Durfte der Produzent Moses Pelham in seinem Song „Nur Mir“ für Sabrina Setlur einen zweisekündigen Schnipsel des Songs „Metall auf Metall“ von Kraftwerk verwenden? Diese Frage In dieser Causa hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nach einer mehr als 20 Jahre dauernden gerichtlichen Auseinandersetzung heute entschieden.
Erstaunlicherweise hat dieses Endlos-Verfahren über die Jahre sogar noch an Bedeutung gewonnen: Wie groß die nationalen Spielräume bei der Umsetzung der kürzlich beschlossenen EU-Urheberrechtsreform sind, hängt auch vom heute verkündeten Urteil ab. Vor allem für die Umsetzung des am heftigsten umstrittenen Artikel 17 (früher 13), der Plattformen für nutzergenerierte Inhalte zur Einführung von Uploadfiltern zwingen dürfte, ist die Entscheidung des EuGH folgenreich.
Im Fokus des Verfahrens stand aber die künstlerische Praktik des Sampelns. Im Juristendeutsch des EuGH: „die Technik des ‚Elektronischen Kopierens von Audiofragmenten‘ […] zur Schaffung eines neuen Werks.“ Vor dem EuGH ist der Fall gelandet, weil sich zwei deutsche Höchstgerichte – der Bundesgerichtshof (BGH) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfg) – in ihrer Einschätzung uneinig waren. Der BGH hatte zunächst entschieden, dass auch die Nutzung kleinster Tonschnipsel ohne Zustimmung der Rechteinhaber unzulässig sei. Das BVerfG hatte dem in einer lesenswerten Entscheidung die Kunstfreiheit entgegengehalten und das Sampling im konkreten Fall für zulässig befunden.
In seiner Begründung hatte das BVerfG unter anderem auf das Recht zur „freien Benutzung“ in § 24 des deutschen Urheberrechtsgesetzes verwiesen. Die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem EU-Urheberrecht hatte der BGH dann wiederum bezweifelt und den EuGH um Vorabentscheidung dieser und einiger weiterer Fragen gebeten.
Gute Nachrichten für Fans von Sampling
Im Ergebnis können sich die Freundinnen und Freunde sampling-basierter Kunst freuen. Denn der EuGH hat gleich zwei Wege eröffnet, die Sampling auch ohne die Klärung von Rechten erlauben. Einerseits ist Sampling dann erlaubt, wenn „es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk“ verwendet wird. Andererseits kann Sampling auch unter das Zitatrecht fallen, gerade weil das entnommene Audiofragment „beim Hören des neuen Werks wiedererkennbar ist“. Voraussetzung dafür ist, dass „die Nutzung zum Ziel hat, mit dem Werk, dem das Audiofragment entnommen wurde, […] zu interagieren.“ Eine solche Interaktion kann es schon aus logischen Gründen nur geben, wenn das zitierte Werk zu erkennen ist.
Im konkreten Fall dürfte das Urteil des EuGH also die Rechtsposition von Moses Pelham stärken und ist näher an der Rechtsauffassung des BVerfG als jener des BGH. Über den Fall hinaus könnte das Urteil zu einem Comeback von Sampling-basiertem „Old School“-HipHop zumindest in Europa führen: bislang verzichten viele Künstler:innen auf Samples aus Angst vor komplizierter und teurer Rechteklärung.
Kein Freibrief für Remixes und Mashups
Einen Freibrief für Remix- und Mashup-Kunst bedeutet das Urteil jedoch nicht. Ob Werke wie zum Beispiel das Mashup „A Song of Vanilla Ice and Fire“, bei dem der Song „Ice Ice Baby“ von Vanilla Ice mit Fragmenten von „Game of Thrones“ reproduziert wird, auch von der Kunstfreiheit gedeckt sind, ist auch nach dieser Entscheidung fraglich. Denn einerseits werden hier nur Ton- und Bildfragmente aus „Game of Thrones“ übernommen (diese Nutzung ist wohl vom Urteil erfasst), gleichzeitig läuft aber die gesamte Tonspur von „Ice Ice Baby“ im Hintergrund. Ein gesetzliches Recht auf Remix nach Vorbild von „Fair Use“ im US-Copyright hätte hier mehr Klarheit geschaffen.
