28 Millionen Arbeiter*innen bei Plattformunternehmen in der ganzen Union sollen mehr Rechte bekommen, mehrere Millionen sollen echte Arbeitnehmer*innen statt angeblich selbstständige Dienstleister*innen werden. Dieses Ziel hat sich die EU-Kommission mit ihrer Plattformarbeitsrichtlinie gesetzt, für die sie im Dezember einen Entwurf vorgelegt hat.
Der Europäische Gewerkschaftsbund ETUC hatte im Januar die Folgen dieses Entwurfs für einige bekannte Plattformunternehmen analysiert: Uber, Glovo und Deliveroo würden ihre Arbeiter*innen demnach als Angestellte behandeln müssen. Auf Anfrage von netzpolitik.org hat der ETUC nun auch Helpling untersucht, ein in Deutschland ansässiges Unternehmen, das auf der ganzen Welt Reinigungen vermittelt. Das Ergebnis: Auch Helpling-Arbeiter*innen würden unter die Kriterien der Plattformrichtlinie fallen.
Plattformen müssen Selbstständigkeit nachweisen
Seit Beginn der Plattformwirtschaft beanspruchen viele Unternehmen, keine Arbeitgeber*innen zu sein, sondern nur zwischen selbstständigen Dienstleister*innen und Kund*innen zu vermitteln. Das spart ihnen Sozialabgaben und die Arbeitsverhältnisse können flexibler sein. Manche Arbeiter*innen begrüßen das, viele haben jedoch Einwände. Das haben in den letzten Jahren Streiks, Proteste und Gerichtsprozesse auf der ganzen Welt gezeigt: bei Deliveroo in Deutschland, bei Uber und Bolt in Nigeria, bei Urban Company in Indien und viele andere mehr.
Der Clou der geplanten EU-Richtlinie: Plattformen würden nachweisen müssen, dass ihre Arbeiter*innen nicht eigentlich doch für sie arbeiten. Der aktuelle Vorschlag der Kommission legt fünf Kriterien fest. Erfüllt eine Plattform mehr als zwei davon, dann sollen ihre Arbeiter*innen als Angestellte gelten. Die Kriterien sind, dass die Plattform…
- die Bezahlung bestimmt.
- Regeln zur Durchführung der Arbeit oder zum Verhalten zur Kund*in festlegt.
- die Arbeit oder deren Ergebnisse überwacht.
- die eigene Wahl von Aufgaben oder Arbeitszeiten einschränkt.
- die Möglichkeit einschränkt, eine eigene Basis an Klient*innen aufzubauen.
In Niederlanden aktuell Leiharbeit
Der Europäische Gewerkschaftsbund sagt nun: Helpling erfüllt diese Kriterien. Konkret hat der ETUC anhand eines Gerichtsurteils vom Herbst letzten Jahres die Situation in den Niederlanden untersucht. Dort hatte der Niederländische Gewerkschaftsbund FNV zusammen mit einer Reinigungskraft gegen Helpling geklagt und gefordert, dass das Unternehmen seine Arbeiter*innen fest anstellen müsse. Das Berufungsgericht gab dann keinem von beiden recht: Helpling-Reinigungskräfte seien weder selbstständig noch fest angestellt, sondern Leiharbeiter*innen.
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Nach den neuen Kriterien der Plattformarbeitsrichtlinie sieht das anders aus, so der ETUC. „Helpling legt ein Minimum und ein Maximum für die Reichweite an Bezahlungen für Arbeitskräfte fest“, so der Gewerkschaftsbund in seiner Analyse. „Innerhalb dieser Grenzen können Arbeiter*innen die genaue Summe festlegen. Aber die digitale Arbeitsplattform empfiehlt hohe Preise, weil sie selber einen Prozentanteil des Stundenlohns der Arbeiter*innen bekommt.“ Das erfülle das erste Kriterium der Richtlinie.
Nettolohn kann unter Mindestlohn sein
Bestellt eine Kund*in eine Reinigungskraft für mehrere Termine, dann nimmt Helpling für die ersten drei Reinigungen 39 Prozent Provision, danach sinkt die Provision auf 25 Prozent. Für einmalige Buchungen beträgt die Provision 32 Prozent. Aber selbst die niedrigeren Provisionen seien oft noch zu hoch, sagt Oğuz Alyanak vom Fairwork-Projekt gegenüber netzpolitik.org. Das Projekt hat Anfang des Monats seinen Jahresbericht für Plattformarbeit in Deutschland herausgebracht, in dem Helpling zwei von zehn möglichen Punkten für faire Arbeitsbedingungen erhalten hat.
