Die Berliner schwarz-rote Koalition will ein neues Polizeigesetz beschließen, das in Berlin unter dem Namen Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) firmiert. Berlin folgt damit einer ganzen Reihe von Bundesländern, die ihre Polizeigesetze in den letzten Jahren verschärft haben. An der Berliner Gesetzesnovelle gibt es breite Kritik sowohl von der demokratischen Opposition im Parlament wie auch von der Berliner Datenschutzbeauftragten und Menschenrechtsorganisationen wie der GFF.
Anlässlich der Sachverständigenanhörung am Montag protestieren vor dem Roten Rathaus Lilly und Kiki. Sie verteilen Flyer mit der Aufschrift „Nein zu Massenüberwachung und der Kriminalisierung von Protesten“. Sie sind Teil eines Bündnisses zivilgesellschaftlicher Gruppen wie Amnesty International oder dem Komitee für Grundrechte und Demokratie.
„Überall werden Gelder gekürzt, aber für Videoüberwachung ist dann plötzlich Geld da. Dabei verhindert die keine Straftaten, sondern kriminalisiert marginalisierte Gruppen und spaltet den öffentlichen Raum“, sagt Lilly. Dass die Unverletzlichkeit der Wohnung durch die Gesetzesnovelle eingeschränkt wird, sehen die beiden ebenso kritisch.
„Abkehr von der grundrechtsfreundlichen Politik“
Auch in der Sachverständigen-Anhörung hagelt es Kritik für den Entwurf. So sieht die Berliner Datenschutzbeauftragte Meike Kamp eine Vielzahl neuer Datenverarbeitungsermächtigungen und eine erhebliche Ausweitung der Befugnisse der Polizei. Aufgrund der Detailtiefe – die Gesetzesnovelle ist 700 Seiten stark – habe ihre Behörde nicht einmal alle Vorschriften analysieren können.
Das Volumen der geplanten Änderungen kritisiert auch Innenpolitiker Niklas Schrader von der Linken. Denn so umfangreich wie der Gesetzentwurf sei auch der Überarbeitungsbedarf: „Ich bin mir nicht sicher, ob das in dem kurzen Zeitplan, den Sie uns gegeben haben, schaffbar ist“, sagt er bei der Anhörung.
Eine „Abkehr von der grundrechtsfreundlichen Politik“ in Berlin beklagte der Jurist David Werdermann von der GFF sowohl in seiner Stellungnahme (PDF) wie auch in der Anhörung. Zwar versuche der Entwurf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachzuzeichnen, das gelinge allerdings nicht immer.
Ein Hauptkritikfeld an dem Gesetz ist laut Werdermann das Festhalten am Konstrukt der „krininalitätsbelasteten Orte“. An diesen dürfen in Zukunft nicht nur anlasslose Kontrollen durchgeführt werden, sondern auch Videoüberwachungsmaßnahmen. Das Gesetz erlaube zudem die Videoüberwachung von öffentlichen Veranstaltungen und die Auswertung des Videomaterials mit sogenannter KI. Werdermann warnt hier vor einem höheren Überwachungsdruck auf Menschen mit atypischen Verhalten wie beispielsweise Wohnungslosen oder Personen mit körperlichen Einschränkungen.
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Kritik hat die GFF auch am Einsatz von Staatstrojanern und daran, dass die Polizeibehörden in Zukunft heimlich Wohnungen betreten dürfen, um diese zu installieren. „Ich habe da große Bauchschmerzen mit“, sagt Werdermann. Insgesamt wird durch das neue ASOG die Schwelle zum Einsatz der Staatstrojaner und zur Überwachung von Wohnungen deutlich herabgesetzt.
