Wenn im Sommer nach der Wahl die Abgeordneten des neuen Europäischen Parlaments ihre Büros betreten, dann werden dort Papierstapel auf sie warten. Denn anders als in Deutschland setzt eine Wahl die laufenden Gesetzgebungsverfahren nicht auf Null zurück: Wenn ein Gesetz nicht fertig geworden ist, dann laufen die Verhandlungen einfach weiter.
Und es wird noch an einigen Projekten gefeilt. Das Parlament selber zählt 119, es geht aber nur bei einigen davon um digitale Themen. Einige großen Brocken – die Gesetze zu digitalen Diensten und digitalen Märkten oder die KI-Verordnung – haben Kommission, Rat und Parlament über die Ziellinie gebracht, in mehr oder weniger gutem Zustand. Andere Vorhaben sind momentan aber noch wenig mehr als eine Idee oder sie stecken auf absehbare Zeit erst einmal fest.
Ohne Rat keine Chatkontrolle
So etwa bei der allseits beliebten Chatkontrolle. Das Vorhaben, mit dem private Chats durchleuchtet werden sollen, hängt bei den EU-Mitgliedstaaten. Die können sich seit zwei Jahren nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Hardliner wollen nah an der Position der Kommission bleiben, doch selbst ihr eigener Juristischer Dienst hält deren Vorschlag für illegal.
Andere Staaten, darunter Deutschland und Österreich, blockieren. Sie wollen zumindest, dass nur irgendwie begrenzte Teile der Bevölkerung überwacht werden dürfen. Das Parlament hat sich schon im November auf einen abgeschwächten Entwurf geeinigt, der umfangreiche Kontrollen für die Chatkontrolle vorsieht. Solange der Rat sich aber nicht einigt, können die abschließenden Trilogverhandlungen nicht starten. Dass das in absehbarer Zeit geschieht, scheint aber momentan eher unwahrscheinlich.
Gesetz für den Digitalen Euro verzögert
Ein anderes Vorhaben steckt weniger fest, als dass es langsam vor sich hindümpelt: der Digitale Euro. Die EU will mit dem Digitalen Euro eine europäische Alternative zu Internet-Zahlungsanbietern wie Paypal, Visa oder Mastercard schaffen. Diese soll, im Gegensatz zu den bestehenden kommerziellen Angeboten, nicht ständig Daten sammeln und verkaufen. Außerdem soll der Digitale Euro im gesamten Euroraum funktionieren, wo es momentan noch oft zwischen nationalen Angeboten hakt.
Soweit der Plan. Die Europäische Zentralbank werkelt an der praktischen Umsetzung, es braucht aber auch ein Gesetz. Die Kommission hat im vergangenen Sommer ihren Entwurf dafür vorgestellt, seitdem ist nicht mehr viel passiert. Rat und Parlament lassen sich Zeit damit, ihre Standpunkte fertigzustellen – wie bei der Chatkontrolle geht es aber ohne sie nicht weiter. Im Parlament hat der Ausschuss für Wirtschaft und Währung in den letzten Monaten vor der Wahl noch einige große Themen abgearbeitet, der Digitale Euro war nicht darunter. Es wird sich zeigen, ob das Projekt nach der Wahl mehr Fahrt aufnimmt. Wirklich als Zahlungsmittel eingeführt wird der Digitale Euro laut aktuellen Plänen sowieso nicht vor 2028.
KI-Haftung und Infrastruktur
Eins der großen digitalen Projekte der letzten fünf Jahre war die europäische Verordnung zu Künstlicher Intelligenz. Die ist inzwischen, nach langem Rumverhandeln, endgültig fertig und regelt grundlegende Fragen beim Umgang mit KI: Was ist verboten, was ist erlaubt? Neben der KI-Verordnung hatte die EU in den letzten Jahren aber noch ein zweites KI-Gesetz in der Mache, das eine viel wichtigere Frage klären soll: Wen kann ich verklagen?
