PIN-RücksetzbriefBundesinnenministerium erwägt Kosten beim Online-Ausweis auf Bürger:innen abzuwälzen

Wer seinen Personalausweis online nutzen will, benötigt dazu eine PIN. Weil deren Versand zu teuer wurde, stellte die Bundesregierung den Dienst ein. Nun erwägt sie, ihren Fehlgriff zu korrigieren – zulasten der Bürger:innen und der eigenen Digitalstrategie.

Ein Jenga-Turm vor dunklem Hintergrund
Der Online-Ausweis ist ein wichtiger Baustein der Verwaltungsdigitalisierung – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Valery Fedotov

Beim Spieleklassiker Jenga ist Geduld und Fingerspitzengefühl gefragt. Mit ruhiger Hand müssen Spieler:innen aus einem aufgeschichteten Klötzchen-Turm einzelne Steine entfernen und obenauf legen. Geduld und Fingerspitzengefühl braucht es auch bei der Digitalpolitik hierzulande. Eine falsche Entscheidung kann mühsam Errichtetes rasch zum Einsturz bringen.

Die Bundesregierung hat im vergangenen Dezember das Kunststück vollbracht, einen wichtigen Baustein ihrer Digitalstrategie kurzerhand zu entfernen und damit das ganze Vorhaben ins Wanken gebracht. Offenbar bereut die Ampel ihren Fehlgriff inzwischen – und erwägt, ihn durch einen weiteren Fehlgriff wettzumachen.

Das vorläufige Ende des PIN-Rücksetzbriefes

Konkret geht es um den Online-Ausweis: Seit Februar 2022 konnten Bürger:innen auf einer Webseite des Bundesinnenministeriums kostenfrei eine PIN und einen Aktivierungscode bestellen, mit denen sich die eID-Funktion des Personalausweises aktivieren lässt. Die eID gilt als „eine der modernsten, schnellsten und sichersten Möglichkeiten zur Online-Identifizierung“, die gegenüber anderen Ident-Verfahren zahlreiche Vorteile aufweist. Knapp zwei Millionen PIN-Briefe hatte das Bundesinnenministerium seit Februar 2022 verschickt.

Doch mit dem bequemen Verfahren ist nun vorerst Schluss. Ende vergangenen Jahres verkündete die Regierung überraschend, den Dienst einzustellen. Grund seien dessen „unkalkulierbare Kosten“, was „angesichts der vorläufigen Haushaltsführung nicht vertretbar war“. Die Zustellung der PINs erfolgte bis dahin per Einschreiben, pro Brief seien dabei rund 14,30 Euro angefallen, so die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktionen. Die Gesamtkosten beliefen sich demnach auf 30 Millionen Euro. Hinzu kommt, dass rund 40 Prozent der versandten PINs gar nicht erst eingesetzt wurden, unter anderem weil die Briefe wegen falscher Adressen nicht zugestellt werden konnten.

Die Ampel hat die Kosten damit auf die Kommunen abgewälzt. Und statt die PIN bequem von zuhause bestellen zu können, müssen die Bürger:innen nun wieder wie anno dazumal aufs Amt gehen. Damit aber droht die Nutzung des „Ausweises für die digitale Welt“ zu stagnieren. Der Branchenverband Bitkom kritisierte die Entscheidung daher als „bürgerunfreundliche Sparentscheidung“, mit der die Bundesregierung ihre digitalpolitischen Ziele gefährde.

PIN doch nicht per Standardbrief

Das hat inzwischen wohl auch die Bundesregierung erkannt – zumal sie mit dem frisch verabschiedeten OZG 2.0 die Verwaltungsdigitalisierung deutlich beschleunigen will. Das aber kann nur mit Hilfe digitaler Identitäten gelingen, also wenn sich die Bürger:innen sicher und einfach online ausweisen können. Und auch die geplante EUDI-Wallet des Bundesinnenministeriums sollen Bürger:innen in Bälde mit ihrem ePerso einrichten. Und dafür muss dieser aktiviert sein.

Doch wie geht es mit dem Verfahren nun weiter? Laut tagesschau.de erwägt die Ampel-Koalition „dem Vernehmen nach“, die Ersatz-PIN künftig nicht mehr per Einschreiben, sondern als Standardbrief zu 85 Cent zu verschicken.

Dem widerspricht das Bundesinnenministerium (BMI) auf Anfrage von netzpolitik.org. Die Zustellung per Standardbrief böte nicht die erforderliche Sicherheit. Das BMI verweist dabei auf die einschlägigen Vorgaben der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1502, den Paragraph 20 Absatz 2 der Personalausweisverordnung (PAuswV) und die Technische Richtlinie TR-03128-3 (PDF) des BSI.

