Belarus ist in Aufruhr: Seit der fragwürdigen Wiederwahl des Autokraten Alexander Lukaschenko Anfang August gehen die staatlichen Behörden gewaltsam gegen die protestierende Bevölkerung vor. Zur Strategie der Regierung gehören dabei Netzsperren und Störungen. Am Wochenende kam es erneut zu Einschränkungen des Internetzugangs im Land, dutzende Websites waren gesperrt.
Bereits am Tag der Präsidentschaftswahl kam es zu landesweiten Internetstörungen, die Bevölkerung konnte auf zahlreiche Nachrichtenseiten, soziale Netzwerke und Messenger-Dienste nicht zugreifen. 61 Stunden dauerte die Störung an, meldete Netblocks. Die NGO dokumentiert Internetausfälle und Netzsperren im Zusammenhang mit Wahlen und Großereignissen weltweit. Erst am Mittwoch nach der Wahl hatten weite Teile des Landes wieder uneingeschränkten Internetzugang. Die Störungen dürften die Organisation der Proteste durch die Opposition erschwert haben.
Am vergangenen Wochenende meldete Netblocks erneut Störungen bei mehreren Netzbetreibern in Minsk. Mehr als drei Stunden waren die Internetdienste unter anderen der Anbieter MTS und A1 eingeschränkt. Offenbar hatten Regierungsbehörden die Betreiber:innen unter dem Vorwand einer nationalen Sicherheitsmaßnahme zu den Abschaltungen aufgefordert, berichtet Netblocks.
Netzsperren und Gewalt gegen Journalist:innen
Bereits am vergangenen Freitag beklagte der Journalist:innenverband Belarusian Association of Journalists (BAJ) „eine große Zahl“ gesperrter Websites im Land, wozu vor allem Nachrichtenseiten und Auftritte politischer Bewegungen zählten. NBC News berichtet von mehr als 20 gesperrten Websites, darunter sei auch die von Radio Liberty. Der Sender ist von der US-Regierung finanziert und sendet in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit. Der Telegram-Info-Channel Nexta zählte 73 gesperrte Websites. Auf die Seite der BAJ selbst können die Belaruss:innen seit den Wahlen am 9. August nicht zugreifen, so der Verband. Zudem verhinderte die staatliche Druckerei am vergangenen Freitag die Veröffentlichung der unabhängigen Zeitungen Narodnaya Volya and Komsomolskaya Pravda. Für letztere war es bereits das dritte Mal seit der Präsidentschaftswahl. Die Druckerei begründete den Druckstopp mit technischen Problemen.
Die BAJ bezeichnete die Netzsperren als Versuch, Informationen über Proteste nach der Präsidentschaftswahl und über massive Gewalt an deren Teilnehmer:innen zu blockieren. Der Verband verurteilte die Netzblockaden als Angriff auf die Presse- und Informationsfreiheit im Land und forderte die Regierung auf, diese massiven Rechtsverletzungen zu stoppen.
Seit Beginn der Proteste gehen die Behörden hart gegen unabhängige Journalist:innen vor. 69 Pressevertreter:innen wurden seit dem 9. August nach BAJ-Angaben zumindest vorübergehend festgenommen. Sie hatten über die Proteste berichtet. 36 von ihnen waren demnach von den staatlichen Sicherheitskräften geschlagen und anderweitig verletzt worden, zwei Reporterinnen seien durch Schüsse ins Bein verwundet worden. Ein Video vom 10. August, das die oppositionelle Wochenzeitung Nasha Niva am Dienstag twitterte, zeigt ihr zufolge einen dieser Vorfälle. Darin soll zu sehen sein, wie Streitkräfte der Regierung einer Journalistin der Nasha Niva, Natalia Lubnevskaya, ins Bein schießen. Sie trug eine blaue Presseweste.
Der Europäische Journalist:innenverband EFJ veröffentlichte auf Twitter ein Foto des belarussischen Journalisten Rasl Kulevich, dem die Polizei bei seiner Festnahme beide Unterarme gebrochen hatte.
