Programme zur BundestagswahlSo wollen die Parteien die Demokratie stärken – oder gefährden

Eine robuste Zivilgesellschaft – oder doch lieber ein heftiger Überwachungsapparat? Wir haben uns angeschaut, wie die Parteien in ihren Wahlprogrammen die Demokratie gegen eine faschistische Machtübernahme abhärten wollen. Und welche Kontrollinstrumente sie einer autoritären Regierung hinterlassen würden.

Friedrich Merz, Olaf Scholz, Robert Habeck, Alice Weidel
Suchbild: Wer ist hier noch Demokrat? – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Sven Simon

Die Rechten sind auf dem Vormarsch. Die AfD wird nach aktuellen Prognosen zweitstärkste Kraft im Bundestag. Die außerparlamentarische rechte Bewegung fühlt sich im Aufwind. Es ist höchste Zeit, unsere Demokratie gegen eine faschistische Machtübernahme abzuhärten.

Das ist den Demokraten im Bundestag durchaus bewusst. Deshalb haben sie gestern einer Verfassungsänderung zugestimmt, die unter anderem die Amtszeit und die Zahl von Richter*innen am Bundesverfassungsgericht fixiert – damit die Verfassungshüter*innen auch im Falle einer antidemokratischen Machtübernahme handlungsfähig bleiben.

Welche weiteren Pläne die im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien haben, um eine totalitäre Herrschaft zu verhindern und eine einigermaßen freie und offene Gesellschaft zu erhalten, zeigen die Wahlprogramme zur kommenden Bundestagswahl. Darin finden sich allerdings auch zahlreiche Wünsche nach Kontrollinstrumenten, die einer potenziellen faschistischen Diktatur mächtige Werkzeuge an die Hand geben würden. Die Forderungen sind allerdings nur Absichtserklärungen und nicht immer decken sie sich mit dem Handeln der Parteien in den vergangenen drei Jahren.

Ausbildung zu Demokrat*innen

Die Fähigkeit zur demokratischen Entscheidungsfindung ist dem Menschen nicht in die Wiege gelegt. Man muss sie lernen. Im demokratischen Disput.

Die SPD will deshalb Jungdemokrat*innen schon ab 16 Jahren zur Bundestagswahl schicken und Jugendliche auf allen Ebenen in politische Prozesse einbetten. Zur Demokratiebildung sollen Schüler*innen Lernprozesse und Lerninhalte aktiv mitgestalten können. „Wir fördern Bildungsangebote, die demokratische Werte vermitteln und Menschen befähigen, aktiv an der Demokratie teilzuhaben“, heißt es dazu im Programmentwurf.

Die Grünen sind ebenfalls für ein Wahlrecht ab 16 Jahren und wollen Beteiligungsgremien wie Kinder- und Jugendparlamente besonders auf kommunaler Ebene stärken. In den Schulen wollen sie eine Reihe von Skills lehren lassen, die für Jungdemokrat*innen essenziell sind: digitale Fähigkeiten, Medienkompetenz, Bildung für nachhaltige Entwicklung und politische Bildung. Für letzteres spielten zudem die Landeszentralen und die Bundeszentrale für politische Bildung eine wichtige Rolle, „die wir in ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit stärken wollen“.

Nützlich zur demokratischen Bildung sind auch die Bürgerräte, die die SPD als „festen Bestandteil unserer Demokratie etablieren“ will. Im Losverfahren eingeladene Bürger*innen finden hier Kompromisse zu schwierigen Themen, die sie dann den Parlamenten vorstellen dürfen. Die Grünen wollen ebenfalls mit Bürgerräten den Rat von „Expert*innen des Alltags“ in Parlamente einbringen.

Die Linke, auch für ein Wahlalter 16, will zudem ein Wahlrecht für alle, die schon fünf Jahre in Deutschland leben. Die Partei wünscht sich Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene. Die Bürger*innen sollen damit auch „gegen parlamentarische Entscheidungen ein Veto einlegen“ können.