In der Tat würde der PIN-Versand per Standardbrief die Missbrauchsgefahr deutlich erhöhen. Wie leicht sich derartige Schwachstellen ausnutzen lassen, bewiesen Sicherheitsexperten des Chaos Computer Clubs im Jahr 2019. Sie gelangten damals wegen „ungeeigneter Identifikationsverfahren“ ohne großen Aufwand an elektronische Heilberufsausweise.

Rückkehr zum alten Verfahren – mit Mehrkosten für die Bürger:innen

Laut BMI kommt nur eine Zustellungsvariante in Betracht, die „eine Identifikation der ausweisinhabenden Person gewährleistet“. Das stelle derzeit nur die Zustellmethode „POSTIdent“ sicher.

Dabei prüft das BMI allerdings nach eigenen Angaben, die Re-Aktivierung des PIN-Rücksetzbriefes „um eine Bezahlfunktion für Bürgerinnen und Bürger“ zu ergänzen. Wie hoch die Gebühr ausfällt, sei derzeit noch Teil der Prüfung, so ein BMI-Sprecher.

Würde die Bundesregierung den Dienst kostenpflichtig machen, wäre dies eine weitere „bürgerunfreundliche Sparentscheidung“. Denn damit würde sie nicht nur die Kommunen, sondern auch die einzelnen Bürger:innen finanziell belasten. Das aber wird die eID voraussichtlich nicht beliebter machen, ganz im Gegenteil.

Daran kann die Koalition kein Interesse haben. Der Ampel bleibt nicht mehr viel Zeit, um ihre Digitalisierungsvorhaben umzusetzen. Und nur wenn es viele aktivierte Online-Ausweise gibt, steht die Verwaltungsdigitalisierung auch auf einem festen Fundament.

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15 Ergänzungen

    1. > Lebe stets so, dass Du deine Digitalisierung auch in der Zukunft bezahlen kannst.

      Unsere Gesellschaft befindet sich in einer umfassenden Transformation. Teil dieser Transformation ist die Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft, neben anderen Bereichen wie Landwirtschaft, Mobilitäts- und Klimawende. Es ist abzusehen, dass diese Transformationen um Mittelfinanzierung konkurrieren. Verschärft wird der ganz erhebliche Finanzierungsbedarf durch neue Erfordernisse für Ausgaben, die im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine stehen, und Vorrang haben müssen.

      Diese Transformation und der Krieg in der Ukraine erfordern massive Investitionen, die letztlich von der Bevölkerung getragen werden müssen, und ihr gleichzeitig eine umfassende Umstellungsbereitschaft abverlangen, sowie ein Höchstmaß an Unsicherheit zumuten. Dass viele Bürgerinnen und Bürger diesen Transformationsbemühungen skeptisch gegenüberstehen und zum Teil massiv gegen die anstehenden Veränderungen mobilisieren, verwundert da kaum.

      Was noch zu wenig beachtet wird ist, dass wir auch im Transformationsbereich „Digitalisierung“ mehr auf Resilienz achten müssen, d.h. weniger Goldrandausstattung und mehr Projekte, die auch mit „Handkurbel“ betrieben werden können, bildlich gesprochen.

  1. Wo ist das Problem aus der Sicht von „Vater“ Staat?
    Aktivierung des Ausweises wird Zwang, weil sonst keine Verwaltungsleistungen mehr erreicht werden können. Alle Kosten sind dann problemlos beim Bürger abladbar, weil der ja die Dienstleistungen braucht. Ordnungsgelder für alle nicht erfolgten Anträge, Meldungen etc. mit dem Faktor 100 erhöhen, dann zahlt der „Souverän“ brav, weil die Ordnungsgelder noch mehr kosten.
    Resultat: Bürger noch mehr in die Digitalisierung gezwungen oder Mehreinnahmen generiert.

  2. Lebe stets in dem unerschütterlichen Glauben, dass Dein E-Perso samt IDs absolut unhackbar sind (1. Digitales Gebot) und bekämpfe jeden akribisch, der das Gegenteil beweist (2. Digitales Gebot).

    Lebe stets so, dass Du proprietäre Software ehrst und neben ihren Herstellern keine anderen IT-Götter hast (3. Digitales Gebot). Denn die Herren des Silicon Valley werden niemanden ungestraft lassen, der ihren Namen verunglimpft.

    Der IT-Unsicherheitspapst

  3. Ich finde die bisherigen 37 Euro für den Perso schon eine maßlose Frechheit. Jetzt 14 Euro on Top? Dass wäre am Ende über 50 Euro für einen Perso? Geht’s noch? Ganz bestimmt nicht! Dann landet das vor dem Verwaltungsgericht.

