Open-Source-Förderung auf der Kippe„Wir liefern, was Europa braucht, um unabhängiger zu werden“

Die EU zahle ein Vermögen für kaputte, kommerzielle Software, kritisiert Michiel Leenaars von der niederländischen NLnet Foundation im Interview mit netzpolitik.org. Mit seinem Team unterstützt er quelloffene, kostenlose Lösungen, und zwar mit Geldern der EU. Damit könnte aber bald Schluss sein.

NGI Zero-Banner vor einem Van des Roten Kreuzes und einem roten Gebäude. Das Banner besteht aus vielen Sechsecken mit verschiedenen Logos.
Ein Banner mit Aufklebern von Projekten, die NLnet unterstützt hat. – netzpolitik.org

In den 1980er-Jahren gründete eine Gruppe aus Internet-Begeisterten in den Niederlanden die NLnet Foundation. Ihre Mission: Das Internet zu verbessern. Dafür fördert die gemeinnützige Organisation Open-Source-Projekte. Zu der langen Liste aus Hunderten Projekten gehören etwa das Protokoll, das dem Fediverse zugrunde liegt; das von vielen als Twitter-Alternative genutzte Mastodon – oder auch die YouTube-Alternative PeerTube.

Eine wichtige Finanzierungsquelle für die Stiftung ist die EU. Die könnte nun aber den Geldhahn abdrehen. Was dann? Darüber sprechen wir mit dem Strategiedirektor der Stiftung, Michiel Leenaars. Zum Einsatz kam dabei natürlich ein quelloffenes Videokonferenz-Tool: Jitsi.

„Zum Internet kam ich schon als Kind“

netzpolitik.org: Michiel Leenaars, wie sind Sie bei NLnet gelandet?

Michiel Leenaars: Mein fachlicher Hintergrund ist Physik und Kunst, was mich aber nicht wirklich irgendwo hingeführt hat. Zum Internet kam ich schon als Kind im Jahr 1989, als mein Bruder anfing, Informatik zu studieren. Ich wurde später Politikberater für die niederländische Internet Society, begann nebenbei für die Netherlands Science Foundation zu arbeiten und landete 2007 bei der NLnet Foundation.

Wir sind eine sehr kleine Organisation mit 11 Mitarbeitenden, sodass wir alle in einen kleinen Raum passen. Es geht uns nicht darum, mit großen Zahlen zu protzen, wir haben aber Projekte in 60 Ländern. Ein solches Portfolio entsteht eben, wenn alle Projekte erlaubt sind, die irgendein echtes Problem im Internet angehen. Wir haben etwa Leute, die an offenen Hardware-Chips arbeiten, an USB-Webcams ohne proprietäre Teile, an Mobiltelefonen oder an Laptops.

Jitsi zum Beispiel, das Tool, das wir gerade benutzen, wurde von uns schon finanziert, noch bevor es Jitsi hieß. Ich hatte das Team damals darauf hingewiesen, dass der alte Name „SIP Communicator“ nicht mehr wirklich angebracht ist. Also haben sie diesen bulgarischen Namen genommen – Jitsi heißt auf Bulgarisch Drähte.

netzpolitik.org: Eine wichtige Rolle bei Ihrer Arbeit spielt Next Generation Internet – was ist das?

Michiel Leenaars: Next Generation Internet ist eine Initiative der Europäischen Kommission. Sie entstand drei Jahre nach Snowden mit der Idee, für geringe Geldbeträge sicherzustellen, dass wir den Anschluss an neue Netzwerktechnologien nicht verpassen. Wir haben zusammen mit dem Beratungsunternehmen Gartner Europe eine Studie darüber geschrieben, wie man das machen könnte.

„Politiker:innen fällt es schwer zu verstehen, was wir tun“

netzpolitik.org: Wie läuft das genau ab?

Michiel Leenaars: Die Kommission legt Geld auf den Tisch, unterteilt in verschiedene Blöcke. Jeder dieser Blöcke hat ein Label, zum Beispiel „Suche“ oder „Datenschutz“. Wir hatten das Glück, einen Teil davon zu bekommen. Das hat uns gezeigt, das man auch mit geringen Summen an der gesamten Werkzeugkette des Internets arbeiten kann. Das ist ein ganz anderer Ansatz als diese monolithischen Konsortien aus 50 Universitäten und Unternehmen, die gemeinsam an der Lösung eines großen Problems arbeiten sollen – und das Problem am Ende nicht lösen, während sie fünf Jahre lang Geld dafür bekommen.

Unsere Aufgabe ist es dagegen, Geld in die Community zu bringen und es gerecht aufzuteilen, mit etwas Qualitätssicherung. Wir wählen die Projekte aus, die wirklich gut sind und eine bedeutende Wirkung haben. Wir geben ihnen Geld und helfen mit viel technischer Unterstützung, Sicherheitsprüfungen und so weiter.

netzpolitik.org: Was sagt die EU-Kommission dazu?