Erinnerungskultur

Mit dem Kaiserreich, dem Dritten Reich und der DDR hat Deutschland jetzt schon drei autoritäre Regimes hinter sich. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wovor wir uns hüten sollten. Die CDU will deshalb Schüler*innen dazu verpflichten, Gedenkstätten zu besuchen und den „Erinnerungsansatz“ um die Geschichte des Kolonialismus erweitern.

Die Grünen schreiben in ihrem Programmentwurf, dass sie es allen Schüler*innen ermöglichen wollen, eine Gedenkstätte zu besuchen – und das auch finanziell unterstützen. Zudem soll die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit in einem Lern- und Erinnerungszentrum und mithilfe lokaler Initiativen in die Gesellschaft getragen werden. „Wir wollen die deutsche Erinnerungskultur weiter für die Realität der Einwanderungsgesellschaft öffnen und die Erinnerung an die Opfer von rechter Gewalt dauerhaft darin aufnehmen“, heißt es zudem. Und: „Die Auseinandersetzung mit dem DDR-Unrecht werden wir konsequent fortführen und die Errichtung des Mahnmals für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft vorantreiben.“

Die FDP will die Schüler*innen nicht nur zum Besuch einer Holocaust-Gedenkstätte, sondern auch zum Besuch einer DDR-Gedenkstätte und einer Synagoge verpflichten. Um Weltoffenheit und Dialog zu fördern, will die Partei Erasmus-Programme für Schüler*innen und Auszubildende ausbauen.

Die SPD-Führung möchte die drei Formen von Terror made in Germany – Kaiser, Hitler, DDR – weiter aufarbeiten. Zudem schreibt sie in ihrem Programmentwurf: „Geschichtsverfälschungen und Desinformation gefährden die Demokratie im Kern. Deshalb brauchen wir eine bessere historische Bildung zur Stärkung des kritischen Geschichtsbewusstseins.“ Außerdem will sie historische Forschung stärken, zum Beispiel an Universitäten, Gedenkstätten oder Museen. „Wir stellen sicher, dass diese Einrichtungen ausreichend finanziert werden. Gleichzeitig schützen wir ihre Aufsichtsgremien vor rechtsextremen Einflussnahmen“, heißt es im Programmentwurf.

Mitbestimmung im Betrieb

Betriebsräte sind nicht nur eine ausgezeichnete Demokratieschule, sondern auch mögliche Horte ganz praktischen Widerstands gegen faschistische Bestrebungen. Mit nichts lässt sich ein Regime so gut aufhalten wie mit einem Generalstreik.

Die SPD möchte die Mitbestimmung der Betriebsräte um bestimmte Themenfelder erweitern, zum Beispiel den Einsatz von KI, und Betriebsrats-Gründer*innen besser schützen. Die Grünen wollen den betrieblichen Mitbestimmungsrechten weitere Themen wie Klima- und Umweltschutz und Gleichstellung hinzufügen. Die Linke setzt Betriebsschließungen und Investitionen auf die Liste.

Demokratie abhärten

Die Verankerung der Regularien zum Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz war ein erster guter Schritt. Doch es gibt noch einige weitere, die man zur Sicherung der Demokratie gehen kann.

Die CDU will beispielsweise kommunale Amts- und Mandatsträger schützen und unterstützen. Die Grünen fügen den besonders bedrohten und deshalb künftig deutlicher zu schützenden Individuen noch die zivilgesellschaftlich engagierten hinzu.

Um die Unabhängigkeit der Justiz zu sichern, wollen die Grünen ministerielle Weisungen an Staatsanwält*innen transparenter machen. Außerdem will die Partei unbestimmte „rechtsstaatliche Regelungen ergreifen, damit die Justiz vor Verfassungsfeind*innen geschützt ist“.