Ebenso kritisch sieht Werdermann den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten: „Jedes Foto, das möglicherweise ohne das Wissen und Einverständnis der betroffenen Person ins Netz gestellt wird, kann zu Überwachungszwecken genutzt werden“, sagt Werdermann. Es sei nach der neuen Gesetzeslage nicht mehr möglich, an einer Versammlung teilzunehmen, ohne damit rechnen zu müssen, dass Fotos, die beispielsweise von der Presse veröffentlicht werden, anschließend von der Polizei für einen Abgleich genutzt würden.
„Freifahrtschein für Massenüberwachung“
„Die Vorschrift schließt zudem weder den Aufbau einer biometrischen Referenzdatenbanken auf Vorrat noch die Nutzung von kommerziellen Datenbanken aus“, schreibt Werdermann in seiner Stellungnahme. Beides sei jedoch mit der KI-Verordnung und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar.
Werdermann verweist in der Stellungnahme darauf, dass der Aufbau einer umfassenden biometrischen Referenzdatenbank – bestehend aus öffentlich zugänglichen Lichtbildern, Videos und Tonaufnahmen aus dem Internet – unverhältnismäßig in Grundrechte eingreift. Das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach herausgestellt, dass biometrische Daten besonders schutzwürdig seien. „Durch den Aufbau einer Datenbank, um biometrische Daten vorzuhalten, wären Grundrechte von Millionen, wenn nicht Milliarden von unbeteiligten Personen betroffen, die keinen Anlass für polizeiliche Überwachung gegeben haben“, so Werdermann weiter.

Statt konsequent gegen rechtswidrige Angebote wie PimEyes vorzugehen, schaffe der Senat mit dem Entwurf eine Grundlage für biometrische Massenüberwachung durch die Berliner Polizei, schreibt Werdermann. Diese kritisiert auch die grüne Innenpolitikerin Gollaleh Ahmadi. Sie sieht in der Gesetzesnovelle einen „Freifahrtschein für Massenüberwachung“.
Berlins Datenschutzbeauftragte Meike Kamp kritisiert auch die Verarbeitung von Daten zum Training von KI-Systemen. Hier dürfe zuviel Material ohne Eingriffsschwelle und Löschfristen genutzt werden, sie gehe zudem davon aus, dass auch nicht-anonymisierte Klardaten verarbeitet würden. Daten, die einmal zum Training von Künstlicher Intelligenz genutzt wurden, ließen sich nicht mehr löschen, betont Kamp. Zudem vermute sie, dass solche Daten auch in automatisierten Analyseplattformen landen, deren Nutzung der Berliner Polizei künftig erlaubt sein soll. Zu solchen Plattformen gehört auch die Software „Gotham“ vom umstrittenen US-Unternehmen Palantir.
Präventive Funkzellenabfrage
Ebenso zu wenig geregelt seien die Funkzellenabfragen, wo die Eingriffsschwellen zu niedrig seien. Hier sei auch davon auszugehen, dass Funkzellendaten für KI-Training genutzt werden. „Durch die Verknüpfung der erhobenen Daten mit automatisierten Analyseplattformen lassen sich detaillierte Bewegungsprofile erstellen. Dies ermöglicht Rückschlüsse auf politische Aktivitäten, soziale Beziehungen und persönliche Gewohnheiten der Betroffenen“, schreibt die Berliner Datenschutzbeauftragte in ihrer Stellungnahme (PDF).
Der grüne Innenpolitiker Vasili Franco kritisiert, dass die Funkzellenabfragen in Zukunft auch gegen Personen gerichtet sein können, die nur vermutlich an einer Straftat teilnehmen werden. Damit verschiebt das neue Polizeigesetz die Funkzellenabfragen von der nachträglichen Ermittlung in den präventiven Raum.
Sowohl Sachverständige wie auch Oppositionspolitiker:innen verwiesen in der Anhörung darauf, dass man das verschärfte Polizeigesetz auch vor dem Hintergrund des Rechtsrucks sehen müsse – und dass man damit einer möglichen autoritären Regierung Werkzeuge in die Hand gebe.
