Ob im Stadtbüro, im Standesamt oder in der Finanzverwaltung – die in deutschen Behörden eingesetzte Bürosoftware ist meist Microsoft Office. Die E-Mails trudeln ins Outlook-Postfach ein, mit den Kolleg:innen tauscht man sich über Microsoft Teams aus und das Konzeptpapier entsteht in Microsoft Word.
Wie gravierend die Abhängigkeit deutscher Behörden von Microsoft ist, stellte eine Studie bereits im Jahr 2019 fest. Das Beratungsunternehmen PriceWaterhouseCoopers kam damals im Auftrag des Bundesinnenministeriums (BMI) zu dem Schluss, dass die Abhängigkeit zu „Schmerzpunkten“ führe, „die im Widerspruch zu den strategischen Zielen der Bundes-IT stehen“.
Eines dieser Ziele ist der Ausbau von Open-Source-Software, um die öffentliche Verwaltung unabhängiger von Konzernen zu machen. Denn nicht nur Datenschützer:innen und IT-Sicherheitsforscher:innen mahnen die Risiken an, die eine Nutzung von Microsoft-Produkten birgt, sondern auch Expert:innen für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Sie kritisieren den Effekt des Vendor Lock-in.
Open Source als Werkzeug
Die Marktmacht Microsofts hat auch die Bundesregierung als Problem für die öffentliche IT erkannt. Im Koalitionsvertrag von 2021 erklärt die Ampel, Deutschland digital souverän machen zu wollen. In dem entsprechenden Strategiepapier einigen sich Bund und Länder auf drei Ziele für die öffentliche IT: Erstens sollen Behörden die Software und Anbieter ohne größeren Aufwand wechseln, zweitens die IT nach ihren Anforderungen gestalten und drittens Einfluss auf die Hersteller nehmen können.
Konkret heißt das, dass die Behörden die Wahl zwischen verschiedenen Angeboten haben sollen. Außerdem sollen sie Werte wie privacy by design und security by design einbringen und das Marktangebot für öffentliche IT prägen können. Um diese Ziele zu erreichen, sei das wichtigste Werkzeug Open-Source-Software (OSS), sagt Andreas Reckert-Lodde. Er ist Geschäftsführer des Zentrums für digitale Souveränität der öffentlichen Verwaltung, kurz ZenDiS.
Die GmbH in staatlicher Eignerschaft wurde 2022 auf Initiative des Bundesinnenministeriums gegründet und handelt auftragsfinanziert. Reckert-Lodde hat dabei zwei Hüte auf: Er ist Referent des BMI. Und bereits vor der Gründung des ZenDiS hat er die Projekte Open CoDE und openDesk vorangetrieben, die er nun gemeinsam mit seinem Team in Bochum weiterentwickelt.
Von offener Software überzeugen
Während die Open-Source-Plattform Open CoDE offenen Code „von der Verwaltung für die Verwaltung“ bereitstellen soll, will das Open-Source-Projekt openDesk Ämtern und Behörden eine Alternative zu Microsofts Bürosoftware anbieten, so Reckert-Lodde gegenüber netzpolitik.org.
Der Arbeitsplatz bündelt verschiedene Open-Source-Anwendungen: Open-XChange für E-Mail, Nextcloud für die Datenorganisation, Jitsi für den VideoCall sowie Matrix für den Live-Chat mit Kolleg:innen. openDesk ist modular aufgebaut und die einzelnen Komponenten sind interoperabel gestaltet. So können die Verwaltungen in Ländern und Kommunen den Arbeitsplatz mit relativ geringem Aufwand an individuelle Anforderungen anpassen. Ob Jitsi oder BigBlueButton – das Programm sollen öffentliche Stellen nach eigenen Vorlieben austauschen können.
Reckert-Lodde will „ein gutes Produkt“ anbieten, das dem Prinzip „Public Money, Public Code“ entspricht. Öffentlich finanzierte Software sollte demnach offen sein. Davon haben alle etwas. Denn offener Code bedeutet auch, dass die OSS-Community sich für die Weiterentwicklung, Innovation und Sicherheit des Codes engagiert.
Eine der wichtigsten Aufgaben des ZenDiS sieht Reckert-Lodde darin, zwischen Menschen aus der öffentlichen Verwaltung und der OSS-Community sowie deren Bedürfnissen zu vermitteln. Das bedeutet etwa, einem Anbieter wie Open-XChange aufzuzeigen, dass die Verwaltung Gruppenpostfächer statt einfacher Postfächer benötige.