Die SPD will Verfassungsfeinde aus dem Staatsdienst ausschließen. Die Linke setzt zur Stärkung der Demokratie auf den Kampf gegen Korruption. Unternehmensspenden und Parteisponsoring sollen verboten werden, private Spenden auf 25.000 Euro pro Jahr begrenzt. „Abgeordneten muss es verboten sein, Spenden anzunehmen. Die Nebenverdienste von Abgeordneten sind auf Euro und Cent zeitnah zu veröffentlichen“, heißt es außerdem im Programmentwurf.

Außerdem schreibt die Partei: „Keine Demokratie ohne freie Rede! Die Linke verteidigt Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit. Das schließt den Schutz von Whistleblowern ein! Ohne diese Freiheiten gibt es keinen demokratischen Diskurs.“

Transparenz

Ein demokratischer Staat ist ein transparenter Staat. Nur wenn der Zugang zu wichtigen Informationen möglichst offen ist, kann es informierte Entscheidungen und ein gleichberechtigtes Miteinander geben.

Die Linke fordert ein Recht auf Open Data und dazu ein Transparenzgesetz: „Bei öffentlichen Dienstleistungen und Verwaltungen anfallende Daten müssen anonymisiert kostenfrei zur Verfügung gestellt werden.“ Auch die Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung müssten kostenfrei öffentlich zugänglich sein.

Die CDU will ebenfalls staatliche Daten automatisiert erheben und frei zur Verfügung stellen – dabei geht es ihr allerdings vor allem um die Nutzung für KI-Innovationen.

Die Linke will außerdem ein öffentlich einsehbares Finanzregister aufbauen, das die wahren Eigentümer von Immobilien, Unternehmensanteilen und anderen großen Vermögen registriert. Zudem soll auch der Quellcode von Verwaltungssoftware für jedermensch einsehbar sein.

Gesetzesvorlagen der Bundesregierung soll eine Auflistung der Interessenvertreter*innen sowie der Sachverständigen beigefügt werden, die daran mitgewirkt haben. Polizist*innen müssen, geht es nach der Linken, individuell gekennzeichnet sein, und Einsatzprotokolle und Polizeivideos in Treuhandstellen hinterlegt werden.

Die Grünen wollen ebenfalls mehr Open-Source-Code in der Verwaltung. Für Unternehmen soll es ein Transparenzregister geben. Die möglichen finanziellen Interessen von Politiker*innen sollen offengelegt und Lobbytreffen sichtbar werden, Sitzungen der Fachausschüsse sollen in der Regel öffentlich stattfinden. Parteispenden und Sponsoring wollen die Grünen bei einem zu bestimmenden Jahreshöchstbetrag deckeln.

Die Rolle der Medien

Eine Grundlage demokratischen Engagements ist der Zugang zu unabhängig erstellten Informationen und verschiedenen Perspektiven. Die diesbezügliche Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) ist umstritten. Von konservativen und rechten Kräften wird ihm einseitige Parteinahme vorgeworfen. Die CDU will entsprechend den ÖRR verpflichten, bei seinem„Kernauftrag: Sparsamkeit, mehr Meinungsvielfalt und Neutralität“ zu bleiben. Die FDP will ihn ebenfalls „schlanker“ aufstellen.

Die SPD will hingegen den ÖRR stärken. Außerdem möchte die Partei regionale Medien fördern und innovative Medienformate unterstützen, „um die Teilhabe und Vielfalt im Mediensystem zu sichern“. Außerdem soll die Medienkompetenz aller Altersgruppen gestärkt werden, „um Manipulation und Desinformation entgegenzuwirken“.