Dokumente
Stellungnahmen von Sachverständigen zur Novelle des Berliner ASOG
- David Werdermann, Gesellschaft für Freiheitsrechte (PDF)
- Meike Kamp, Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (PDF)
- Prof. Dr. Markus Möstl, Universität Bayreuth (PDF)
- Dr. Jonas Botta, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (PDF)

„dass man damit einer möglichen autoritären Regierung Werkzeuge in die Hand gebe.“
Diese autoritäre Regierung haben wir mit der Union doch bereits längst. Das beweist dieser Artikel doch wieder mal. Als wäre die AFD die einzige autoritäre Partei und alle anderen demokratisch…
Die Gerichte sind wahrscheinlich die einzigen, die eventuell noch verhindern können, dass Deutschland demnächst zur totalitären Überwachungsdiktatur wird.
Und trotz allem, obwohl die Merz-Union uns am laufenden Band belügt und betrügt, obwohl sie drauf und dran ist, den Sozialstaat endgültig plattzumachen, obwohl sie dabei ist, Deutschland in eine Überwachungsdiktatur zu verwandeln, die Bürger anscheinend überwiegend nur als Arbeitsobjekte betrachtet, die faul sind und gefälligst mehr arbeiten sollen, trotzdem ist sie immer noch in den Umfragen vorne mit dabei.
Nach dem Artikel glaubt zudem doch -hoffentlich – auch kein Mensch mehr, dass die Union im Oktober von sich aus gegen die Chatkontrolle stimmen wird. Da können bestenfalls die anderen Parteien noch reingrätschen. Tun sie das nicht, läuft Deutschland garantiert zu den Befürwortern über und das Ding ist im Rat durch
Ich frag mich ohnehin, wie die Leute, die jetzt immer noch zur Union halten, wohl reagieren würden, wenn irgendwann die Chatkontrolle durchkommt und sie es auf einmal sind, die wegen einer fehlerhaften Entscheidung durch diese Systeme dann in Teufels Küche kommen…
Ob sie dann immer noch zur Union halten…? Oder wird ihnen wenigstens dann klar, was sie da gewählt haben…?
Dem stimme ich zu. Allerdings scheint mir das zu eng gefasst. Immerhin macht die SPD im Bund und in Berlin bei alldem eifrig und mit Begeisterung mit. Dass sie damit ihre Anhängerschaft initiativ selbst schrumpfen, scheint ihnen nicht in den Sinn zu kommen.
Wow. Ich dachte alle haben so auf die DDR geschimpft wegen auch vor allem Stasi und so. Und deren Methoden die zutiefst verachtenswert gewesen sein sollen und die massiv in das Leben der Menschen eingewirkt hätten, dass allein die Möglichkeit der totalen Überwachung zersetzend auf die Gesellschaft gewirkt habe.
Dass was die da vorhaben ist, mit anderen Maßnahmen wie Päventivhaft ohne Einspruchsoptionen, 1:1 dasselbe mit moderneren und umfassenderen Mitteln.
Das ist keine Freifahrtschein nur für Massenüberwachung, das ist einer der einem totalitären Überwachungs- und Unterdrückungsstaat absolut gerecht werden würde.
Der Schlusssatz in dem Artikel, „dass man damit einer möglichen autoritären Regierung Werkzeuge in die Hand gebe“, scheint mir ähnlich überbordend euphemistisch wie die „Angst um die Demokratie in den USA“.
Das sind Gesetze die eine autoritaristische Regierung verabschiedet, die sich selbst am rechten Rand verortet. Andernfalls würde sie davon Abstand nehmen, damit der Gestank nicht an ihr kleben bleibt.
„Ich dachte alle haben so auf die DDR geschimpft wegen auch vor allem Stasi und so.“
Die CDU hat die Ost-Blockpartei CDU nahtlos integriert, die wissen also sehr gut, was an der DDR fuer die richtigen Leute gut war.
Ostblock CDU?
