Crypto WarsEuropol-Chefin fordert wieder mal Zugang zu verschlüsselten Nachrichten

Europol-Chefin Catherine De Bolle will beim Weltwirtschaftsforum in Davos auf Tech-Unternehmen einwirken, Ermittlungsbehörden Zugang zu verschlüsselten Nachrichten zu verschaffen. Die Unternehmen müssten ihrer „sozialen Verantwortung“ nachkommen, sonst sei die Demokratie gefährdet, so De Bolle. Dem widerspricht der Chaos Computer Club.

Europol-Chefin Catherine De Bolle will Zugang zu verschlüsselten Inhalten. – Alle Rechte vorbehalten Foto: IMAGO / Photo News, Bearbeitung: netzpolitik.org

Tech-Unternehmen müssten Ermittlungsbehörden Zugang zu verschlüsselten Inhalten geben, sonst sei die europäische Demokratie gefährdet, sagte Europol-Chefin Catherine De Bolle gegenüber der Financial Times am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos.

Die Unternehmen hätten eine „soziale Verantwortung“ und müssten der langjährigen Forderung nach Zugriff auf verschlüsselte Nachrichten nachkommen, forderte De Bolle. Diese würden von Kriminellen genutzt, um anonym zu bleiben, so die Direktorin der EU-Polizeibehörde. Im Laufe der Woche werde sie sich in Davos mit Vertreter:innen von Big-Tech-Unternehmen treffen, um die Materie direkt mit ihnen zu diskutieren.

„Anonymität ist kein Grundrecht“, sagte De Bolle. „Wenn wir einen Durchsuchungsbefehl haben und vor einem Haus stehen, die Tür verschlossen ist und wir wissen, dass sich der Verbrecher im Haus befindet, wird die Bevölkerung es nicht akzeptieren, dass wir nicht hineinkommen.“ Polizeien müssten in der Lage sein, bei der Kriminalitätsbekämpfung vertrauliche Nachrichten zu entschlüsseln, sonst ließe sich „Demokratie nicht durchsetzen“.

Jahrzehntealte Debatte

Ermittlungsbehörden ist Verschlüsselung seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge. Unter dem Motto „Going Dark“ fürchten sie, blind und taub zu werden, wenn Kriminelle moderne Verschlüsselungsverfahren nutzen. Dabei stehen ihnen inzwischen weit mehr Daten für Polizeiarbeit zur Verfügung als je zuvor. Zudem zählen offensive Methoden wie Staatstrojaner inzwischen zu einem Standard-Werkzeug vieler Ermittlungen. Um den Preis nicht umgehend geschlossener Sicherheitslücken lässt sich damit zielgerichtet auf an sich verschlüsselte Inhalte zugreifen.

Trotz beharrlicher Bemühungen, Hintertüren oder andere Zugänge zu verschlüsselten Inhalten zu schaffen, konnten sich Polizeien und Geheimdienste bislang mit ihrer Forderung nicht durchsetzen. Wie Expert:innen unermüdlich betonen, würde das die IT-Sicherheit des gesamten digitalen Ökosystems gefährden. Schließlich schützt die selbe Technik, die zuweilen von Kriminellen genutzt werden kann, unter anderem die vertrauliche Kommunikation von Bürger:innen oder sichere Verbindungen zu Online-Shops, Banken und kritischer Infrastruktur.

Die IT-Branche selbst ließ sich von dem beständigen Säbelrasseln der Behörden bislang kaum beeindrucken. Um die Privatsphäre ihrer Nutzer:innen zu schützen, zählen etwa verschlüsselte Festplatten inzwischen zur Grundeinstellung vieler Betriebssysteme. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist bei zahlreichen Messengern nicht mehr wegzudenken, unter anderem bei Apples iMessage, Metas WhatsApp oder beim nicht-kommerziellen Signal-Messenger. Auch der Messenger von Facebook setzt mittlerweile auf die sichere Technik, obwohl das Behörden wie das FBI mit aller Kraft zu verhindern versuchten.