Im Kampf gegen Desinformation müsse sich staatliche Aufsicht zurückhalten, um kein Gefühl von Zensur aufkommen zu lassen. „Aber der Staat kann wirksame Moderation von Plattformen einfordern, unabhängige Medien fördern, die unter anderem auch Faktenchecks durchführen, die Zusammenarbeit und den Ausbau mit Berufsverbänden und Gremien der Selbstregulierung, beispielsweise dem Presserat, stärken.“ Die Partei will außerdem eine strikte Durchsetzung der Bot-Kennzeichnungspflicht aus der KI-Verordnung, sowie verpflichtende Tools zum Faktencheck auf großen Plattformen.

Die Grünen wollen ebenfalls, dass große Plattformen „Produktverantwortung übernehmen“, vor allem auch im Kampf gegen falsche Nachrichten. Außerdem möchte die Partei ebenfalls den Regionaljournalismus fördern. Den ÖRR will die Partei reformieren und auskömmlich finanzieren.

Die Linke will die Programmvielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhalten, einschließlich Arte, 3-Sat und Kulturradios. Gleichzeitig soll es aber öffentliche Gelder nur bei transparenten Finanzen geben. Non-Profit-Journalismus soll als gemeinnützig anerkannt werden. Geht es nach der Linken, müssen durch Künstliche Intelligenz erzeugte Medieninhalte gekennzeichnet werden und die Plattformen bei Falschinformationen und Rechtsverstößen durch solche Inhalte haften.

Eine starke Zivilgesellschaft

Wenn den Nazis erst einmal der Staat gehört, kann die Gegenbewegung nur noch aus der Zivilgesellschaft kommen. Entsprechend wichtig ist es, dass diese gut vernetzt und stark organisiert ist. Der AfD scheint das klar zu sein. So fordert sie eine Liste von direkt oder mittelbar staatlich unterstützten NGOs für eine „detaillierte Prüfung“, um „unnötige und ideologiebasierte Ausgaben“ einzusparen. „Selbst ernannte ‚Faktenprüfer‘ und Meinungswächter dürfen keine staatliche Finanzierung erhalten“, heißt es im Programmentwurf.

Die CDU will, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, die vom Bund gefördert werden, „ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zum Existenzrecht Israels abgeben“ müssen. Gleichzeitig will sie aber „Vereinen mehr Vertrauen entgegenbringen“. Die notarielle Beglaubigung von Anträgen auf Satzungsänderung oder Vorstandswechsel soll entfallen. „Genehmigungen und Auflagen für öffentliche Veranstaltungen machen wir einfacher“, heißt es weiter im Programm.

Die SPD will mit einem Demokratiefördergesetz die Grundlage schaffen, zivilgesellschaftliche Initiativen nachhaltig zu unterstützen. „Das Gemeinnützigkeitsrecht wollen wir modernisieren“, heißt es im Entwurf.

Die Grünen sehen in einer lebendigen Zivilgesellschaft ein Fundament der Demokratie. „Durch eine verlässliche Förderung der demokratischen Zivilgesellschaft stärken wir unsere demokratische Kultur“, schreibt die Partei. Programme wie „Demokratie leben!“ will sie mit einem Demokratiefördergesetz absichern. Außerdem soll die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen entbürokratisiert werden und der Katalog der gemeinnützigen Zwecke erweitert. Auch die Teilnahme an der Willensbildung soll gemeinnützig sein und Organisationen sollen sich auch gelegentlich außerhalb ihres gemeinnützigen Zwecks politisch äußern dürfen.

Die Linke fordert ebenfalls eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. „Die Mitwirkung an der politischen Willensbildung muss ausdrücklich möglich sein, ob zur Verfolgung eigener Zwecke oder darüber hinaus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Organisationen, denen die Gemeinnützigkeit für ihre selbstlose politische Einmischung entzogen wurde, müssen sie zurückerhalten (z.B. Attac oder Campact)“, schreibt die Partei in ihrem Programmentwurf.

Datenbanken

Grundlage totalitärer Herrschaft ist eine umfassende Datenbasis. Wer ist wann wo und tut dort was? Dabei sind nicht nur die Daten selbst, sondern auch deren Verarbeitung relevant: Sogenannte KI kann die Kontrolltechnologien zu menschenunmöglicher Effizienz führen. Dennoch sind einige Parteien bereit, auch persönliche Informationen mit KI verarbeiten zu lassen.

