Werbung für SPD-FansArbeitsministerium hat jahrelang umstrittenes Targeting eingesetzt

Das SPD-geführte Arbeitsministerium hat seine Facebook-Werbung für SPD-Fans jüngst als „Fehler“ bezeichnet, „der nicht passieren darf“. Jetzt zeigen neue Dokumente: Der Fehler ist größer als bislang bekannt.

Windige Wahlwerbung seit 2018
Mit Regierungsgeldern Werbung für SPD-Fans geschaltet: Jan Böhmermann kritisiert Arbeitsminister Hubertus Heil – Alle Rechte vorbehalten Screenshot / ZDF Magazin Royale

So zerknirscht äußert sich ein Ministerium selten. Nachdem das ZDF Magazin Royale kurz vor der Wahl aufdeckt, dass das Haus von SPD-Minister Hubertus Heil mit Facebook-Werbung im Wahlkampf gezielt SPD-Fans angesprochen hat, entschuldigt sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in aller Form. Der Vorgang sei „ein Fehler, der nicht passieren darf“, heißt in der Erklärung. Kurz darauf wird der verantwortlichen Werbeagentur gekündigt.

Was bisher nicht bekannt war: Das umstrittene Targeting war nicht auf den Wahlkampf beschränkt, sondern lief schon seit Jahren.

Wie in der politischen Kommunikation mit Daten und gezielten Kampagnen umgegangen wird, ist seit Jahren ein Streitthema. Werbeplattformen wie Facebook ermöglichen es ihren Kund:innen, die Zielgruppe ihrer Anzeigen möglichst granular zu bestimmen. Dieses sogenannte Microtargeting soll die Effizienz von Werbung erhöhen. Es soll Menschen mit den Themen und in dem Tonfall ansprechen, für die sie empfänglich sind. So können Werbetreibende Menschen gezielt nach ihren Likes und Interessen, nach Alter, Geschlecht, Einkommen und nach der Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Gruppen auswählen.

In der Vergangenheit wurde Kritik vor allem daran laut, dass die Methode Manipulation ermöglicht, weil Werbetreibende einen Informationsvorteil gegenüber ihren Zielen haben. In diesem Fall aber gibt es noch ein anderes Problem: Werbeanzeigen von Bundesministerien sind aus Steuermitteln finanziert und sollten sich deshalb nicht nur an eine Partei richten.

Gerade in Wahlkampfzeiten ist es kritisch, wenn ein Ministerium mit Regierungsgeldern Werbeanzeigen für die Fans der Partei des Ministers schaltet. Mehrere Rechtswissenschaftler:innen halten das Vorgehen für verfassungswidrig.

Auch das Gesundheitsministerium nutzte Targeting nach Partei

Verantwortlich für die Schaltung der Anzeigen war die Agentur Ressourcenmangel, die sich für das Ministerium um die Social-Media-Werbung kümmerte. Durch eine Informationsfreiheitsanfrage des freien Journalisten Lennart Mühlenmeier kommt nun die interne Aufarbeitung des Vorfalls an die Öffentlichkeit. Aus den Dokumenten geht unter anderem hervor, dass die Agentur bereits seit 2018 als Zielgruppe Menschen setzte, die bereits bei den Seiten der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ und den „Jusos“ den „Gefällt mir“-Button geklickt hatten. Fans anderer Parteien wurden hingegen nicht gezielt angesprochen.

„Dies erfolgte entgegen der expliziten Absprachen und Briefings seitens des BMAS und zwar im erheblichen Umfang und wiederholt“, heißt es im Kündigungsschreiben des Ministeriums an die Agentur, das nun auf dem Transparenzportal FragDenStaat einsehbar ist. „Das BMAS ist bei seiner Öffentlichkeitsarbeit zur Neutralität verpflichtet“, erklärt das Ministerium in dem Schreiben weiter. Staatsorgane seien angehalten, „sich nicht in amtlicher Funktion mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie nicht unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen“.