Umgekehrt müsse man die Verwaltung mitunter davon überzeugen, OSS als echte Alternative zu proprietärer Software zu sehen. Im November bezeichnete der Chef des Bundeskanzleramtes, Wolfgang Schmidt (SPD), „openDesk als die geladene Pistole, die wir bei Verhandlungen mit Microsoft auf den Tisch legen“. Das zeige, dass sich an der Wahrnehmung von OSS schon etwas verändert habe, so Reckert-Lodde.
„Design by budget“
Erste Verwaltungen, wie etwa das Robert-Koch-Institut, nutzen openDesk bereits. Und auch der Austausch mit Ministerien und Behörden sowie der OSS-Community in Deutschland und im europäischen Ausland sei rege, so Reckert-Lodde. Und doch sieht er Grund zur Sorge. Denn der ZenDiS-Geschäftsführer hat für das Jahr 2024 einen Finanzbedarf von 45 Millionen Euro kalkuliert. Allein aber die Weiterentwicklung von Open CoDE und openDesk beanspruche annähernd so viele Ressourcen.
Dennoch wird der Bund für das ZenDiS vermutlich deutlich weniger Gesamthaushaltsmittel veranschlagen als benötigt. Für 2024 rechnet Reckert-Lodde mit gerade einmal 19 Millionen Euro. Das sei nicht nichts, schränke allerdings die Arbeit des ZenDiS deutlich ein, so der Geschäftsführer, zumal noch einiges auf der To-Do-Liste stehe. So plane ZenDiS unter anderem, openDesk auch für mobile Endgeräte nutzbar zu machen und die beratenden Tätigkeiten zu erweitern.
Nicht nur mit finanzieller Unterstützung hält sich der Bund zurück. Reckert-Lodde und sein Team haben vom BMI offiziell bislang noch keinen Auftrag für openDesk erhalten. Dabei hatte das Ministerium openDesk neben Open CoDE schon vor der Gründung des ZenDiS initiiert und intensiv vorangetrieben, damit das Zentrum beide Projekte umsetzt.
Open CoDE beauftragte das BMI Ende vergangenen Jahres. Wie es mit openDesk weitergeht, ist ungewiss. Auf Anfrage erklärt das Bundesinnenministerium, die Vergabe aktuell noch zu prüfen. Weitere Angaben könne das Ministerium dazu nicht machen.
In der Warteschleife
Das ZenDiS steht aktuell noch vor einer weiteren Hürde: Obwohl schon einige Bundesländer Interesse äußerten, sich an der GmbH zu beteiligen, hängen deren Beitritte in der Warteschleife. „Mit Schleswig-Holstein und Thüringen sind wir am weitesten“, so Reckert-Lodde. „Beide Länder haben den Beitritt fertig vorbereitet und würden sich lieber heute als morgen am ZenDiS beteiligen“.
Konkret heißt das, dass Thüringen den Gesellschaftervertrag und die Beteiligungsvereinbarung mit dem BMI bereits erfolgreich abgestimmt hat. Wie das Finanzministerium Thüringen gegenüber netzpolitik.org mitteilte, hat die zuständige Ministerin im März der Beteiligung am ZenDiS zugestimmt. Das Land wartet nun darauf, dass das BMI mit dem Bundesfinanzministerium übereinkommt.
Eine Anfrage von netzpolitik.org, warum sich der Verfahren verzögert, beantwortet das BMI trotz Fristverlängerung nicht. Immerhin lassen sich Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt von dem verschleppten Prozess nicht abschrecken. Sie bereiten aktuell ihren Beitritt vor.
Allzu lange sollte das Bundesinnenministerium mit der Entscheidung auch aus einem anderen Grund nicht warten. Denn „die geladene Pistole“, die sie im Streben nach digitaler Souveränität auf den Verhandlungstisch legt, könnte sich sonst als harmlose Wasserpistole entpuppen.
„Umgekehrt müsse man die Verwaltung mitunter davon überzeugen, OSS als echte Alternative zu proprietärer Software zu sehen. Im November bezeichnete der Chef des Bundeskanzleramtes, Wolfgang Schmidt (SPD), „openDesk als die geladene Pistole, die wir bei Verhandlungen mit Microsoft auf den Tisch legen“.“
Ich weiß nicht… An der Aussage könnte man eher festmachen, dass die Regierung OSS als Druckmittel sieht, den Wechsel aber eigentlich gar nicht vollziehen möchte.
Siehe ergänzend der Artikel auf Golem von Markus Feilner. https://www.golem.de/news/opendesk-vom-zendis-ausprobiert-ein-web-desktop-fuer-die-verwaltung-2404-184511.html