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Italienische "Postkarten-Steuer"Gemeinfreie Werke unter Gebührenzwang

Nach dem italienischen Kulturgüterschutzgesetz ist eine spezielle Verwaltungsabgabe zu zahlen, wenn historische Gebäude und Kunstwerke abgebildet werden. Ein Urteil des Stuttgarter Landgerichts hat den kuriosen Gebührenforderungen nun endlich Grenzen gesetzt. Und das Kulturministerium in Rom ergänzte die Vorschrift immerhin um Ausnahmen für die Wissenschaft.

Der vitruvianische Mensch von Leonardo da Vinci (ca. 1490)

Seit dem Jahr 2004 enthält das italienische Kulturgüterschutzgesetz eine weltweit wohl einzigartige Vorschrift: Wer die Abbildung eines historischen Gebäudes oder Kunstwerks nutzen möchte, das zum Kulturerbe Italiens gezählt wird, muss dafür eine Abgabe zahlen. Das kann das Foto des römischen Kolosseums in einem Buch oder die Abbildung von Botticellis „Geburt der Venus“ auf einer Webseite sein. Die Regelung entspricht einer Lizenzgebühr – ungeachtet der Tatsache, dass der urheberrechtliche Schutz der verwendeten Werke freilich längst abgelaufen ist.

Die seltsame Norm fristet in der Praxis bislang ein Schattendasein. Vielen Nutzer:innen ist die Zahlungspflicht völlig unbekannt. Und die zuständigen staatlichen Kulturinstitutionen treiben die Gebühr nur äußerst selten ein. Einige prominente Fälle sind jedoch jedoch öffentlich geworden und zeigen, wie absurd die Regelung ist.

Deshalb gibt es an der Regelung auch vielstimmige Kritik. Insbesondere seitdem die Europäische Union 2019 das Recht zur freien Nutzung von Abbildungen gemeinfreier Kunstwerke anerkannt hat (in Art. 14 der DSM-Richtlinie), fordert unter anderem die Organisation Communia, die Vorschrift aufzuheben.

Auch der italienische Rechnungshof kritisiert die „Postkarten-Steuer“

Zu den prominentesten Kritikern der Regelung gehört überraschenderweise der italienische Rechnungshof. Im vergangenen Jahr plante das italienische Kulturministerium, neue Gebühren-Mindestsätze einzuführen. Der Rechnungshof kritisierte daraufhin, dass die „Postkarten-Steuer“ den erklärten Bemühungen des italienischen Staates entgegenlaufe, Open Access zu fördern. Auch liege der freie Zugang zu digitalen Kulturgütern im wirtschaftlichen Interesse Italiens. Darüber hinaus verkenne die Gebührenpflicht „operative Besonderheiten des Internets“, also den kulturellen Wert, den das Teilen von Inhalten im Netz hat.

Eine Vielzahl von Verbänden und Organisationen schloss sich der Kritik an, darunter auch Wikimedia Italia. In der Wikipedia finden sich abertausende Fotos des reichen italienischen Kulturerbes – auch dank des großen Erfolgs des alljährlichen Fotowettbewerbs „Wiki Loves Monuments“. Wegen der bestehenden Rechtsunsicherheit kann dieser Wettbewerb in Italien nur mit erheblichem bürokratischem Aufwand durchgeführt werden.

Die Diskussion um die Vorschrift nimmt mitunter auch absurde Auswüchse an. So untersagte ein italienisches Gericht der Männerzeitschrift GQ im März 2023, ein Model in der Pose von Michelangelos „David“ auf dem Titelblatt abzubilden. Auch große italienischen Tageszeitungen griffen das Thema auf.

Ravensburger gewinnt im Puzzle-Streit

Im vergangenen Jahr schwappte die Debatte dann nach Deutschland. Ein staatliches Museum in Venedig hatte zunächst in Italien Klage gegen den Spieleverlag Ravensburger erhoben. Das schwäbische Unternehmen hatte die weltberühmte Zeichnung des „Vitruvianischen Menschen“ von Leonardo da Vinci aus dem 15. Jahrhundert auf einem Puzzle abgebildet.

Die venezianischen Gerichte gaben dem Museum Recht und verhängten gegen das Puzzle sogar einen weltweiten Verkaufsstopp. Dagegen erhob Ravensburger Klage vor dem Landgericht Stuttgart. Der Verlag wollte feststellen zu lassen, dass die Vergütungspflicht nur innerhalb Italiens besteht.