Zwar wurde die Mehrheit der Journalist:innen inzwischen wieder aus dem Gefängnis entlassen. Mehrere Journalist:innen müssen sich nun jedoch vor Gericht verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, über unerlaubte Kundgebungen berichtet zu haben. Das verbietet die belarussische Gesetzgebung laut BAJ jedoch gar nicht. Journalist:innen des Staatsfernsehen haben sich inzwischen den Protesten gegen die manipulierten Wahlergebnisse angeschlossen, manche kündigten sogar.
Grausame Zustände in Gefängnissen
Neben Journalist:innen, die von Gewalt und miserablen hygienischen Zuständen in den Gefängnissen berichten, äußerten sich auch die Aktivist:innen des Belarus Free Theatre in einem Video auf Twitter und Instagram. Die Theatergruppe agiert von Minsk und London aus und kämpft seit Jahren gegen Unterdrückung durch das Regime in Belarus. Die beiden Geschäftsführerinnen, Svetlana Sugako und Nadezhda Brodskaya, wurden am Tag der Wahl nahe eines Wahlbüros bei Protesten festgenommen. Sie berichten von überfüllten Zellen, Frauen, die zusammenbrechen, und Gewalt gegen Männer in benachbarten Zellen. Es habe an Lebensmitteln, Trinkwasser und Sauerstoff gefehlt. Nach Angaben der beiden Frauen sollen andere Gefangene Vergewaltigungen erlitten haben.
Die Künstler:innen haben eine Online-Kampagne unter dem Hashtag #StandWithBelarus gestartet und zu weltweiter Solidarität aufgerufen. Auf ihrem Twitter-Account berichten sie von den Protesten und Festnahmen in Minsk. Dort war nach Aussage der Aktivist:innen die Internetverbindung auch am Mittwoch weiterhin „unglaublich instabil“. Das bestätigt Natalia Kaliada, Co-Gründerin und Künstlerische Direktorin der Theatergruppe, gegenüber netzpolitik.org. „Wir wissen nicht, wann sich unsere Leute vor Ort bei uns melden. Manchmal können sie Informationen erst mit Verspätung an uns weitergeben.“ Das Hauptziel der Regierung sei es, Nachrichtenseiten zu sperren, damit Informationen nicht an die Bevölkerung und ins Ausland gelangen.
Ein Teil der Theatergruppe arbeitet aktuell in ländlichen Regionen von Belarus, in denen die Bevölkerung nur Zugang zu staatlichem Fernsehen und Radio hat. Die Schauspieler:innen informieren sie in Gesprächen über die aktuelle politische Lage im Land. Andere Mitglieder der Gruppe unterstützen freiwillig die Protestierenden in Minsk und schicken Informationen zur Verbreitung in den sozialen Medien nach London. Natalia Kaliada und ihr Mann, die vor zehn Jahren als politisch Verfolgte nach Großbritannien kamen, arbeiten mit politischen Behörden zusammen. Sie versuchen, die europäischen Staaten zu Sanktionen gegen die Regierung von Alexander Lukaschenko zu bewegen.
Mit ihrer Online-Kampagne hatten die Künstler:innen zumindest einen ersten Erfolg: Natalia Kaliada berichtet, dass rumänische Künstler:innen daraufhin um Unterstützung bei ihrem Präsidenten gebeten hätten. Bereits zwei Tage später sicherte demnach der rumänische Außenminister finanzielle Unterstützung für Journalist:innen und die Zivilbevölkerung in Belarus zu.
Netzsperren sind leider auch hierzulande für manche „rechtskonservative“ Politiker schon lange das allerliebste Wunschmittel um Kontrolle im Internet auszuüben (s. „Zensursula“, „Internet-Stoppschild“, Zugangserschwerungsgesetz, usw.). Bisher zum Glück nur mit begrenzten Erfolg – aber für wie lange noch?