CCC: Verschlüsselung schützt Demokratie

„Es ist Wahnsinn, hier von ’sozialer Verantwortung‘ zu sprechen, wenn gerade an wesentlichen Stellen wie Faktenchecks zurückgerudert wird“, sagt Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Club (CCC). Zuletzt haben große Online-Anbieter wie Meta und X ihre Moderationsregeln gelockert, was Expert:innen zufolge weltweit dramatische Konsequenzen bis hin zu Förderung von Genoziden haben könnte.

Statt weniger brauche es mehr Maßnahmen zum Schutz der Demokratie, fordert Eickstädt. Vertrauliche und verschlüsselte Kommunikation sei das einzige, was bleibt, um Betroffene vor Repressionen zu schützen, so die CCC-Sprecherin. „Sie liefert eine wichtiges Werkzeug für Solidarität und zivilgesellschaftliches Engagement, das wir in der heutigen Zeit mehr denn je brauchen.“

Initiativen auf EU-Ebene

Europol hatte im Vorjahr in einem Bericht eine „konstruktive Diskussion über Verschlüsselung“ gefordert und dabei auf einen „Zugang zu verschlüsselter Kommunikation und deren Zulässigkeit als Beweismittel in Gerichtsverfahren“ gepocht. Letzteres bezieht sich die weiterhin laufenden juristischen Auseinandersetzungen rund um spektakuläre Hacks von Anbietern wie EncroChat oder Sky ECC. Diese hatten auf Kriminelle zugeschnittene, verschlüsselte Kommunikationsplattformen angeboten, wurden aber letztlich von Ermittlungsbehörden infiltriert und aus dem Verkehr gezogen.

Ebenfalls im Vorjahr hatte eine von der EU eingerichtete Arbeitsgruppe auf den Zugang zu verschlüsselten Inhalten gedrängt. Die fast ausschließlich aus dem Sicherheitsapparat stammenden Fachleute hatten gut zwei Jahre lang darüber beraten, wie sich dem Phänomen des „Going Dark“ begegnen lässt. Im Vergleich zu einem früheren Empfehlungspapier fiel der Abschlussbericht zwar merklich abgeschwächt aus, rückte jedoch nicht von der Kernforderung ab.

Der Bericht der Gruppe dürfte in die Arbeit der im Winter neu bestellten EU-Kommission einfließen. Diese versucht ohnehin seit Jahren, mit der hoch umstrittenen Chatkontrolle indirekt den Zugang auf eigentlich verschlüsselte Inhalte zu ermöglichen. Ihren Gesetzentwurf konnte sie jedoch bis heute nicht durchboxen.

Während das EU-Parlament den Zugriff auf vertrauliche Kommunikation ablehnt, konnten sich die EU-Länder noch nicht auf eine gemeinsame Position verständigen. Derweil hat beispielsweise Apple einen freiwilligen Vorstoß in Richtung Chatkontrolle wieder zurückgenommen. Es sei „praktisch unmöglich“, automatische Scans vertraulicher Nachrichten mit Privatsphäre und Sicherheit zu vereinen, so das Unternehmen.

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16 Ergänzungen

  1. Gibt es denn automatisch ein brain washing, wenn jemand für Polizeibehörden arbeitet? Soche Menschen wie Frau De Bolle sollten umgehend aus dem Amt entfernt werden, weil sie die wahren Feinde von Demokratie und Bürgerrechten sind. Die Polizei braucht definitiv keinen Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation, um ihre Arbeit zu machen. Das hatten sie im vor digitalen Zeitalter auch nicht und wir versanken nicht im kriminellen Chaos.

    1. Europol ist sehr speziell: das ist eine Erfindung der Exekutive um moeglichst viel moeglichst unkontrollierte Macht zu bekommen. Natuerlich haben die entsprechendes Fuehrungspersonal rekrutiert.

    2. Das brainwashing scheint bei Europol aber besonders stark ausgeprägt zu sein.
      Das FBI, hatte ja auch ewig vor Verschlüsselung gewarnt , aber selbst die haben inzwischen eingesehen, dass dadurch Menschen geschützt werden und fordern nun sogar die Leute auf, zu verschlüsseln

      Bsp u.a.
      https://www.forbes.com/sites/zakdoffman/2024/12/11/fbi-warns-iphone-android-users-change-whatsapp-facebook-messenger-signal-apps/
      oder
      https://www.theregister.com/2025/01/04/encryption_backdoor_debate/

      u.v.m

      Aber Europol ist da nach wie vor beratungs- und warnresistent wie eh und je.