Lehren für nationale Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform
Ebenfalls über den Einzelfall hinaus reicht die Entscheidung zur in § 24 UrhG geregelten „freien Benutzung“. Insofern diese Bestimmung nicht unter die abgeschlossene Liste von Ausnahmebestimmungen in Art. 5 der geltenden EU-Urheberrechtsrichtlinie fällt, ist sie nicht anwendbar. Hierzu hält der EuGH sehr eindeutig fest, dass
„ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht keine Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Recht des Tonträgerherstellers […] vorsehen darf, die nicht in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehen ist.“
Ideen, wie Uploads „unterhalb einer zeitlichen Grenze“ von Lizenzgebühren freizustellen oder für längere Uploads eine „gesetzlich verpflichtend ausgestaltete Pauschallizenz“ einzuführen, sind demnach auf Ebene des deutschen Urheberrechts definitiv unmöglich. Politiker:innen, die auf dieser Basis eine Umsetzung der jüngsten EU-Urheberrechtsreform ohne Zwang zu Uploadfiltern versprochen haben, werden dieses Versprechen nicht halten können.
Irgendwie kann ich die „positive“ Lesart des Urteils in diesem Artikel nicht nachvollziehen.
Das Sampling von unerkennbaren, veränderten Fragmenten sehe ich als geschenkt, viele benutzen aber auch gerne mal bewusst bekannte Fragmente, Hooks, etc.. Die Streitfrage, ob das zum Pushen des „eigenes“ Werks geschieht oder ob eine künstlerische Auseinandersetzung gemäß des hier genannten Zitatrechts stattfindet, bleibt hier doch genauso schwammig und rechtlich ungeklärt.
Versprechen zu Uploadfiltern?
Wurde überhaupt ein Versprechen gegeben? Bestenfalls gilt hier „hoffunungserfüllt ein Versprechen aus dem Gesagten herleiten“. Das läuft eher unter „Koalitionsvertrag“ oder „Lippenbekenntnis“, ohne wirksames Korrektiv. Wer vom Fach kann denn Vertrauen für eine volksparteigeführte Zukunft aufbringen? Und wie nennt man sowas dann?
IT-bezogen ist das ein grausamer Witz, was die GROKO abliefert, von deren Statements kann man kaum etwas Fach- oder Vernunftbezogenes ableiten. Würde ich auf diese Sorte „Humor“ stehen, müsste ich wohl jeden Tag einen Film der Art „Seppuku mut Holzschwert auf Großleinwand“ gucken. Mach‘ ich aber nicht, also was mache ich jetzt?
Kaum ist die Entscheidung des Gerichts ergangen, lebt der Streit um die Interpretation des Urteils auf (vgl. die ganz andere Akzente setzende Einschätzung der bekanntermaßen musikindustriefreundlichen Eleonora Rosati auf „IP Kitten“ ).
Daran zeigt sich, wie wenig in der Sache durch diese Entscheidung geklärt ist.
Paradox erscheint zumal die Stellungnahme des Gerichts zur Zulässigkeit der deutschen Bestimmung zur „freien Benutzung“ aus § 24 UrhG: Einerseits wird eine enge Handhabung des Schrankenkatalogs aus Art. 5 der Infosoc-RL für unerläßlich erklärt, mit der das deutsche Recht nicht vereinbar sei, andererseits scheinen die Gründe für die Unterscheidung zwischen zulässigem und lizenzbedürftigem Sampling, die das Gericht für erforderlich hält, doch im wesentlichen dem zu folgen, was die deutsche Rechtsprechung zu §§ 23, 24 UrhG erarbeitet hat.
Bemerkenswert ist auch, wie der EuGH sich nun im Hinblick auf die Grundrechtscharta der EU der bereits vom BVerfG skizzierten Linie anschließt, daß die Fachgerichte im Einzelfall die Kunstfreiheit auch der sampling-basierte Verfahren nutzenden Künstler gegen unverhältnismäßige Einschränkungen schützen müssen, die sich aus der Durchsetzung von Leistungsschutzrechten an den verwendeten Materialien ergeben würden.
Dank an Leonhard Dobusch auch für das Aufzeigen der Implikationen dieser Entscheidung für die anstehenden Diskussionen über den Entscheidungsspielraum des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung der neuen Regelungen zur Providerhaftung aus der DSM-Richtlinie!
„Durfte der Produzent Moses Pelham in seinem Song „Nur Mir“ für Sabrina Setlur einen zweisekündigen Schnipsel des Songs „Metall auf Metall“ von Kraftwerk verwenden? Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nach einer mehr als 20 Jahre dauernden gerichtlichen Auseinandersetzung heute entschieden.“
Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) NICHT ENTSCHIEDEN! Zuständig für die Entscheidung dieser Frage ist NICHT der EuGH , sondern der Bundesgerichtshof (BGH).
