hat in den letzten Tagen hohe Wellen geschlagen und ist seit letzter Woche ein politischer Dauerbrenner in sozialen Medien, der viele Menschen mobilisiert hat. Jens Spahn bestätigte in der Pressekonferenz auch, dass die Unionsfraktion viele Zuschriften zum Thema erreichen würden. Auch der bayerische Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) sowie der CSU-Europaageordnete Christian Doleschal sprachen sich nun gegen die Chatkontrolle aus.

Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich in den letzten Tagen mit Nachdruck gegen die Chatkontrolle positioniert, darunter Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, der Deutsche Kinderschutzbund, aber auch Wirtschaftsverbände wie eco und Bitkom sowie europäische Digital-Unternehmen. Auch Messenger wie Signal, Threema und WhatsApp sind gegen die Chatkontrolle.

Seit Jahren reden sich Hunderte von IT-Expertinnen und Sicherheitsforschern, Juristinnen, Datenschützern, Digitalorganisationen, Tech-Unternehmen, Messengern, UN-Vertretern, Kinderschützern, Wächterinnen der Internetstandards und Wissenschaftlerinnen weltweit den Mund gegen die Chatkontrolle fusselig. Eine unglaubliche Breite der Zivilgesellschaft lehnt die Chatkontrolle ab, weil sie die größte und gefährlichste Überwachungsmaschine Europas werden würde.

Zivilgesellschaft mobilisiert gegen Chatkontrolle

Das Bündnis „Chatkontrolle stoppen“ ruft derzeit dazu auf, für die Abstimmung relevante Personen und Organisationen zu kontaktieren. Das sind vor allem die an der deutschen Positionsfindung beteiligten Bundesministerien sowie die Fraktionen und Abgeordneten der Regierungsparteien im Bundestag. Am besten wirken direkte E-Mails und Telefonanrufe oder auch rechtzeitig ankommende Briefe. Auf der Website des Bündnisses gibt es Tipps und Adressen, um selbst aktiv zu werden.

Gleichzeitig hat das Bündnis eine Last-Minute-Petition gestartet, in der es die Bundesregierung auffordert, sich im EU-Rat gegen die Chatkontrolle zu stellen.

Uns fehlen dieses Jahr noch 307.414 Euro.

Bist Du auch Feuer und Flamme für Grundrechte? Dann unterstütze jetzt unsere Arbeit mit einer Spende.

13 Ergänzungen

    1. Danke für die Blumen. Ich glaube aber, dass der bisherige Erfolg beim Kampf gegen die Chatkontrolle auf sehr sehr vielen Schultern von Menschen aus einem extrem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis beruht. Wir sind hier nur Chronisten, Übersetzer, Verstärker und Erklärer.

  1. So wichtig das Engagement der Zivilgesellschaft ist, hier wird wohl eher der Druck der Wirtschaft den entscheidenden Ausschlag gegeben haben.

  2. „Seit Jahren reden sich Hunderte von IT-Expertinnen und Sicherheitsforschern, Juristinnen, Datenschützern, Digitalorganisationen, Tech-Unternehmen, Messengern, UN-Vertretern, Kinderschützern, Wächterinnen der Internetstandards und Wissenschaftlerinnen weltweit den Mund gegen die Chatkontrolle fusselig. Eine unglaubliche Breite der Zivilgesellschaft lehnt die Chatkontrolle ab, weil sie die größte und gefährlichste Überwachungsmaschine Europas werden würde.“

    Zusätzlich zu den Gerichtsurteilen in dieser Sache, ist das der springende Punkt.

    Und TROTZDEM wird es immer wieder versucht! Was stimmt mit den Leuten nicht, die das immer wieder durchdrücken wollen? Können wir das endlich mal sein lassen und uns um die echten Probleme kümmern?

    1. Naja also ich will hier jetzt ja nicht den Glauben in den Diskurs schwächen oder so, aber:

      Die PA Mandate der industriellen Seite sowie die Politikreferenten von Europol & Friends sind ja jetzt nicht arbeitslos. Die verbringen noch genau so viele Stunden auf genau den gleichen Zielen, bis es halt durch ist. 🤷‍♀️

  3. Zitat: „Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte gegenüber netzpolitik.org, die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung über eine Positionierung zum aktuellen Verordnungsentwurf sei noch nicht abgeschlossen.“

    Bundesminister des Innern ist Alexander Dobrindt (CSU). Ein Radikaler, der Bundesminister geworden ist. Anfang 2018 forderte Dobrindt in einem Gastbeitrag für die Welt eine „konservative Revolution“ für Deutschland. Daraufhin wurde er dafür kritisiert, einen Begriff der Neuen Rechten zu verwenden, der auf antidemokratische Strömungen in der Weimarer Republik zurückgeht. Trotz der Kritik hielt Dobrindt allerdings am Begriff fest. Widerstand gegen seine Haltung käme vor allem von „linken Mainstreameliten“.

