ChatkontrolleAbstimmung auch im EU-Innenausschuss verschoben

Die Entscheidung über die Chatkontrolle verschiebt sich nun auch im EU-Parlament. Der Punkt wurde von der Tagesordnung gestrichen.

Zwei Wecker, Nebendran Kastanien.
Die Abstimmung verschiebt sich weiter in den Herbst. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Christian Ohde

Nachdem der EU-Ministerrat seine Abstimmung zur Chatkontrolle wegen fehlender Einigung in der letzten Woche schon zum zweiten Mal vertagt hatte, verschiebt nun auch der EU-Innenausschuss (LIBE) die ursprünglich für diesen Donnerstag angesetzte Abstimmung. Sie soll nun erst am 13. November stattfinden und ist aus der aktuellen Tagesordnung gestrichen.

Über die EU-Verordnung zur „Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“, weithin bekannt als Chatkontrolle, gibt es seit mehr als 18 Monaten eine heftige Debatte. Die von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson eingebrachte Verordnung enthält Maßnahmen, die eine neue Form der anlasslosen Massenüberwachung etablieren würden: Internet-Dienste wie Messenger, E-Mail-Provider oder Social-Media-Plattformen wären dann gesetzlich gezwungen, die privaten Inhalte ihrer Nutzer:innen zu scannen und darin nach Darstellungen von Missbrauch zu suchen.

Bevor die Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Ministerrat und der EU-Kommission beginnen können, müssen sich die jeweiligen Gremien auf eine Position einigen. Dies gestaltet sich derzeit im Ministerrat wegen der Ablehnung durch Länder wie unter anderem Deutschland, Österreich, Polen und Estland schwierig. Diese letzte Phase des Gesetzgebungsprozesses rückt demnach immer weiter ans Ende der EU-Legislaturperiode im Sommer 2024.

Die nächste Ratstagung der Justiz- und Innenminister:innen wird Anfang Dezember stattfinden. Dennoch kann der Rat auch vorher das Verhandlungsmandat der Mitgliedstaaten auf Ebene der Ständigen Vertreter (COREPER II) festlegen.

Breite zivilgesellschaftliche Kritik

In der letzten Woche hatte die Datenschutzkonferenz, der die 16 Landesdatenschutzbeauftragten und der Bundesdatenschutzbeauftragte angehören, darauf hingewiesen, dass es sich bei der vorgesehenen Chatkontrolle um eine anlasslose Massenüberwachung handele, die nicht mit den Grundrechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Vertraulichkeit der Kommunikation und zum Schutz personenbezogener Daten vereinbar sei.

Die Datenschützer:innen stehen mit ihrer Kritik nicht allein, denn die Kritik am Vorhaben der EU ist außergewöhnlich breit. Gegen die Chatkontrolle haben sich in seltener Einigkeit Kinderschutzexpert:innen, Betroffene von Kindesmissbrauch, Vertreter:innen der Polizei, europäische Regierungen, UN-Beamte, Wissenschaft, Unternehmen, Wirtschaftsverbände sowie Nichtregierungsorganisationen ausgesprochen.

Kommissarin in der Kritik

In der Debatte steht die EU-Innenkommssarin Ylva Johansson seit Wochen in der Kritik. Einerseits gibt es Berichte über eine große Nähe von Johansson zu Lobbyverbänden, die auch mit wirtschaftlichen Interessen für die Einführung der Chatkontrolle lobbyieren.

Auf der anderen Seite nutzte die Kommissarin im September politisches Microtargeting, um auf Twitter/X für die Verordnung zu werben. Dabei wurden irreführende Werbevideos in denjenigen Ländern geschaltet, die kritisch gegenüber der Chatkontrolle sind. Die Ausspielung der Werbung wurde an politische und religiöse Einstellungen der Nutzer:innen gebunden. Diese Art von Werbung ist seit dem Skandal um Cambridge Analytica wegen der Manipulationsmöglichkeiten umstritten.

Der EU-Datenschutzbeauftragte leitete wegen der Werbung eine Voruntersuchung ein, Johansson muss sich am Mittwoch um 14:30 Uhr vor dem Innenausschuss wegen Lobbynähe und Microtargeting erklären. Die Sitzung wird per Livestream übertragen.

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3 Ergänzungen

  1. „Internet-Dienste wie Messenger, E-Mail-Provider oder Social-Media-Plattformen wären dann gesetzlich gezwungen, die privaten Inhalte ihrer Nutzer:innen zu scannen und darin nach Darstellungen von Missbrauch zu suchen.“

    Es bleibt dabei festzuhalten, dass es VORERST um solche Inhalte gehen würde. Es wurde bereits von verschiedenen Stellen der Strafverfolgung Interesse an einer Ausweitung auf weitere Inhalte bekundet. Allein deshalb darf die Chatkontrolle nicht Wirklichkeit werden: sie käme einem Dammbruch gleich! Nur wenn gleichzeitig eine Ausweitung ausgeschlossen und massive !! Strafen für den Datenmissbrauch durch Breamte in der Verordnung enthalten wären würde ich eine solche Verordnung überhaupt zur Zustimmung in Betracht ziehen.

    1. mal ganz naiv gefragt: gäbe es denn überhaupt ein argument das gegen eine ausweitung funktionieren würde? weil wenn man missbrauch&grooming bekämpft, dann müsste man doch auch raub&mord mit mindestens den selben mitteln bekämpfen. außerdem terror, menschenhandel, organisierte kriminalität, usw.

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