KW 43Die Woche, in der wir uns über das Scheitern einer Verordnung gefreut haben

Die 43. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 13 neue Texte mit insgesamt 86.141 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Buntes Fraktal auf schwarzem Hintergrund
Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

mehr als eine Woche ist es her, dass Friedrich Merz als Antwort auf eine Frage von „diesem Problem“ im „Stadtbild“ sprach. Um dieses – was auch immer genau – zu lösen, wolle Innenminister Dobrindt in großem Stil abschieben. Oder in den Worten von Merz: „Rückführungen“ durchführen.

Ich hätte erwartet, dass die Auslassung von Merz in all den leider alltäglich gewordenen Entgleisungen bis heute längst wieder vergessen ist. Doch immer noch erscheinen täglich Artikel, Kommentare und Nachrichtenbeiträge, die sich auf die „Stadtbild“-Antwort beziehen.

Das ist gut. Es ist gut, dass Menschen demonstrieren und für eine Brandmauer und ein buntes Stadtbild auf die Straße gehen. Es ist gut, dass die rassistische Äußerung eines Bundeskanzlers sich nicht so versendet, als habe der betrunkene, rechte Onkel beim Stammtisch schwadroniert. Es ist gut, dass Menschen wütend werden, wenn er dann noch raunend irgendwelche „Töchter“ vorschiebt, die man fragen solle, wenn man mehr über „das Problem“ wissen will.

Es ist aber auch wichtig, dass wir die Taten der Regierung Merz mindestens mit dem gleichen Maß messen wie ihre Worte. Wenn sie trans Menschen per Verordnung zum lebenslangen Zwangsouting auf Behörden zwingen will – was glücklicherweise momentan der Bundesrat stoppt. Oder wenn das Bürgergeld gestrichen werden soll und Grenzkontrollen von der Ausnahme zur Regel werden.

Das alles offenbart ein Weltbild, das im Gegensatz zu unseren Städten und Dörfern ein echtes Problem ist. Es zeigt eine Angst vor allen, die nicht dem sauerländischen Idealbild entsprechen, das Merz auf Instagram inszeniert. Und es zeigt eine tiefe Unfähigkeit, ein Land zu regieren, das nicht nur aus mittelalten, gut situierten, männlichen Unternehmern im Einfamilienhaus besteht.

Wer mit einem bunten, manchmal dreckigen und lauten, aber niemals langweiligen Stadtbild nicht zurechtkommt, sollte sich fragen, ob Bundeskanzler der richtige Job für ihn ist. Vielleicht hätte er lieber erstmal Erfahrungen als Bürgermeister sammeln sollen. Dann hätte er eines erfahren: Dieses eine Stadtbild, von dem Merz wohl träumt, gibt es nicht. Und wer versucht, all das Bunte in unsren Städten zu verwischen, erntet nichts als Braun.

Ein schönes Wochenende wünscht euch

anna

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2 Ergänzungen

  1. HM, jetzt Bolz. Nicht dass mich der Mann interessiert, aber alle Versäumnisse der Internetmoderne auf einem Tablett. Ironischer Kommentar, der als solcher zu erkennen ist, vor tausend Jahren abgesetzt worden war – HAUSDURCHSUCHUNG!

    Das ist ein wesentliches Kennzeichen des hinteren Brustaugenfaschismus: Man verwässert bestehende Kriterien so weit, dass man jeden damit angehen kann. Typisch Deutschland: „Das ist doch noch gut, da machen wir was drau!“. Nur nicht das Internet…

  2. Ist es gut, dass die Stadtbild-Diskussion so lange anhält in den Medien? Wirklich?
    Wird Homophobie (Berlin: Carl-Bolle-/Rütli-Schule) bzw. Antisemitismus (Berlin: K-Fetisch) dadurch zurückgewiesen? Oder kommt damit nicht eher diese Wendung:
    „Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Alexander Throm (CDU), forderte laut Handelsblatt auch den verstärkten Einsatz von Videoüberwachung, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) Gesichter erkennen solle. Kritiker müssten ihre „überkommenen Bedenken“ zum Thema Datenschutz aufgeben, so Throm.
    Dem widersprach der SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler. Er warnte, mit einer solchen Forderung würde man „auf perfide Weise noch einmal die Krone“ auf die „Stadtbild“-Debatte setzen. Der SPD-Politiker sieht das Risiko, dass die Diskussion mit dem Narrativ der Terrorbekämpfung verknüpft werde – denn dies sei der „einzig zulässige Anwendungsbereich für Kameras mit Gesichtserkennungssoftware“, den das EU-Recht zulasse. “

    Danke an das wache Fairplay von Sebastian Fiedler bei dieser Gelegenheit.
    Mir fehlt die Warnung vor Überwachungstechnologie-Einführung in der Berichterstattung der Nachrichten – gegen Throm / Dobrindt
    https://parlamentsrevue.de/tag/ueberwachung/

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