Die CDU zum Beispiel will KI-Technologie zur automatisierten Besteuerung bereitstellen. Auch die Verwaltung und die Jobcenter sollen ihre Daten mit KI verarbeiten. Bürger*innen will die CDU zu einer digitalen BundID verpflichten, Smart Meter sollen den Stromverbrauch kontrollieren. „Der Schutz der Bevölkerung und die Sicherheitsinteressen unseres Staates müssen Vorrang vor Datenschutzinteressen des Einzelnen haben“, schreibt die Partei in ihrem Wahlprogramm. Niemand, der gegen Gesetze verstoße, dürfe durch die Anonymität des Internets Schutz erlangen.

Die Bezahlkarte für Geflüchtete, die ebenfalls eine Sammlung sensibelster Daten mit sich bringt, soll „flächendeckend und restriktiv“ ausgerollt werden. Gleichzeitig will die CDU die Hüter*innen des Datenschutzes schwächen: „Die bestehenden Doppelstrukturen zum Datenschutz auf Bundes- und Landesebene müssen abgebaut werden“, schreibt die Partei.

Die SPD wünscht sich einen digitalen Datenaustausch zwischen allen Behörden. Auch sie will eine digitale Identität für alle Bundesbürger*innen. Darin werden CDU und SPD von der FDP und auch den Grünen unterstützt. „Um das große Potenzial von Datenkollaboration für Innovation und Produktivität zu heben, muss die Umsetzung des Datenschutzes einfacher und weniger bürokratisch werden“, schreiben die Grünen außerdem.

Antidiskriminierung

Faschismus lebt davon, Menschen auszugrenzen. Die Dichotomie von „Wir“ und „Die“ speist seine Energie. Deshalb ist die Inklusion aller Menschen in ein gemeinsames Miteinander eine mächtige Waffe gegen totalitäre Regime.

Die Grünen wollen dafür den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes verankern „und Hasskriminalität gegen LSBTIQ* entschlossen bekämpfen. Dazu verbessern wir die Erfassung von queerfeindlichen Straftaten“, schreiben sie in ihrem Programmentwurf.

Laut der Linken ist „Inklusion genau der benötigte Gegenentwurf zu sozialer Spaltung, zu Rassismus, Neofaschismus und Ausgrenzung“. Die Partei möchte deshalb unter anderem alle neuen Gesetze auf ihre Auswirkung auf die Geschlechtergerechtigkeit untersuchen lassen. „Darüber hinaus wollen wir ein bundesweites Antidiskriminierungsgesetz und eine Novelle des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes“, schreibt die Partei. Die Novelle soll die Klagefristen verlängern, ein Verbandsklagerecht einführen, die Diskriminierungsformen „Staatsangehörigkeit“, „Aufenthaltsstatus“, „familiärer Status“ und „sozialer Status“ umfassen und auch staatliches Handeln einbeziehen.

Die Linke will außerdem ein Verbot rassistischer Polizeikontrollen und dazu die Abschaffung von anlasslosen polizeilichen Kontrollbefugnissen sowie verpflichtende Antidiskriminierungsschulungen im gesamten öffentlichen Dienst. „In Artikel 3 des Grundgesetzes soll eine Schutz- und Förderklausel für von rassistischer Diskriminierung Betroffene eingefügt werden“, schreibt die Partei.

Die SPD will derweil zivilgesellschaftliche Beratungsangebote ausbauen, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken, und diese auch auf Anti-Feminismus ansetzen.