  4. Das hier genutzte Verfahren hat nichts mit Videoident zu tun, Das Produkt „Postident Zustellung“ bietet kein Videoident, sondern geht ausschließlich mit persönlichen Ausweisen gegenüber dem Zusteller.
    Und die Darstellung als Hindernis für die Digitalisierung teile ich auch nicht: Den Rücksetzdienst brauchen hauptsächlich Leute, die ihren PIN-Brief weggeschmissen haben oder Ihre PIN vergessen. Das ist ein sehr persönliches und individuelles Problem, bei dem ich ohnehin nicht einverstanden war die Kosten dafür auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Es ist genau die richtige Entscheidung das kostenpflichtig für den Einzelnen anzubieten.

    1. Danke für den Hinweis, ich habe die Passage zu Videoident entfernt. Und sicher gibt es auch Versäumnisse bei den Bürger:innen. Zahlreiche Briefe konnten in der Vergangenheit aber auch deshalb nicht zugestellt werden, weil die in der eID hinterlegte Adresse nicht mit der offiziellen Meldeadresse übereinstimmte. Erst im November vergangenen Jahres nahm das BMI nach eigenen Angaben Anpassungen vor, die dies verhindern sollen. In anderen Fällen haben Bürger:innen „die Identifizierung über andere Funktionen neben der eID wahrgenommen (bspw. VideoIdent), parallel wurde ein PRSBrief bestellt, der aber innerhalb der Aktivierungszeit dann nicht mehr eingesetzt wurde.“ (https://dserver.bundestag.de/btd/20/103/2010315.pdf)

      1. Nagut, die Zustellung ist ein individuelles Problem. Und die individuelle Antwort lautet: „Ich nutze den Dreck, den mir der Staat aufzwingen will, nie wieder. Und beschimpfe Menschen, die dafür Werbung machen wollen.“

        Danke für Deine Hilfe, Pommesmatte

      2. Dass die Meldeadresse nicht aktuell war ist aber auch ein individuelles Versäumnis des Bürgers, schau mal in die Pflichten im PAuswG.

        Die Situationen sind entstanden, weil Behörden in der Corona-Zeit Ummeldungen ohne Personenkontakt vorgenommen haben und die Bürger verpflichtet haben zur Aktualisierung des Ausweischips später in die Behörde zu kommen. Das haben die Bürger dann nicht getan.

        Mein grundsätzlicher Punkt ist aber, dass es nur eine EINZIGE Nutzergruppe gibt, die den PIN-Rücksetzdienst „unverschuldet“ benutzen könnte, nämlich die bei Beantragung unter 16-jährigen zur nachträglichen Aktivierung. Alle anderen HABEN schon ab Ausweisproduktion einen Online-Ausweis (und nur Ihre PIN verloren oder vergessen) oder haben sich vor 2017 bei Abholung AKTIV dagegen entschieden ihn zu aktivieren.

        1. Ganz so einfach ist es aus meiner Sicht nicht: Wenn die Situation in der Corona-Zeit entstanden ist, hätte das BMI schon früher gegensteuern und Kosten reduzieren können. Das tat sie aber erst im vergangenen November. Vor allem aber gibt es nach wie vor nur wenige Anwendungen für den Online-Ausweis. Auch deshalb haben viele Bürger:innen ihn nicht aktiviert. Viele wissen nicht einmal, was ihr Perso theoretisch so alles kann. Daher plante das BMI im vergangenen Jahr auch eine „bundesweite, crossmediale Kommunikationskampagne“, die den Online-Ausweis gezielt bewerben sollte. (https://netzpolitik.org/2023/digitale-identitaet-bundesregierung-laesst-sich-zeit-mit-dem-elektronischen-personalausweis) Ich habe davon nichts mitbekommen, gab es diese Kampagne? Vielleicht kommt sie in diesem Jahr nach dem OZG 2.0, wer weiß. All das sind vor allem politische Versäumnisse.

          1. Was meinst du mit „das BMI hätte früher reagieren können“? Und worauf?

            Und wie gesagt, seit über 6 Jahren ist schonmal jeder Ausweis aktiviert, sodass schonmal über 40 Mio. Bürger den PIN-Rücksetzdienst dafür nicht brauchen.

          2. Ach, jetzt weiß ich was du mit „Reaktion erst im November 2023“ meinst, da scheint die Adressanzeige dann wohl von der Bundesdruckerei live geschaltet worden zu sein. Das BSI hatte die TR-03128-3 schon im April 2023 entsprechend angepasst und du kannst davon ausgehen, dass die Gespräche dazu schon deutlich früher gestartet sind.

  5. Es gibt ja noch as Bürgerbüro, dort gehe ich morgen hin um meine PIN rücksetzen zu lassen.
    Mein Ausweis läuft bald ab, spätestens dann muss ich erneut ins Bürgerbüro.

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