Das Verfahren erfuhr hierzulande nur wenig Aufmerksamkeit, hat aber große wirtschaftliche und praktische Bedeutung. Potenziell könnte eine große Zahl an Produkten in den Anwendungsbereich der italienischen Vorschrift fallen – von kunsthistorischen Nachschlagewerken bis zu alltäglichen Designs, die von italienischer Kunst inspiriert sind. Ravensburger allein vertreibt zahlreiche Produkte mit Motiven aus dem italienischen Kulturerbe. Bislang hat der Verlag jedoch nur den Vertrieb des von der Klage erfassten Puzzles eingestellt.

Im März dieses Jahres verkündete das Landgericht Stuttgart seine Entscheidung. Demnach kann die „Postkarten-Steuer“ im Ausland nicht geltend gemacht werden, da das italienische Kulturgüterschutzgesetz aufgrund des sogenannten Territorialitätsprinzips nur innerhalb Italiens Anwendung findet. Die Gebührenforderungen müssen sich deshalb auf den Vertrieb innerhalb Italiens beschränken, so das Gericht (Az. 17 O 247/22).

Wie der SWR berichtete, ist der Rechtsstreit damit aber nicht beendet. Das italienische Museum hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Daher bietet Ravensburger das Puzzle bislang auch noch nicht wieder an. Fest steht aber schon jetzt: Auf dem italienischen Markt wird der Verlag das Produkt auch nach der Gerichtsentscheidung nur verkaufen können, wenn er auch die geforderte Gebühr bezahlt.

Ausnahmen für die Wissenschaft

Immerhin veranlasste die breite Kritik das italienische Kulturministerium im März dazu, die Gebührenvorschrift um Ausnahmen zu ergänzen. Demnach soll es fortan wenigstens zu wissenschaftlichen Zwecken erlaubt sein, italienische Kulturgüter kostenfrei abzubilden. Unternehmen wie Ravensburger wird das jedoch nur wenig helfen.

Anfang April kommentierte die Tageszeitung „Corriere della Sera“ das Stuttgarter Urteil und zitierte dabei den italienischen Kulturpolitiker Giuliano Volpe. Auf die Frage, ob das Gesetz nicht erforderlich sei, um das italienische Kulturerbe vor „unwürdigen“ Nutzungen zu schützen, entgegnete Volpe: „Schlechter Geschmack oder gar Vulgarität können nicht gesetzlich geregelt werden, dagegen muss man eher mit den Waffen der Kultur, der Bildung, aber auch der Ironie und Satire kämpfen.“ Mitunter münden solche Versuche des Gesetzgebers nämlich in Realsatire.

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4 Ergänzungen

  1. Es ist ja nicht neu, dass irgendwin dahergelaufenes Land (Amerika) meint, seine Gesetze seien weltweit auf alle anzuwenden. Italien kann es jedoch zumindest EU-weit auch durchsetzen (bis sich jemand juristisch wehrt).

    Wird denn auch gegen Reiseunternehmen geklagt, damit sie dann endlich ihre Italenreisen unbebildert bewerben?

  2. Das Urherberrecht hat in der EU recht weite, aber klare Grenzen. Und einen „Kulturbereich“ zu besteuern hat fraglos nur in der jeweiligen Jurisdiktion Wirkkraft. Ich bin vom Suttgarter Urteil „unterwältigt“ – das war so zu erwarten. Das italienische Kulturministerium kämpft hier tapfer und verzweifelt gegen Windmühlen.

  3. Na, da bin ich doch mal dafür, dass nicht nur EU-weit sondern weltweit alle potentiellen „Opfer“ dieses Gesetzes sämtliche Italien-Fotos mit kulturhistorischen Motiven aus ihrem Portfolio nehmen. Mittelfristig ist das sicher für „die Welt“ günstiger als den „Abzockern“ das Gefühl zu geben, sie kämen mit dieser linken Tour durch. Der Schaden für Italien allerdings dürfte sich schnell in einer Größe belaufen in welcher der ital. Gesetzgeber beginnt, sich Gedanken zu machen. Natürlich weiß ich dass es schwer ist, „die Welt“ unter einen Hut zu bekommen, aber deshalb muss man ja nicht von Anfang an die Flinte ins Korn werfen.

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