Mutmaßliche Sicherheit

Wer Sicherheit sucht, bekommt sicher Kontrolle. KI-gestützte Videoüberwachung des öffentlichen Raums, Telekommunikationsüberwachung, Elektroschockpistolen: Ein potenzielles faschistisches Regime kann sich mit solchen Möglichkeiten extrem gut gegen Kritiker*innen und destabilisierende Strömungen abhärten. Dennoch sind derartige Forderungen bei vielen Parteien im Repertoire.

Die CDU schreibt: „Wir fordern den Ausbau des Videoschutzes an öffentlichen Gefahrenorten und Systeme zur automatisierten Gesichtserkennung an Bahnhöfen, Flughäfen und anderen Kriminalitätsschwerpunkten“. Dazu sollen IP-Adressen auf Vorrat gespeichert werden und Sicherheitsbehörden dürfen Daten mit KI analysieren. „Die Möglichkeit zur Überwachung der Telekommunikation und zur Funkzellenauswertung weiten wir aus“, schreibt die Partei in ihrem Programm. Den Polizeibeauftragten des Bundes will sie abschaffen, dafür die Beamt*innen mit Tasern und Bodycams ausrüsten, die auch in Wohnungen filmen dürfen.

Auch die SPD will der Polizei KI-basierte Datenanalyse erlauben und Log-in-Fallen einsetzen, die bei der Anmeldung in einem Benutzerkonto die IP-Adresse erfassen. „Zudem stärken wir die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden gegen Cybercrime. Dadurch verbessern wir die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und stärken die Verteidigung gegen Cyberangriffe auf Menschen und Wirtschaft – insbesondere IP-Adressen und Port-Nummern“, schreibt die Partei in ihrem Entwurf. Golem.de geht davon aus, dass sich die Partei damit vom bürgerrechtsschonenden Quick-Freeze verabschiedet und pro Vorratsdatenspeicherung positioniert. Der unzusammenhängende Einschub von „IP-Adressen und Port-Nummern“ deutet in diese Richtung.

Die Grünen hingegen lehnen die Kontrollmaßnahmen Vorratsdatenspeicherung und Chatkontrolle ab und wollen stattdessen Quick-Freeze und ein Ticketsystem, das die Gründe für Kontrollen darlegt, das soll polizeiliches Handeln transparenter machen. „In der Aus- und Fortbildung wollen wir für Diversität sensibilisieren“, schreibt die Partei zudem.

Gleichzeitig heißt es aber: „Wir werden unsere Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Terrorismus stärken und das BKA und den Verfassungsschutz dafür mit ausreichend Personal, Technik und rechtsstaatlichen Befugnissen ausstatten, damit sie Terrorist*innen ausfindig machen und Anschlagspläne rechtzeitig aufdecken können. Top-Gefährder*innen müssen stets im Blick der Sicherheitsbehörden sein, lückenlos überwacht und – wo immer möglich – aus dem Verkehr gezogen werden.“

Die Linke hält dagegen: „Wer Strafgesetze verschärfen will, spricht von Sicherheit. Statt Sicherheit werden aber immer lückenlosere Überwachungsphantasien umgesetzt, von Videokameras bis zur Kontrolle der Chats auf dem privaten Handy. Wir wollen keine Sicherheitspolitik, die in die Privatsphäre der Menschen eingreift.“ Die Linke stellt sich ebenfalls gegen Vorratsdatenspeicherung und Chatkontrolle und lehnt zudem Bestandsdatenauskunft, Staatstrojaner, nicht-individualisierte Funkzellenabfragen, Rasterfahndung, biometrische Videoüberwachung, Taser und Gummigeschosse ab. Der polizeiliche Einsatz von Pfefferspray soll massiv begrenzt und im Zusammenhang mit Versammlungen und Veranstaltungen verboten werden.

Den Verfassungsschutz will die Linke durch eine unabhängige Beobachtungsstelle „Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ ersetzen. „Als erster Schritt muss das V-Leute-System des Inlandsgeheimdienstes und seine Verstrickungen mit der extremen Rechten aufgedeckt und beendet werden“, schreibt die Partei.