„Helpling ist sicher eine dieser Plattformen, wo Arbeiter*innen am Ende weniger verdienen können – und das auch tun – als den Mindestlohn“, so Alyanak. Arbeiter*innen müssten sich entscheiden, entweder höhere Preise zu verlangen – und damit riskieren, nicht beschäftigt zu werden – oder weniger als den Mindestlohn zu verdienen. „Das ist die Lexikondefinition eines ‚race to the bottom’“, sagt Alyanak.
Ähnliches berichtet Lisa Bor, sie promoviert aktuell an der TU Berlin zu Geschlechterverhältnissen in digitalisierter Versorgungsarbeit. Laut ihr sei für Kund*innen nicht völlig ersichtlich, an wen sie eigentlich Geld zahlen: Auf der Helpling-Webseite werden die vollständigen Preise gezeigt, die Kund*innen an Arbeiter*innen zahlen – ohne dass auf den ersten Blick klar wird, dass das Unternehmen davon Provision nimmt und für selbstständige Reinigungskräfte auch noch andere Abzüge anfallen.
„Outgesourcte“ Autorität
Das nächste Kriterium aus der Richtlinie ist, dass die Plattform Regeln zur Durchführung der Arbeit oder zum Verhalten gegenüber Kund*innen festlegt. Helpling mache einige Vorgaben im Hinblick auf die Auswahl von Arbeiter*innen, so der ETUC. Diese müssten beispielsweise Referenzen angeben oder Testreinigungen durchführen. Die Forscherin Bor erwähnt einen Reinigungskurs, den Helpling für neue Reinigungskräfte anbietet – ob der verpflichtend sei oder nicht, sei manchmal nicht ganz klar.
Helpling überwache indirekt auch die Arbeit der Reinigungskräfte, so der ETUC. Das habe das Gericht in den Niederlanden auch letztes Jahr festgestellt. Die Kund*innen seien zwar die, die den Reinigungskräften Anweisungen für ihre Arbeit geben und das Ergebnis überwachen, aber die formelle Autorität sei von Helpling lediglich „outgesourct“ worden.
ETUC sieht vier von fünf Kriterien erfüllt
Dass Helpling seine Arbeiter*innen davon abhalte, sich eine eigene Basis an Klient*innen aufzubauen, sagen Dr. Stefanie Gerold und Dr. Hendrik Theine. Sie forschen zu Helpling im Projekt „Platform Cleaners“, das von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird. Sie berichten von einem ihnen bekannten Fall, bei dem eine Arbeitskraft in der Helpling-App mit einer Kund*in einen Termin ausgemacht habe. Der sollte nicht über Helpling abgerechnet werden, das Unternehmen also auch keine Provision bekommen. Das las Helpling anscheinend mit, die Arbeitskraft habe daraufhin 500 Euro Strafe zahlen sollen.
Diese Strafe kann auch noch zwei Jahre nach der eigentlichen Arbeit über Helpling anfallen. So steht es in Helplings Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Reinigungskräfte: Die Reinigungskräfte dürfen 24 Monate lang keine Folgeaufträge von Kund*innen außerhalb der Plattform annehmen, ansonsten droht ihnen eine Zahlung.
Diesen Punkt sieht auch der ETUC als Bestätigung, dass Helpling dieses Kriterium der Plattformarbeitsrichtlinie erfülle – und damit alle außer der Einschränkung, die eigenen Arbeitszeiten festzulegen oder Angebote abzulehnen. Damit erfülle Helpling vier von fünf Punkten des Vorschlags und seine Arbeiter*innen müssten damit als Angestellte behandelt werden, so der Europäische Gewerkschaftsbund.
„Wir sind grundsätzlich nicht betroffen“
Helpling vertritt einen anderen Standpunkt: „Grundsätzlich betrifft die Direktive Helpling nicht“, so das Unternehmen auf Anfrage von netzpolitik.org. Außerdem treffe keines der fünf Kriterien auf Helpling zu. Der Beschäftigungsstatus wäre bei Helpling vollkommen klar: Dienstleister*innen seien entweder selbstständig oder bei Partnerunternehmen angestellt.
„Außerdem beschäftigt sich die Direktive mit dem algorithmischen Management digitaler Plattformen. Bei Helpling wählen Kund*innen die Dienstleister*innen nach eigenen Kriterien direkt aus, es findet also kein Matchmaking über Algorithmen statt“, so das Unternehmen.
Dabei betont das Unternehmen, dass seine Geschäftsmodelle sich in verschiedenen Ländern unterscheiden. In der Europäischen Union ist Helpling in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Italien und Irland aktiv. Im Moment sei noch nicht klar, wie und ob die Richtlinie in nationales Recht übersetzt werde. Was aber klar ist: Sollte die EU-Richtlinie für Plattformarbeit so kommen, wie sie momentan geplant ist, dann wird Helpling genau argumentieren müssen, warum seine Reinigungskräfte nicht als Angestellte behandelt werden sollen.
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