Banner mit Text: Unser BlackRock seid Ihr! Journalismus mit Haltung. Garantiert nicht neutral. Nur möglich dank deiner Unterstützung. Spende jetzt.

Michiel Leenaars: Die schwierige Sache ist, dass wir ein Fonds für Ingenieur:innen sind. Ingenieur:innen verstehen, dass fast alles, was wir tun, für das Ökosystem sehr wichtig ist. Das ist bei politischen Entscheidungsträger:innen anders. Die meisten Politiker:innen haben kein Verständnis für das, was wir machen.

Das ist eine schwierige Situation für uns. Wir liefern, was Europa braucht, um unabhängiger zu werden. Wenn ich mich in unserem Büro umsehe und darüber nachdenke, welche andere Organisationen in den letzten zehn Jahren mehr zur digitalen Souveränität in Europa beigetragen haben, fällt es mir schwer, welche zu finden. Andererseits dauert es manchmal sehr lange, bis die Leute das kapieren. Es ist eine Art Kassandra-Syndrom.

„Wir haben die besten Leute der Welt, die an der besten Software arbeiten“

netzpolitik.org: Wo könnten Entscheidungsträger:innen Ihnen helfen?

Michiel Leenaars: Bei der Beschaffung. Da tut es am meisten weh. Ich habe vor ein paar Jahren bei der Kommission eine Rede gehalten und gesagt: Sie haben drei Anbieter von VPN-Systemen, und alle drei hatten Sicherheitslücken. Wir haben WireGuard finanziert, das von zwei unabhängigen Teams formell geprüft wurde. Und ich kann Ihnen das kostenlos zur Verfügung stellen. Sie zahlen ein Vermögen für das kaputte Zeug. Wir haben die besten Leute der Welt, die an der besten Software arbeiten, aber sie haben mittelmäßiges kaputtes Zeug gekauft. Sie brauchen es nicht einmal zu kaufen, sie können es einfach herunterladen. Und trotzdem ist die Software heute auf keinem Computer von Beamt:innen zu finden.

netzpolitik.org: Ein Problem könnte die Instandhaltung sein. Sie finanzieren die Forschung für Projekte, aber was passiert, wenn die Mittel für ein Projekt auslaufen?

Michiel Leenaars: Wir versuchen natürlich, dafür zu sorgen, dass sich die Projekte selbst tragen. Wir sind der Meinung, dass das in Form von digitalem Gemeingut am besten geht. Man muss beispielsweise kein Geld mit dem Linux-Kernel selbst verdienen. Es genügt, wenn Menschen, die ihn am Laufen halten wollen, Entwickler daransetzen, und dafür zahlen. Wir glauben, dass das für die meisten Technologien gilt. Wir haben zum Beispiel ein ActivityPub-Plugin für WordPress finanziert. Die Person, die daran gearbeitet hat, arbeitet jetzt direkt für WordPress. Ich denke, das ist ein sehr attraktives Modell.

„Warten sehnsüchtig auf ein Wunder“

netzpolitik.org: Wo wir schon über Geld sprechen: Die Kommission wird in diesem Jahr möglicherweise keine neuen Mittel für Next Generation Internet bereitstellen. Was bedeutet das für Sie?

Michiel Leenaars: Im Moment stehen wir gut da. Wir haben gerade so viel Geld auf dem Konto wie nie. Es geht um die etwas fernere Zukunft. Wir starten normalerweise neue Programme, sobald wir neues Geld dafür bekommen. Dann können Leute ihre Projekte vorschlagen.

Ab einem gewissen Punkt können wir keine neuen Projekte annehmen, weil das gesamte Geld schon verplant ist. Angefangene Projekte gehen natürlich weiter, aber nebenher sollte dann schon das nächste Programm für neue Projekte eingerichtet werden. Ansonsten hört der Zyklus auf.

Weil die Planung der Kommission für 2025 verspätet ist, ist inzwischen klar, dass es dieses Jahr keine neuen Gelder geben wird. Das ist unglücklich, weil es auch 2024 schon einen Stopp gab. Unsere bestehenden Programme mit Geldern von 2022 und 2023 werden also weiterlaufen und weiter Früchte tragen. Wir sind im Geschäft. Aber sobald die aktuellen Gelder aufhören, werden wir keine neuen Projekte mehr aufnehmen können.

Next Generation Internet hängt von der politischen Debatte ab, und die ruht seit dem letztem Sommer. Wir warten immer noch sehnsüchtig auf ein Wunder, bei dem jemand ganz oben in der Hierarchie sagt: Moment mal, wir haben gerade eine neue Kommissar:in für technologische Souveränität ernannt. Es gibt ein Programm, das genau das gemacht hat. Warum machen wir daraus nicht eine Institution und betreiben das für immer so weiter?

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