Die FDP hat auch noch eine gute Idee, mit der sich ausufernde Überwachung begrenzen lässt: „Bei jeder neuen Befugnis für die Sicherheitsbehörden müssen zunächst die Auswirkungen auf die Bürgerrechte und die technische Realisierbarkeit geprüft werden. Zu diesem Zweck braucht es eine dauerhaft fortgeschriebene Überwachungsgesamtrechnung“, schreibt sie in ihrem Programm. Die FDP stellt sich ebenfalls gegen automatisierte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, Chatkontrollen, Uploadfilter, Vorratsdatenspeicherung „und andere Formen der anlasslosen Datenerfassung“.

Grenzregime

Totalitäre Regierungen leben von harten Grenzen. Die helfen, Feindbilder im Ausland aufzubauen und halten im Zweifelsfall nicht nur Staatsgegner draußen, sondern auch die eigene Bevölkerung drin. Die AfD schreibt in ihrem Programm, sie würde „unsere Grenzen wieder selbst kontrollieren und die Bundespolizei als Grenzbehörde einsetzen um illegale Einreisen wirksam zu unterbinden und illegal einreisende Personen konsequent an der Grenze zurückweisen zu können“.

Die CDU klingt diesbezüglich ganz ähnlich. „Wir setzen einen faktischen Aufnahmestopp sofort durch. Dazu weisen wir diejenigen an den deutschen Grenzen zurück, die aus einem anderen Mitgliedstaat der EU oder dem Schengen-Raum nach Deutschland einreisen und bei uns einen Asylantrag stellen wollen“, schreibt sie in ihrem Programm. Zugleich will die Partei in „modernste Grenzsicherungstechnik“ wie etwa in Drohnen, Nachtsicht- und Wärmebildkameras investieren.

Ausreisepflichtige Ausländer *innen sollen in Ausreisegewahrsam genommen werden, die EU-Außengrenzen baulich und technisch verstärkt. „Frontex muss eine echte Grenzpolizei und Küstenwache mit hoheitlichen Befugnissen und deutlich aufgestocktem Personal werden“, schreibt die Partei zudem.

Die Grünen hingegen setzen auf ein effektives Menschenrechtsmonitoring und ein konsequentes Vorgehen gegen illegale Pushbacks an den europäischen Grenzen. Aber selbst sie wollen „rechtsstaatliche Kontrollen an den Außengrenzen und eine zuverlässige Registrierung der Menschen“.

Die Linke wünscht sich, dass Frontex aufgelöst und durch ein ziviles europäisches Seenotrettungsprogramm ersetzt wird. Bestehende Instrumente zur Überwachung des Mittelmeers und der Außengrenzen will die Partei in den Dienst der Seenotrettung stellen. Systematische Binnengrenzkontrollen und Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Grenzen seien unzulässig.

Kampf gegen rechts

Deutschland hat nicht nur das Dritte Reich erfunden, sondern auch den Antifaschismus. Diese Idee des Kampfes der humanistischen Kräfte gegen den autoritären Wandel ist inzwischen über 100 Jahre alt. Beim Aufstieg des Dritten Reichs scheiterte sie an der Zersplitterung derer, die nur als Allianz stark genug gewesen wären. Wie es diesmal ausgeht, wird sich zeigen. Zumindest haben die meisten Parteien antifaschistische Aktionen in ihren Wahlprogrammen.

Die Linke als wohl antifaschistischste Kraft im aktuellen Bundestag schreibt in ihrem Programm: „Protest und Aufklärung gegen rechts sind eine Bedingung von Demokratie und dürfen nicht mehr kriminalisiert werden. Projekte der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, Opferberatungen und zivilgesellschaftliche Demokratiebündnisse, Migrant*innenselbstorganisationen sowie Antifa-Initiativen müssen mit einem echten wirksamen Demokratiefördergesetz stärker unterstützt und langfristig finanziell abgesichert werden.“

Die Partei will die parlamentarische Aufklärung des Rechtsterrors vorantreiben und Druck machen für die Freigabe aller Akten der Geheimdienste zum Beispiel zum Oktoberfest-Attentat und zum NSU-Komplex. „Wir fordern das Verbot militanter, bewaffneter, neonazistischer Organisationen und unterstützen, dass das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der AfD prüfen soll“, schreibt die Partei.