      Erinnert mich irgendwie an die anderen alten Debatten, gewisse Sicherheitslücken nicht zu schließen, damit Strafverfolger sie für sich ausnutzen können.
      Wie viele werden wohl durch genau die Sicherheitslücke gehackt, bis die Strafverfolger auch nur einen Verbrecher durch diese Lücke dingfest gemacht haben (sofern das überhaupt gelingt)?
      Nichts anderes ist es mit Europols ewigen Desinformationen gegen Verschlüsselung.

      „Die Unternehmen müssten ihrer „sozialen Verantwortung“ nachkommen, sonst sei die Demokratie gefährdet, so De Bolle.“
      Nein, die Demokratie wird eben durch genau solche Personen wie bei Europol gefährdet. Wenn die Leute bei Europol auch nur ansatzweise Ahnung von „sozialer Verantwortung“ hätten, hätten sie hinsichtlich Verschlüsselung eine 180 Grad-Wende vollzogen und würden wie auch mitlerweile das FBI dazu raten, sie einzusetzen, statt mit Desinformation weiter dagegen anzukämpfen

      1. Es stimmt, dass das FBI Leute zur Verschlüsselung auffordert. Aber selbstverständlich nur, solange der Behörde eine Tür offensteht, wie auch der als Beispiel angeführte Forbes-Artikel erläutert:

        The FBI has now expanded on its warning last week, telling me that “law enforcement supports strong, responsibly managed encryption. This encryption should be designed to protect people’s privacy and also managed so U.S. tech companies can provide readable content in response to a lawful court order.”

        Und die in unserem Artikel erwähnten und verlinkten Hacks von EncroChat und Sky ECC können durchaus als Paradebeispiele dafür dienen, dass Ermittlungsbehörden trotz Verschlüsselung nicht hilflos sind. Weltweit haben allein die zwei Hacks zu tausenden Festnahmen geführt, auch wenn abzuwarten bleibt, wie viele rechtskräftige Verurteilungen am Ende übrig bleiben.

        https://www.newyorker.com/magazine/2023/04/24/crooks-mistaken-bet-on-encrypted-phones
        https://www.reuters.com/investigates/special-report/brazil-drugs-balkans/

      2. Diese Arroganz fällt Ihnen auf die Füße, wie so oft bei Linken oder Progressiven.

        Die sind nicht dumm, die verstehen ihr Tun und die Konsequenzen. Die verstehen die Warnungen. Die wollen das trotzdem.

        Im Weltverständnis Konservativer haben Dinge unterschiedliche Konsequenzen für „wichtige“ und „unwichtige“ Leute, in-group und out-group. Jeder Spitzenpolitiker lebt unter hammerharter Überwachung und kann keinen Schritt in der Öffentlichkeit machen, der nicht in Bild oder auf X landen könnte. Privilegierung ist, damit recht problemlos leben zu können.

        Das ist auch nichts neues, früher sind zB die lokalen Honoratioren problemlos besoffen Auto gefahren und der Dorfpolizist wünschte gute Fahrt.

    3. Inhaltliche Ergänzung betreffs: „Die Polizei braucht definitiv keinen Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation, um ihre Arbeit zu machen. Das hatten sie im vor digitalen Zeitalter auch nicht und wir versanken nicht im kriminellen Chaos.“

      Haha, das ist aber ein massives Eigentor! – Es stimmt zwar, dass die Polizei vor dem digitalen Zeitalter keinen Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation hatte … aber Menschen mit kriminellen Absichten, hatten die Möglichkeit zum Verschlüsseln eben AUCH nicht!

      1. Das Haha hättest du dir sparen sollen Lui.
        Verschlüsselte Kommunikation gab es schon lange vor dem „digitalem Zeitalter“.
        Verschlüsselung habe ich sogar schon, wenn ich sage B=A C=B usw. und „den Schlüssel“ meinem Komminukationspartner mitteile.
        Geht alles total Analog.