Was ein bullshit reden wird doch null von der alten nsdap die heute SPD heißt und als Arbeiterpartei in ddr neu eröffnet wurde nach dem sie verboten wurde unter hitler. Bis heute haben sie Verbindungen nach Russland wer hat nordstream gebaut Schröder mit Gazprom wer sitz auf cheff Sessel Schröder bei Gazprom. Seit der Wende regieren die Kommunisten Deutschland aber sind alle blind und wie sie unterbelichtet um jede mal der CDU die schuld zugeben. Wer hat uns 1990 verkauft spd und das tut sie bis heute.
Der obenstehende Beitrag hätte besser nicht freigeschaltet werden sollen, weil es sich bei dem Versuch einen Bezug zwischen der NSDAP und der SPD herzustellen um geschichtsfälschende Fake News handelt.
Danke für diesen Beitrag
Wenn dann zukünftig rechtsextreme Kräfte an die Macht komnen, kann man politische Verfolgung seiner Gegner oder schlimmsten Falls einen Genozid mit den erhobenen Daten wunderbar planen und nachfolgend auch ausführen.
Danke für so viel Vernunft und „Sicherheitszugewinnen“ in Berlin!
Man muss sich schon fragen, warum das so gut wie überall in den westlichen, angeblich so freiheitlich-demokratischen Staaten passiert. Wohin steuern diese Systeme?
Und so richtig neu ist das eigentlich auch gar nicht. Wenn man die letzten Jahre und Jahrzehnte zurückblickt, dann erkennt man doch schon länger eine klare Tendenz in den Polizeigesetzen, in der Rechtsprechung, in den staatlichen Maßnahmen zur Überwachung und Illiberalität. Der Rahmen freiheitseinschränkender Bestimmungen und Regeln wird immer dichter gezogen, es werden in Öffentlichkeit und Medien Bedrohungsszenarien (Terrorismus, (Clan-)Kriminalität, Pädophilie etc) entworfen und konstruiert, manchmal auch durch (inszenierte oder überzogene) polizeiliche Aktionen eigens hervorgehoben. Deren Sinn ist kaum mehr, als Unterstützung in der Bevölkerung für solche Maßnahmen zu erlangen. Angsterzeugung war schon immer das besten Mittel dazu.
@Netzpolitik
Wie ist das mit den Nummernschilder?
Wann dürfen diese im Bild gezeigt werden und andere nicht?
Fahrzeuge aller Art und deren Kennzeichen werden im Straßenverkehr auch von anderen wahrgenommen. Zudem sind Polizeifahrzeuge Behördenfahrzeuge, die keine juristische Einzelperson darstellen oder repräsentieren – im Gegensatz zu Privatfahrzeugen. Dennoch dürfen auch letztere fotografiert werden, da die Zuordnung eines Kennzeichens zu dessen Inhaber nur durch dazu befugte Behörden wie der z. B. der Polizei erfolgen kann.
Deshalb ist das Veröffentlichen von Kennzeichen unkritisch.
Eine Ausnahme wäre es allerdings, wenn eine Person ein bestimmtes Fahrzeug, dessen Inhaber(in) der Person namentlich bekannt ist, mit Kennzeichen ins Netz stellen und dann eine Ergänzung beifügen würde wie z. B.: „Seht her, das ist der Wagen von Frau/Herrn X.“
Hier würde u. a. das Recht auf informelle Selbstbestimmung verletzt.
Naja, gab es je freundlichere Politik? (Bei den Akteuren, die auch auf Bundesebene an Regierungen beteiligt waren?)
Wäre ja schade um die Demokratieerzählungen, wenn sich herausstellt, dass das Desinteresse an der Verteidigung der Grundrechte seitens der FDP, das Wegfallen der bisher einzigen Barriere dargestellt hat? Natürlich spielt das Wahlverhalten mit rein, sowie das vermehrte Aufkommen von Politik-Unternehmern, die verantwortungslos handeln.