„In seiner Begründung hatte das BVerfG unter anderem auf das Recht zur „freien Benutzung“ in § 24 des deutschen Urheberrechtsgesetzes verwiesen. Die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem EU-Urheberrecht hatte der BGH dann wiederum bezweifelt und den EuGH um Vorabentscheidung dieser und einiger weiterer Fragen gebeten.“
Leider erwähnt / erkennt Dobusch nicht, wie der EuGH die Frage nach der Vereinbarkeit des deutschen § 24 mit den europäischen Regulierungen der Rechte der Tonträgerproduzenten entschieden hat. Nämlich so (zit. nach http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=216552&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=4742001):
„Ein Mitgliedstaat darf in seinem nationalen Recht keine Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Recht des Tonträgerherstellers aus Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 vorsehen, die nicht in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehen ist.“
Das deutsche Recht zur „freien Benutzung“ gilt für Sampling NICHT!
„Im konkreten Fall dürfte das Urteil des EuGH also die Rechtsposition von Moses Pelham stärken und ist näher an der Rechtsauffassung des BVerfG als jener des BGH.“
NEIN. Das EuGH-Urteil ist NICHT „näher an der Rechtsauffassung der BVerfG als jener des BGH“, sondern im Gegenteil: diese Rechtsauffassung wird als FALSCH eingeordnet, eine „freie Benutzung“ gibt es in Bezug auf Sampling NICHT.
Laut EuGH-Urteil sind Samples ohne Erlaubnis in zwei Fällen erlaubt:
1. Wenn es um ein Zitat geht, das heißt, wenn sich der neue Song mit dem benutzten Werk auseinandersetzt / sich auf diese bezieht etc.
2. Wenn das Sample nicht erkennbar ist.
Fall 2 scheidet aus, weil das Sample EINDEUTIG als von Kraftwerk stammend erkennbar ist.
Fall 1 scheidet ebenfalls aus, weil Pelham ja immer behauptet hat, nicht gewusst zu haben, woher das Sample stammt, das heißt, bei „Nur Mir“ kann es sich nicht um eine Auseinandersetzung mit / Bezugnahme auf „Metal auf Metal“ handeln.
Dass die Formulierung zum Einstieg nicht ganz korrekt war, stimmt (auch wenn im Verlauf des Artikels deutlich wird, dass es jetzt vor dem BGH weitergeht). Ich habe das angepasst.
Ansonsten würde ich es so sehen: herrschende Meinung und auch (BGH-)Rechtsprechung war bislang, kein Sampling ohne Rechteklärung im Einzelfall. Erkennbarkeit hin oder her. Jetzt ist klar: Sampling ohne Rechteklärung ist möglich und es gibt sogar zwei Möglichkeiten dafür.
In diesem Zusammenhang wird es jetzt auf zwei Dinge ankommen:
– was gilt als „Interaktion“ bzw. wie eng wird das gefasst?
– welcher Rezipient:innenkreis ist für „Erkennbarkeit“ entscheidend?
Meine Prognose für die nächste BGH-Runde: der BGH wird die Erkennbarkeit verneinen und deshalb die Frage der Interaktion gar nicht erst erörtern.
Es ist aber natürlich auch denkbar, dass der BGH Erkennbarkeit bejaht und Interaktion verneint. Das würde dann Ihrer Lesart des Falls entsprechen und die Hardliner-Linie des BGH retten, insofern ist es in der Tat vieleicht sogar wahrscheinlicher.
Das ändert aber nichts an der grundsätzlich samplingfreundlicheren Entscheidung des EuGH und dessen Kunstfreiheitsargumentation, die ich als der BVerfG-Position näher sehe. Dass § 24 als unvereinbar gesehen wird, steht explizit im Artikel.
Hinzu kommt die Frage nach der Bern-kompatiblen Auslegung des Zitatrechts. In dem Zusammenhang empfehle ich das hier: Bently, L., & Aplin, T. (2019). Global, Mandatory, Fair Use: The Nature and Scope of the Right to Quote Copyright Works. (DOC-Download)
Sorry, den letzten Abschnitt unter dem Video hatte ich heute Nacht übersehen.
Die Frage, wie Zitat Interaktion bei Klang im Allgemeinen und Pop-Musik im Speziellen aussehen kann/muss, ist wirklich hoch interessant!
Wurde das in der Vergangenheit schon einmal belastbar diskutiert, oder ist das jetzt einfach die nächste mehrjährige Baustelle? :)
Leider zu früh gefreut:
https://irights.info/artikel/metall-auf-metall-neues-urteil-im-sampling-streit-zwischen-kraftwerk-und-moses-pelham/31425
Der Artikel sollte dementsprechend ergänzt werden, nicht dass jemand jetzt glaubt, Sampling wäre legal…