EM 2024Steilvorlage für die Polizeidatei „Gewalttäter Sport“

Das Bundesinnenministerium wappnet sich anlässlich der Fußballeuropameisterschaft gegen „alle denkbaren Gefahren“. Für Kontrollen an deutschen Außengrenzen will sie die Datei „Gewalttäter Sport“ nutzen und um Daten anderer Staaten ergänzen.

Kunstrasen vor dem Brandenburger Tor anlässlich der EM 2024.
„United by Football. Vereint im Herzen Europas.“ So das Motto der EM 2024. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Andreas Gora

Die Fußballeuropameisterschaft der Männer naht. Am 14. Juni, und damit in genau vier Wochen, wird die UEFA EURO 2024 in München eröffnet. Das Finale findet einen Monat später in Berlin statt. In der Bundeshauptstadt wird bereits der Kunstrasen für das Public Viewing ausgerollt. 2,5 Millionen Besucher:innen erwartet der Berliner Senat zum Fußballfest.

Auch das Bundesinnenministerium wappnet sich „mit maximalem Einsatz aller Sicherheitsbehörden gegenüber allen denkbaren Gefahren“ für die Großveranstaltung. Im Fokus stehen laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser unter anderem islamistischer Terror, Hooligans und andere Gewalttäter.

Bereits im März hatte die Ministerin angekündigt, dass es während des Turniers an allen deutschen Grenzen vorübergehende Grenzkontrollen geben werde. Dabei wird laut Bundesregierung auch die Datei „Gewalttäter Sport“ (DGS) zum Einsatz kommen – und damit eine Renaissance erleben.

30 Jahre „Gewalttäter Sport“

Die DSG besteht seit mittlerweile 30 Jahren. 1994 führte die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) die Verbunddatei ein, auf die grundsätzlich alle Polizist:innen des Bundes und der Länder zugreifen können. Die Speicherfrist der Daten beträgt in der Regel fünf Jahre.

In der DGS sind, anders als es der Name vermuten lässt, nicht nur verurteilte Gewalttäter:innen gespeichert. Vielmehr genügt bereits ein Ermittlungsverfahren, um erfasst zu werden. So kesselte die Polizei im Jahr 2017 mehrere hundert Fans des FC Schalke 04 vor einem Bundesliga-Spiel ein. 681 von ihnen wurden danach in der DGS gespeichert – unter anderem wegen einer vermeintlichen „konspirativen Anreise“.

Dritte Halbzeit für Polizeidateien?

Datenimport aus EM-Teilnehmerstaaten

Laut dem Dachverband der Fanhilfen, einem Zusammenschluss von juristischen Beratungsstellen für Fußballfans, führe die Datei „oftmals zu ungerechtfertigten Stadionverboten und einem permanenten Verdacht der Polizei“. Auch erfahren Betroffene meist nicht, wenn sie in der Datensammlung landen.

Die Ampel-Koalition wollte dem intransparenten wie willkürlichen Verfahren ein Ende setzen. In ihrem Koalitionsvertrag hatte sie vereinbart, die DGS „in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Löschfristen, Transparenz und Datenschutz“ zu reformieren. Davon ist nun aber keine Rede mehr.

Stattdessen soll die Datei anlässlich der Europameisterschaft zum Großeinsatz kommen und offenbar erheblich aufgebläht werden – mit Hilfe von Personendaten aus anderen EU-Staaten, wie eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten André Hahn ergab. Hahn ist stellvertretender Vorsitzender und sportpolitischer Sprecher der Linkspartei im Bundestag.

Sicherheit geht vor Rechtstaatlichkeit und Datenschutz

Laut Bundesinnenministerium (BMI) werden „die Polizeibehörden der Teilnehmerstaaten nach Maßgabe ihres nationalen Rechts und Datenschutzregelungen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze Daten über Fußballstörer übermitteln, die zeitweise in der Datei Gewalttäter Sport (DGS) eingespeichert werden“. Seit 2011 war die Anzahl der in der DGS gespeicherten Personen kontinuierlich zurückgegangen, von rund 13.000 auf 5.500 Menschen im Jahr 2023.

Es werden Daten an Datawrapper übertragen.

Die bald anlässlich der EM importierten Daten sollen laut BMI innerhalb von 24 Stunden in der DGS gespeichert werden – eine äußerst knappe Frist, um sie gewissenhaft zu prüfen. Damit aber wird wohl nicht nur der Umfang der Datei rasant zunehmen, sondern auch ihre Auswirkung auf Polizeientscheidungen an den deutschen Grenzen.

André Hahn kritisiert das Vorgehen des Ministeriums. Er befürchtet, „dass Bundes- und Landesbehörden Rechtsstaatlichkeit und Datenschutz in den kommenden Wochen mit Verweis auf ihre Sicherheitskonzepte nur noch als nachrangig betrachten.“

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