Vorvergangene Woche hat die griechische Regierung auf Samos das erste von sechs neuen Lagern für Geflüchtete in Betrieb genommen. Das neue „Closed Controlled Access Center“ liegt rund acht Kilometer von der nächsten Kleinstadt entfernt im Nirgendwo. Es besteht aus hunderten Containern mit Klimaanlage, Freizeiträumen, einer Essensausgabe, Sportstätten und einem Spielplatz, der sich wie alle anderen Anlagen hinter einem doppelten, mit NATO-Klingendraht gesicherten Zaun befindet. Bis zu 3.000 Menschen können dort eingesperrt werden, derzeit sind es noch 600.
Das Lager ist farblich aufgeteilt in Regionen und Sprachen; grüne Wohneinheiten sind für Arabischsprachige reserviert, blaue für Afghan:innen und rote für Menschen afrikanischer Herkunft. Ein in lila gehaltener Bereich markiert die COVID-19-Quarantänestation, auf dem Gelände befindet sich außerdem ein Abschiebegefängnis. Über ein Lautsprechersystem können Durchsagen an alle Insassen erfolgen.
Völkerrechtswidrige Pushbacks während Eröffnung
Wie auf den Inseln Chios, Kos, Leros und Lesbos gelten die Einrichtungen als „Hotspot“. Der Begriff bezeichnet ein Lagersystem , das die Europäische Kommission 2015 etabliert hat. Die Pflicht zum Aufenthalt in einem „Hotspot“ basiert auf einer Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei aus dem Jahr. Dort festgelegte „geografische Beschränkungen“ zwingen Asylsuchende, auf den Inseln den Ausgang ihres mitunter mehrere Jahre dauernden Verfahrens abzuwarten. Aus diesem Grund sind die Einrichtungen notorisch überfüllt. Das Anfang 2020 in Kraft getretene griechische Asylgesetz enthält weitere „Freiheitsbeschränkungen“, darunter etwa für Neuankömmlinge.
„Griechenland kommt seinen Verpflichtungen nach und schützt die europäischen Grenzen und unsere gemeinsamen Ideale“, zitiert die Deutsche Welle den griechischen Minister für Migration und Asyl, Notis Mitarakis, zur Eröffnung auf Samos. Mitarakis ist als Hardliner bekannt, er befürwortet Pushbacks von Geflüchteten in die Türkei und nennt eine hohe Zahl von Abschiebungen als Priorität.
Die völkerrechtswidrigen Zurückweisungen werden von der EU weiter ignoriert. Sogar während der Eröffnungszeremonie sollen zwei Schlauchboote auf Samos angekommen sein, nur zwei der Geflüchteten wurden registriert, alle anderen laut der Deutschen Welle in die Türkei zurückgetrieben. Zur gleichen Zeit lobte der Vizepräsident der EU-Kommission Margaritis Schinas das Lager, da „Asylsuchenden und Migranten“ dort ein würdevoller Aufenthalt ermöglicht würde.
Biometrie und Kameras
Die Insassen bezeichnen die Anlage als „Guantanamo“, schreibt die Deutsche Welle. Das Lager ist von Wachttürmen umringt, der Zutritt nur über Drehtüren und Zwei-Faktor-Authentifizierung möglich. Wer hinein will, muss einen Chip vorzeigen und biometrische Daten an einem Fingerabdruckscanner kontrollieren lassen.
Überall in dem Lager hängen Rundum-Videokameras, die auf Bewegungen am Zaun reagieren und „verdächtiges Verhalten“ mithilfe „Künstlicher Intelligenz“ erkennen sollen. Zusammen mit Drohnen, Alarmanlagen, Metalldetektoren und Röntgengeräten bilden die Kameras ein System mit dem Namen „Centaur“. Der Name stammt aus der griechischen Mythologie und meint ein gewalttätiges Fabelwesen aus Pferd und Mensch.
Die Überwachungsplattform auf Samos ist Teil des Projekts „Nationale Migrationsstrategie 2020-2021, Schutz der Ägäischen Inseln“, in der die Regierung Prioritäten für den Umgang mit Asylsuchenden festlegt. Alle Informationen laufen in einem neuen Kontrollzentrum zusammen, das im Gebäude des Ministeriums für Migration und Asyl in Athen untergebracht ist. Vergangene Woche hatte der oberste Dienstherr Journalist:innen die Anlage vorgestellt. Die angeschlossenen Behörden nutzen für ihre Kommunikation und die Bearbeitung von Anträgen die Plattform „Microsoft 365“, die das Ministerium schwärmerisch als „demokratisch“ bezeichnet.
Die Suche nach neuen Technologien, wie sie nun in den Lagern auf den fünf Mittelmeerinseln sowie im Camp Fylakio am Evros-Grenzfluss eingesetzt werden, obliegt dem staatlichen Zentrum für Sicherheitsstudien KEMEA. Es ist auch an zahlreichen EU-Projekten der Sicherheitsforschung beteiligt. Viele der dort mitarbeitenden Firmen treffen sich kommende Woche auf dem jährlichen „Weltgrenzsicherheitskongress“ in Athen, der von Minister Mitarakis persönlich eröffnet wird. Im Mittelpunkt Kongressmesse stehen Grenzüberwachungssysteme mit „Künstlicher Intelligenz“, entsprechende Projekte wie etwa „ROBORDER“ oder ein Luftschiff von Frontex werden in einem begleitenden Werbemittel vorgestellt.