Die Rede ist von der KI-Haftungsrichtlinie. Die soll regeln, wer bei Problemen mit KI-Anwendungen vor Gericht für welche Schäden verantwortlich ist. Gerichte sollen Anbieter etwa dazu zwingen können, mehr Informationen über ihre Anwendungen offenzulegen. Wenn eine Anwendung nicht nach den Regeln der KI-Verordnung entwickelt wurde, dann wird der Anbieter bei einer Klage eher für die Schäden aufkommen müssen. Dieses vor Adrenalin tropfende Gesetz wurde fürs Erste auf Eis gelegt, um das Ergebnis der Verhandlungen zur KI-Verordnung abzuwarten – sinnvollerweise. Nach der Wahl dürfte es hier weitergehen.
Wird die E-Privacy-Verordnung endlich beerdigt?
Noch nicht einmal einen ersten Entwurf gibt es für ein Gesetz, das zumindest Binnenmarktkommissar Thierry Breton im Bereich Telekommunikation plant: das Gesetz zu digitalen Netzwerken. Breton hat hier im März ein Weißbuch vorgelegt, das verbleibende Barrieren für einen europäischen Telekom-Sektor ausräumen will. Ob und wie darauf ein Gesetz folgt, dürfte davon abhängen, wie viel Macht Breton in der nächsten Kommission noch hat.
Wie es aussieht, wenn ein Vorhaben für ein neues Gesetz vollständig verkümmert, zeigt die E-Privacy-Verordnung. Sie soll eigentlich Kommunikation sicherer machen und Cookies und Spam klarer regeln. Das Vorhaben drehte zwischen 2017 und 2021 immer neue Runden im Rat, weil sich die Mitgliedstaaten nicht einig werden konnten. Danach haben Parlament und Rat kurz verhandelt – bis der Rat weiter blockierte. Das tut er bis heute. Die nächste Kommission könnte den Vorschlag zurückziehen und so den Weg für einen neuen Anlauf frei machen.
Umsetzung wird wichtig
Neben all diesen neuen und noch geplanten Gesetzen ist aber auch klar: In den nächsten fünf Jahren wird entscheidend, wie gut die EU ihre Regeln umsetzen kann. Bei der Datenschutz-Grundverordnung gab es dabei einige Probleme, besonders mit der irischen Datenschutzbehörde. Hier bessert die Union gerade nach: In Zukunft soll der Europäische Datenschutzausschuss einspringen können, wenn eine nationale Behörde zu lange untätig bleibt. Vielleicht wird ein solches Nachbessern auch bei anderen Gesetzen in den nächsten Jahren noch einmal nötig.
Bis dahin wird bei der KI-Verordnung wichtig sein, wie gut die Kommission ihr KI-Büro besetzen kann. Das soll Europas Fähigkeiten zu Künstlicher Intelligenz bündeln und überwachen, wie gut das Gesetz eingehalten wird. Die bisherige Arbeit der Teams für digitale Dienste und digitale Märkte gibt dabei Anlass zu Hoffnung.
Bei vielen anderen Gesetzen liegt der Ball nun bei den Mitgliedstaaten. Für die europäische digitale Identität und den Europäischen Gesundheitsdatenraum müssen sie Infrastruktur aufbauen, andere Gesetze noch einmal auf nationaler Ebene selber schreiben. Das ist etwa bei den Gesetzen gegen Einschüchterungsklagen und zu Plattformarbeit der Fall. Hier werden nationale Regierungen in den nächsten Jahren bisherige Versprechen einlösen müssen, für mehr Pressefreiheit und für bessere Arbeitsbedingungen.
Die neue Produkthaftungsrichtlinie deckt die KI-Haftungsfragen bereits zu einem Großteil ab, was vermutlich ein weiterer Grund dafür ist, dass die KI-Haftungsrichtlinie nicht vorankommt.