Heute erging beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Urteil zum Einsatz automatisierter Datenauswertung bei der Polizei. Der Erste Senat erklärte die entsprechende Hamburger Regelung für nichtig und die hessische Befugnis für verfassungswidrig.
Laut der Karlsruher Richter dürfe die Polizei zwar grundsätzlich mit Hilfe einer Software Informationen und Querverbindungen zu Personen herstellen, um damit Straftaten vorzubeugen. Allerdings müssten Gesetze klare Vorgaben dazu machen, unter welchen Bedingungen dieses Data Mining erfolgt. Andernfalls verstießen die Regelungen gegen die informationelle Selbstbestimmung, also das Recht, über die eigenen Daten zu bestimmen. Laut der Richter liege ein Grundrechtseingriff „nicht nur in der weiteren Verwendung vormals getrennter Daten, sondern darüber hinaus in der Erlangung besonders grundrechtsrelevanten neuen Wissens, das durch die automatisierte Datenauswertung oder -analyse geschaffen werden kann.“
Das Bundesverfassungsgericht gibt damit in weiten Teilen zwei Verfassungsbeschwerden der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und weiterer Bürgerrechtsorganisationen statt. Bijan Moini, Leiter des Legal Teams der GFF und Prozessbevollmächtigter, betont die weitreichende Bedeutung der heutigen Entscheidung: „Das Bundesverfassungsgericht hat heute der Polizei den ungehinderten Blick in die Glaskugel untersagt und strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit formuliert. Das war wichtig, weil die Automatisierung von Polizeiarbeit gerade erst begonnen hat.“
Predictive Policing mit Palantirs Hilfe
Konkret ging es in dem Verfahren um Paragraf 25a Abs. 1 Alt. 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) sowie Absatz 49 Abs. 1 Alt. 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (HmbPolDVG).
Die beiden Landespolizeigesetze erlauben eine umfangreiche Datenauswertung ähnlich einer Rasterfahndung und auch ein sogenanntes Predictive Policing, also den Versuch, aus vorhandenen polizeilichen Daten Vorhersagen abzuleiten. Die dafür eingesetzte Software soll Verbindungen zwischen Menschen, Objekten und polizeilich festgehaltenen Sachverhalten finden und sie für die Polizei visualisieren. Dazu verwendet sie unter anderem Kontaktdaten sowie Bewegungs- und Reiseinformationen. In Hessen werden zudem massenhaft Daten aus Funkzellenabfragen genutzt. All diese Daten werden miteinander verknüpft. Die Anbieter der eingesetzten Software versprechen, auf diese Weise gänzlich neue Ermittlungsansätze generieren zu können.
Die vom Bundesverfassungsgericht gerügte gesetzliche Grundlage für die Datenerhebung, -verknüpfung und -auswertung wird mit Hilfe kommerzieller Dienstleister umgesetzt. Im Falle von Hessen wurde das US-Unternehmen Palantir Technologies beauftragt. Es importiert aus den polizeilichen Quellsystemen die Daten in eine Analyseplattform und stellt der Polizei Hessen ein Nutzungsinterface zur Verfügung. Palantirs Software „Gotham“ firmiert bei der Polizei Hessen unter dem Namen „HessenDATA“. In Hamburg befindet sich die technische Umsetzung derzeit in der Planung.
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Weder die technischen Details rund um die Software noch um die Verträge mit dem US-Unternehmen Palantir sind öffentlich bekannt. Die Karlsruher Richter haben diese in dem Verfahren auch nicht näher beleuchtet. Zwar brachte die mündliche Anhörung im Dezember einige Fakten über den Umfang der analysierten Daten und die praktische Anwendung im Polizeialltag ans Tageslicht. Diese beschränkten sich jedoch auf die polizeiliche Nutzersicht auf Palantirs Software. Eine geplante Überprüfung der technischen Details von Palantirs Analysesoftware durch das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie verzögerte sich.
Die GFF erhob die Verfassungsbeschwerden gemeinsam mit der Humanistischen Union, den Datenschützern Rhein Main, dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, den Kritischen Jurastudierenden Hamburg, der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen, dem AStA der Universität Hamburg und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Die Beschwerdeschrift zu den hessischen Normen verfasste Professor Tobias Singelnstein, die Beschwerdeschrift zu den hamburgischen Normen Junior-Professor Sebastian Golla.
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