Die SPD will vor allem mit Prävention extremistische Tendenzen und Demokratiefeindlichkeit frühzeitig bekämpfen. Außerdem will sie dafür sorgen, dass die Finanzquellen rechtsextremistischer Netzwerke offengelegt und ausgetrocknet werden. „Wir wollen, dass die Strukturen rechtsextremistischer Gruppen konsequent aufgedeckt und unterbunden werden. Hierfür überprüfen wir, ob die bisherigen Befugnisse der Sicherheitsbehörden ausreichen“, heißt es weiter im Programmentwurf.

Die Grünen setzen ebenfalls auf Prävention und zudem auf „Programme wie ,Demokratie leben!‘, die über Islamismus aufklären, Angebote für Aussteiger*innen aus der rechtsextremen Szene oder Deradikalisierungsprogramme für den Justizvollzug“. Diese Arbeit will die Partei mit einem Demokratiefördergesetz gesetzlich absichern.

Selbst die CDU will Rechtsextremisten, Reichsbürger und sogenannte Selbstverwalter „mit voller Härte“ auf der Basis des 2020 gestarteten Maßnahmenpakets gegen Rechtsextremismus bekämpfen.

Die Programme der Parteien in Reihenfolge der aktuellen Wahlprognosen

CDU (beschlossen)
AfD (Entwurf, soll am 11./12.1. auf Parteitag verabschiedet werden)
SPD (Entwurf, soll am 11.1. auf Parteitag verabschiedet werden)
Grüne (Entwurf, soll am 26.1. auf Parteitag verabschiedet werden)
BSW (Programm liegt zur Erstellung des Textes nicht vor. Es soll voraussichtlich Anfang des neuen Jahres fertig sein. Jetzt am Wochenende wird es ein Kurzprogramm geben)
FDP (beschlossen)
Die Linke (Entwurf, soll am 18.1. auf Parteitag verabschiedet werden)

2 Ergänzungen

  1. Bei den letzten drei Landtagswahlen und bei der Europawahl haben sehr viele Erst- und Jungwähler die Alternative für Dumme gewählt. War die Herabsetzung des Wahlalters ein Fehler?

  2. Die Linke verliert leider Anke Domscheidt-Berg und Martina Renner im nächsten Bundestag: da wird Edward Snowdens Whistleblowerschutz kein Thema mehr sein.
    Die Grünen/FDP haben: das Hinweisgeberschutzgesetz ohne Whistleblowerschutz für zukunftige Snowdens verabschiedet, „Datenhehlerei“ / „Landesverrat“ / fehlende Archivpflicht der Geheimdienste/… unverbessert gelassen, die Überwachungsgesamtrechnung lange genug verschleppt, um sie nun unwirksam sein zu lassen, falls sie noch jemals kommt, mit dem „Sicherheitspaket“ zugelassen, dass biometrische Massendaten (also anlasslos) mit KI -die nicht zwischen wahr und falsch unterscheiden kann – in verknüpften Datenbanken durchsucht werden dürfen, hat die geheimen Staatstrojaner (löschen/ändern/hinzufügen…) verlängert in Horst-Seehofer-Stil (Punkt „Vererben von Höfen“), …
    => Kann ich bitte das Wahlprogramm der Piratenpartei mitausgewertet bekommen???
    Ich finde im aktuellen Bundestag niemanden mehr, dem ich zutrauen würde, sicherzustellen, dass Geheimdienste sich vor investigativen Journalisten fürchten – und eben nicht umgekehrt.

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