Schon zuvor war bekannt, dass bei insgesamt mehreren hundert Anzeigen Menschen anvisiert wurden, die mit der SPD sympathisieren. Alles in allem habe das BMAS 648 Inserate mit Parteizielgruppe in einem Gesamtvolumen von 17.303 Euro ausgespielt, teilte die Bundesregierung Anfang Oktober auf Anfrage der Linken-Abgeordneten Katja Kipping (PDF, S.4) mit.

Demzufolge hat auch das Bundesgesundheitsministerium 28 Anzeigen geschaltet, „bei denen unter den Zielgruppen auch an Inhalten einer bestimmten Partei Interessierte waren“, wie es in der Stellungnahme weiter heißt. Die Kosten für diese deutliche geringere Anzahl belaufen sich auf 11.922 Euro. Die Fans welcher Partei hier angesprochen werden sollten, ist bislang noch unklar. Das Haus des scheidenden CDU-Ministers Jens Spahn reagierte am Freitag weder auf eine schriftliche Presseanfrage noch auf Anrufe.

Mitarbeiter:innen soll „politisches Gespür“ gefehlt haben

Teil der jetzt veröffentlichten Dokumente des BMAS ist auch eine fünfseitige Erklärung der Agentur Ressourcenmangel für das Problem. Darin erklärt die Agentur, dass es sich nicht um absichtliches Vorgehen gehandelt habe. „Vielmehr fehlte es offensichtlich an politischem Gespür und Verständnis für die Sensibilität bei der Auswahl der Targetingoptionen.“ Der Vorgang könne „als grob fahrlässig und fehlerhaft beschrieben werden“, nicht jedoch als „absichtsvolles Handeln“.

„Im Jahr 2018 wurde das Facebook Werbekonto durch die Agentur übernommen und weiter optimiert“, erklärt die Agentur. Dabei sei von zwei ehemaligen Mitarbeiter:innen „trotz anderweitigen Briefings und Anweisung“ auch das Interessenmerkmal „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ für eine Zielgruppe hinterlegt worden. Da diese Zusammensetzung für künftige Anzeigen immer wieder kopiert wurde, seien die knapp 650 Anzeigen als „Folgefehler“ zu betrachten.

Der Fehler hätte dem ehemaligen Geschäftsführer auffallen müssen, heißt es in dem Schreiben weiter. Er habe die Firma inzwischen verlassen. Danach sei die problematische Zielgruppeneinstellung niemandem aufgefallen. Auch dem Ministerium attestiert die Agentur Schuldlosigkeit. „Das im Bereich Social Media für das Ministerium arbeitende Team war in dieser Sache arglos“ und habe mehrfach auf das Neutralitätsgebot hingewiesen.

Die Recherchen des ZDF Magazin Royale hatten ergeben, dass auch das Umweltministerium von Rheinland-Pfalz im Wahlkampf auf Targeting von Partei-Fans setzte. Das Ministerium der Grünen-Politikerin Anne Spiegel spielte Anzeigen gezielt an Menschen aus, die den Grünen auf Facebook ein Like gegeben hatten.

Facebook verweigert Transparenz über Microtargeting

Der windigen Wahlwerbung auf die Schliche gekommen war das Team von Entertainer Jan Böhmermann mithilfe einer Crowd-Recherche. Mehrere tausend Zuschauer:innen hatten sich die Browser-Erweiterung der britischen NGO WhoTargetsMe heruntergeladen, mit der sich politische Anzeigen sammeln und auswerten lassen.

Der Vorfall ist der letzte in einer Reihe von missbräuchlichen Einsätzen von Microtargeting, die spätestens seit dem Skandal um Facebook und Cambridge Analytica für Aufsehen sorgen.

Facebook selbst verweigert sich einer Lösung des Problems. Der Konzern hat zwar vor einigen Jahren Werbebibliotheken eingerichtet und veröffentlicht hier rudimentäre Information über die Zusammensetzung der Menschen, die eine Anzeige erreicht. Die Kriterien aber, mit denen Werbetreibende ihre Zielgruppe bestimmen, hält der Konzern weiter geheim. Zudem geht das Unternehmen immer wieder gegen unabhängige Forscher:innen wie WhoTargetsMe vor, die durch eigene Datensammlungen versuchen, das Zwielicht des Microtargeting auszuleuchten.