    Die „konservative Revolution“ braucht Überwachungsinstrumente, um nach Erlangung der Macht politische Säuberung zu betreiben, etwa im Stil wie sie gegenwärtig durch die Trump-Administration betrieben wird.

    1. „linken Mainstreameliten“
      Frechheit. Die Foxnewspüppchen sehen überall Medienstrategien, nur nicht dort wo man hingucken sollte, wenn man eine Demokratie haben will. Ach ja, wollensejanichmehr…

  4. Elina Eickstädt, Sprecherin des CCC und Teil des Bündnisses „Chatkontrolle stoppen“ warnt allerdings: „Auch wenn Jens Spahn sich gegen die Chatkontrolle ausspricht, entscheiden letztendlich BMI und BMJ über die Positionierung der Bundesregierung.“

    Und das ist genau der Punkt.
    Alle jubeln aktuell, weil sie denken das Nein wäre sicher, aber wirklich glauben tue ich das erst, wenn es vom BMI und BMJ so verkündet wird. Nur weil Spahn das jetzt sagt, heißt das nicht, dass nicht in letzter Minute doch wieder alles anders kommt. Wär in der Politik ja nicht das erste Mal.

    Zudem ist er kein Innenminister. Und gerade die sind ja, was Überwachung usw angeht, die größte Gefahr, weil sie diesbezüglich am fanatischsten von allen sind.

    Noch ist es zu früh, um die Korken knallen zu lassen

    1. Das ist zwar richtig, genauso richtig ist aber dass bezüglich Positionen, die unsere Bundesminister im EU-Rat vertreten, der Bundestag gegenüber dem Minister weisungsbefugt ist. Das ist (oder wäre fast) mit der letzten Innenministerin Nancy Faeser (SPD) passiert, die sich entgegen ihres eigenen Koalitionsvertrages erst gesträubt hat, diese Position zu vertreten, bis Druck aus dem Parlament kam.

  5. Das spricht schon Bände, wenn sich der Kinderschutzbund gegen eine Maßnahme ausspricht, die man ja ANGEBLICH einführen will, um Kinder zu schützen. Niemand weiß besser wie man Kinder schützt und niemand hat ein größeres Interesse Kinder zu schützen als der Kinderschutzbund! Wenn diese Maßnahme Kinder schützen würde, wären sie sicherlich dafür. Wenn diese Maßnahme Kinder nicht schützen, aber auch nicht schaden würde, dann wäre es ihnen egal. Wenn sie aber dagegen sind, dann gehen sie davon aus, dass diese Maßnahme sogar Kinder schaden wird und das zeigt ziemlich gut, wie heuchlerisch diese ganze Sache mal wieder ist.

  6. Die geplante Chatkontrolle ist nichts anderes als ein Generalangriff auf die private Kommunikation – ein digitaler Türspalt, durch den der Staat lernen will, in jede noch so intime Unterhaltung zu spähen. Wer Chats „präventiv“ scannen will, öffnet nicht nur digitale Briefe, sondern installiert den digitalen Zensor direkt auf dem Smartphone. Dass sich ausgerechnet die CDU/CSU-Fraktion nun dagegenstellt, ist bemerkenswert – und zeigt, wie weit selbst konservative Politiker:innen inzwischen erkannt haben, dass diese Verordnung die Grundfesten einer freien Gesellschaft gefährdet. Jens Spahn hat recht: Würde man alle Briefe öffnen, wäre das ein Skandal. Warum also sollte es im digitalen Raum akzeptabel sein?

    Die Chatkontrolle ist Überwachung im Tarnmantel des Kinderschutzes – ein politischer Etikettenschwindel. Niemand bestreitet, dass Missbrauch bekämpft werden muss. Aber Massenüberwachung hat noch nie ein Kind geschützt, sie hat nur Demokratien geschwächt. Client-Side-Scanning bedeutet nichts anderes als staatlich angeordnete Schadsoftware auf privaten Geräten – ein Dammbruch, der autoritären Strukturen Tür und Tor öffnet.

    Wenn sich die Bundesregierung jetzt nicht klar dagegen positioniert, wird sie zum Komplizen einer Überwachungslogik, die Bürgerrechte zersetzt und Vertrauen zerstört. Sicherheit entsteht nicht durch totale Kontrolle, sondern durch Rechtsstaatlichkeit, Verschlüsselung und digitale Mündigkeit. Wer Chats überwacht, zerstört den letzten privaten Raum im Netz – und damit die Freiheit, überhaupt noch frei zu denken, zu reden, zu leben.

    **Fazit:** Wer Chatkontrolle will, will den Menschen misstrauen. Wer sie stoppt, verteidigt die Demokratie.

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.