        1. FYI

          Zu einer Zeit, als die heutigen Boomer sich noch eines jugendlichen Alters erfreuen dürften und der Ghetto Blaster durch eine leichte Veränderung am Empfangsteil den Zugang zum nicht- öffentlichen mobilen UKW-Landfunkdienst (nömL) verbotenerweise erlaubte.

          Analog Crypto-Wars

          Law Enforcement Equipment Technology
          A Guide to VOICE SCRAMBLERS for Law Enforcement Agencies

          https://nvlpubs.nist.gov/nistpubs/Legacy/SP/nbsspecialpublication480-8.pdf

          Civil disorder groups were mentioned least often by the chiefs. These eavesdroppers, however, have been among the most numerous and larger cities invariably rated them as first or second
          in importance. It is safe to assume that any group engaged in a civil disorder will seek detailed knowledge of the course of the disorder and the movements of police dealing with it.

          Scramblers that utilize continually changing codes do so in a manner or sequence determined by the „key“. The key’s purpose is to force the opponent to use cryptanalysis, that is determine the key, in order to unscramble the message. The mere possession of an unscrambler is of little value to him, providing the number of keys available for changing codes is large enough to prevent him from finding the correct key simply by trial and error.

  2. „sonst sei die Demokratie gefährdet“ ???!

    Wenn dieses $Bob$ sagt, dann wird es wohl so stimmen
    Auch schulden wir Bob noch ein oder zwei Gefallen
    Wie sonst soll bitte the next generation AI finanziert werden?

    Wowww Bob! Welch ein genialer Einfall!

  3. > Um den Preis nicht umgehend geschlossener Sicherheitslücken lässt sich damit zielgerichtet auf an sich verschlüsselte Inhalte zugreifen.

    Diese Behauptung ist so falsch, mindestens aber irreführend.
    Anlass zu dieser Kritik sind „zielgerichtet“ und was bitte ist „an sich verschlüsselt“?

    Hier bitte mal nachbessern, gerne mit fachlicher Kompetenz.

    1. Im Vergleich zu Hintertüren ist das deutlich zielgerichteter, mindestens Ermittlungsbehörden würden das behaupten. Und dann ist ihnen das immer noch nicht genug. Dass das nicht „kostenlos“ ist, erwähnt der Satz, den Rest der Debatte erklärt der verlinkte Beitrag.

  4. Es ist doch immer wieder unfassbar, dass die es nicht einsehen wollen.
    Rücken nicht von ihrem „Verschlüsselung schützt Kriminelle, weil sie sich dadurch verstecken können“, ab, übersehen aber (absichtlich?) permanent, dass die Zerstörung von sicherer Verschlüsselung den Kriminellen Tür und Tor zu sensiblen Daten und Informationen öffnet.

    Welcher Seite wollen die Strafverfolger, die die Crypto Wars führen also wirklich helfen?
    Mit den Forderungen tun sie den Kriminellen einen riesen Gefallen

  5. ich würde es ja sehr begrüßen, wenn jede(r) mit dieser Art Forderung nachweislich und unwiderruflich verpflichtet wäre JEDWEDE Kommunikation allgemein sichtbar zu veröffentlichen.

    Reaktion könnte interessant sein.

  6. Ich kenne die Vorgangsweise aus dem Osten!
    Wenn man vergleicht wie es in den 90er Jahren im Osten lief, es waren Wanzen in Wänden Küchengeräte usw. eingebaut sie lieferten alle Informationen an zentrale Stellen! War halt keine Demokratie!! Jeder rief laut KOMMUNISMUS!!
    Plötzlich soll Kontrolle bis ins Private Detail, Demokratie sein?
    Wohin steuert das alles? Ist fast schon Chinesisch!
    Das darf nicht passieren!.
    Danke den unermüdlichen Menschen die für unsere Demokratie Kämpfen.

  7. Als Ermittler im Bereich der Kinder- und Jugendpornographie kann ich derartige Vorschläge nicht nachvollziehen. Dazu haben wir eigentlich genug Instrumente und rechtliche Möglichkeiten um dem Nachzukommen. Es fehlt vielmehr an Personal und moderner Ausstattung, um Fristen einhalten bzw. Vorgänge entsprechend weitreichend bearbeiten zu. Es ist traurig und es macht mich wütend wenn ich dann solche Forderungen lese.

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