Die Hoffnungen ruhen deshalb nun auf der EU und ihrem geplanten Digital Services Act. Die Verordnung könnte unter anderem grundsätzliche Regeln für Targeted Advertising enthalten – Abgeordnete des EU-Parlaments fordern sogar ein Verbot. Zivilgesellschaft und Wissenschaft fordern zudem Vorschriften für den Forschungszugang zu Facebooks Daten.

6 Ergänzungen

  1. „Der Fehler hätte dem ehemaligen Geschäftsführer auffallen müssen, heißt es in dem Schreiben weiter. Er habe die Firma inzwischen verlassen. Danach sei die problematische Zielgruppeneinstellung niemandem aufgefallen. Auch dem Ministerium attestiert die Agentur Schuldlosigkeit. „Das im Bereich Social Media für das Ministerium arbeitende Team war in dieser Sache arglos“ und habe mehrfach auf das Neutralitätsgebot hingewiesen. “

    Wie kann es sein, dass man Features geschenkt bekommt, die man gar nicht haben will? Das ist doch unvorstellbar in der IT-Service-Welt, in der selbst heiße Luft portionsweise und hochpreisig verkauft wird. Der Anschein liegt nahe, dass die Agentur mit den Daten ein Zusatzgeschäft gemacht hat. Da mal weiter recherchieren.

    Und es gibt noch andere Ministerien, die an Arglosigkeit leiden.

  2. Vorausgeschickt: Am Targeting habe ich keinen Zweifel und auch die Mechanismen sind mir klar.

    Angeregt durch den Artikel habe ich mir gerade das Browser-Add-on „Who targets me“ installiert und war stark verwundert, wie oft ich angeblich bereits das Ziel von Facebook inspirierter politischer Werbung gewesen sein soll. Nur, ich war und bin weder bei Facebook, noch bei Google und habe auch keinen M$-Account. Mein Browser ist so verriegelt, dass viele Seiten sich weigern mit mit zu sprechen und bevor ich neues Territorium im Neuland betrete, muss ich das Vorhaben zunächst NoScript erklären. Ich nutze ein Smartphone mit Lineage OS, ohne SIM und außerhalb der eigenen vier Wände ein „normales“ Telefon. Ansonsten zeigen mir die Statistiken, dass auch mein Pi-Hole auf dem Raspi fleißig filtert.

    Kurz, ich bekomme kaum Werbung irgendwelcher Art zu sehen – es sei denn, sie wird von der direkt angesteuerten URL angezeigt. Letzteres ist eher selten. Natürlich ist mir klar, dass es Fingerprinting gibt, aber ich frage mich dennoch, woher die Informationen des Add-ons stammen könnten und wie zuverlässig die Aussagen sind. Ich werfe es wieder runter…

    @Ingo: Habt ihr eine Erklärung?

    1. (Das Anzeigen der Werbung wurde aber versucht. Der Nutzerkreis, der diese blockiert, ist a) klein b) groß? Als Ansatz, ansonsten…)

      Valide Frage bei automatisch gesammelten Daten, immer!

      1. Nun, es mag ja sein, dass es den Versuch gab, Werbung anzuzeigen. Der Browser war aber vor dem Aufruf noch „unbescholten“, d.h. außer Netzpolitik und „Who-targets-me“ wurde nichts aufgerufen. Da kann es ja nur eine Quelle der versuchten FB-Aufrufe gegeben haben. Historie sammeln ist bei mir auf auf die aktuelle Session beschränkt und jede Seite steckt in einem temporären Container.
        Nun ja, es gibt ja Leute, die etwas von Wundern munkeln…

        1. IP Nr. 12 Freitags zwischen 09:30 und 09:37… reicht doch schon fast. Mal was in der Vergangenheit zu ähnlichen Zeiten mit mehr oder weniger jungfräulichen Browsern, die sicherlich keine spezielle Konfiguration haben oder Systemdetails von sich geben, …. angestellt?

          Haben Sie vielleicht etwas angestellt?

          Und jetzt die Frage erneut: Wie viele Nutzer handeln so, und wie viele betrifft das Problem, das vielleicht mit der Menge der Nutzer besteht?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.