EU unterstützt Mauern und Zäune
Das Lager auf Samos wird mit rund 43 Millionen Euro vollständig von der EU finanziert. Insgesamt zahlt die Kommission 276 Millionen Euro für die neuen Zentren auf den Inseln. Eine entsprechende Vereinbarung hatten die EU-Kommissarin Ylva Johansson und die griechische Regierung im vergangenen Dezember unterzeichnet, das Geld stammt aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF). Für das Camp in Fylakio zahlt die EU 18 Millionen Euro aus dem Fonds für die Innere Sicherheit (ISF).
Ursprünglich hatte die Kommission darauf bestanden, dass es sich um grundsätzlich offene Lager handeln sollte. Um den von der griechischen Regierung durchgesetzten Begriff „Closed Controlled Access Center“ hatte deshalb Streit gegeben, denn die EU finanziert Gefängnisse oder Zäune höchstens indirekt. Brüssel ließ sich von Athen mit der Zusage beruhigen, dass ein Teil der Insassen das Lager zu bestimmten Zeiten verlassen dürfen.
Griechische Behörden statten auch auf dem Festland bis zu 24 Lager mit Zäunen und Mauern aus, dem Magazin Solomon zufolge mit Unterstützung der EU und der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Laut Al Jazeera werden aus dem ISF außerdem in 39 Lagern 75 Prozent der Ausgaben für Überwachungstechnologie bezahlt. Das Magazin Politico berichtet, dass die griechische Regierung erst kürzlich weitere EU-Finanzierung für den Ausbau eines Zauns an der griechisch-türkischen Landgrenze beantragt hat, eine Antwort der Kommission steht demnach noch aus.
Geheimtopf und versteckte EU-Mittel
Für die Umsetzung derartiger Maßnahmen hatte die Regierung in Athen im vergangenen Jahr einen neuen Topf für „Sonderausgaben“ im Bereich nationaler Sicherheit eingerichtet. Kritiker:innen sprechen von einem „Geheimfonds“, dessen Zu- und Abflüsse wegen Auswirkungen auf die EU-Finanzhilfen auch von der Kommission kontrolliert werden müssten. Parlamentarischen Fragen dazu weicht die Innenkommissarin Ylva Johansson jedoch aus.
Weitere, versteckte finanzielle EU-Unterstützung erhält Griechenland durch die Aussetzung von Vorgaben des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die Regierung hatte beantragt, die Mehrwertsteuersätze auf den Inseln Samos, Chios, Kos, Leros und Lesbos weiterhin um 30 Prozent zu senken, die Ersparnis soll jährlich rund 60 Millionen Euro betragen. Die Eurogruppe hat dem Antrag zugestimmt mit dem Argument, damit den Widerstand der Bevölkerung gegen die Lager zu besänftigen.
Die Bezeichnung Panoptikon (oder ist Panopticon gemeint?) ist nicht zutreffend. Die Charakterisierung von Centauren als gewalttätige Fabelwesen ist wohl eher als schwacher Framing-Versuch zu werten. Dieser Artikel sollte überarbeitet werden.
Recht hast du, vielen Dank. Statt „k“ deshalb „c“. Zu den Kriegen der Kentaur kann man* unterschiedlicher Meinung sein.
Als Centaur/K/X möchte ich dem vehement widersprechen. In einer aufmerksamkeitsgenerierten Welt kann nicht oft genug auf den Krieg hingewiesen werden!
Zitat Wikipedia: „Die Kentauren waren die Erzfeinde der Lapithen und wurden von diesen aus Thessalien auf die Peloponnes vertrieben, als sich die Zentauren bei der Hochzeit des Königs der Lapithen, Peirithoos, „vom Wein erhitzt“ über deren Frauen hermachten.“
Uff, also wenn die Anspielung Absicht ist, dann ist das schon derb. Aber gut: es passt ins Menschenfeindliche Gesamtbild, somit ist das auch recht stimmig…
Die Wikipedia definiert Panopticon als „Konzept zum Bau von Gefängnissen und ähnlichen Anstalten,[…] das die gleichzeitige Überwachung vieler Menschen durch einen einzelnen Überwacher ermöglicht.“
Nun weiß ich nicht, ob das digitale Totalüberwachungssystem in den oben geschilderten FIL* tatsächlich komplett von einer Person bedient werden kann, ich vermute mal: ja, die eingesetzte künstliche „Intelligenz“ wird das ermöglichen.
Da es im usprünglichem Konzept von Bentham darauf ankommt, dass sich die Insassen jederzeit überwacht fühlen, aber die Überwacher selber nicht beobachten können, lässt sich die hier verwendetete Kameraüberwachung als moderne Variante des zentralen Überwachungsturmes lesen.
Kurz gefasst: meiner Meinung nach sind diese Einrichtungen ganz hervorragende Beispiele für eine moderne Umsetzung des Benthamschen Panoptikums.
Allerdings würde ich diese Einrichtungen dennoch nicht als Panoptikum bezeichnen, der Begriff ist ja nun nicht gerade Allgemeinbildung. Stattdessen würde ich, rekurrierend auf die von Minister Mitarakis erwähnten „gemeinsamen Ideale“, von Flüchtlings-Internierungs-Lagern sprechen.
Europas Antwort auf Amerikas „walled gardens“ :).
Jetzt ist auch klar, warum sie Moria so sehr haben eskalieren lassen. Im Vergleich sieht die Bude jetzt nämlich richtig human aus. Sauber und jede Menge Platz.
Im griechischen gibt es nur ein K kein C,
somit ist es egal wer wie etwas schreibt.
Und wenn irgendwelche Leute es kommentieren dann richtig,
und nicht weil sie etwas im Internet gelesen haben und versuchen hier ein auf Schlau.
Aber die Leute soll es auch geben. 😊