Im Silicon Valley sorgt die russische Invasion der Ukraine für Löschtage. Vorige Woche entfernte Facebook nach eigenen Angaben ein Netzwerk aus rund 200 Fake-Konten mit Verbindungen nach Russland. Schon Tage nach Kriegsausbruch verkündeten der Facebook, Twitter und YouTube die großflächige Löschung russischer Propaganda. Die Apps der russischen Staatsmedien RT und Sputnik verschwanden aus Googles App-Store, ihre Konten sind weltweit bei YouTube gesperrt. Gegen russische Desinformation hat Facebook sogar ein eigenes Team gegründet, das rund um die Uhr arbeitet.
Die russische Kriegspropaganda hat seit Kriegsausbruch Priorität für die großen Internetkonzerne aus den USA. Sie wollen möglichst den Eindruck vermeiden, sie ließen Russland mit manipulativen Kampagnen im Netz gewähren – zu sehr wirkt der Vorwurf nach, sie hätten Versuche russischer Einflussnahme auf die US-Wahl 2016 zugelassen und damit Donald Trump ermöglicht. Das soll nicht mehr passieren – die Konzerne beziehen im Ukraine-Krieg klar Stellung: für den Westen, für die USA.
Weniger eilig haben es die Konzerne hingegen mit einer Desinformationskrise der anderen Art – einer, die seit Jahren schwelt: Klimalügen gibt es zuhauf auf Facebook, auf Instagram, YouTube und Twitter. Doch während der Facebook-Mutterkonzern Meta gegen russische Propaganda eigene Einsatzgruppen gründet, bleiben Falschbehauptungen, verzerrte Darstellungen und manipulative Kampagnen zum Klimawandel auf der Plattform.
Facebook gegen Klimalügen: Eine Million für Factchecking
Das Ausmaß des Problems ist nach Recherchen von NGOs gewaltig. Eine Studie der Organisation Stop Funding Heat untersuchte zwischen Januar und August 2021 rund 48.700 Posts von gut 200 Facebook-Seiten. Allein dort verbreitete falsche oder irreführende Informationen seien täglich geschätzt zwischen 827.000 und 1.380.000 Mal aufgerufen worden. 25 der weltgrößten Öl- und Gasfirmen gaben im Jahr davor laut einer Untersuchung der NGO InfluenceMap Millionen für gesponserte Posts aus, die ihre Arbeit in eine positives Licht rücken sollen.
Als Reaktion auf lauter werdende Kritik kündigte Facebook im Vorfeld der Klimakonferenz COP26 vergangenen Herbst an, wissenschaftlich glaubwürdige Stimmen zum Klimawandel sichtbarer zu machen. Auch versprach der Konzern eine Million US-Dollar mehr für Factchecking zum Klimawandel. Dies sei jedoch ein geradezu verschwindender Betrag für einen Konzern mit Milliardenumsätzen, wie Umweltschützer:innen kritisieren.
Auch Facebooks Konkurrenz steht kaum besser da: YouTube unternehme nichts gegen Videos von Klimaleugner:innen, kritisierte jüngst der prominente US-Klimaforscher Michael E. Mann. Ein Versprechen des Mutterkonzerns Google im Vorfeld von COP26, Werbung für Klima-Desinformation aus YouTube und seinem Werbenetzwerk zu verbannen, sei nicht erfüllt worden, so ein Bericht der NGO Center for Countering Climate Hate: Noch immer seien solche Inhalte auffindbar.
Dass das zutrifft, lässt sich leicht überprüfen. Wer den deutschen Begriff „Klimalüge“ bei YouTube oder Facebook eingibt, muss nur kurz scrollen, um einschlägige Angebote zu finden: Etwa einen Vortrag des umstrittenen deutschen Professors Gerd Ganteför, in dem dieser behauptet, eine Erderwärmung um drei Grad Celsius sei „erstmal nicht so schlimm, hat sogar positive Effekte“. Klimaschützer:innen warnen hingegen einhellig, bei einem solchen Temperaturanstieg drohten katastrophale Folgen.
Pinterest verbot Anti-Impfpropaganda schon vor Corona
Wie inkonsequent die Haltung der großen Internetfirmen ist, verdeutlicht der Schritt eines kleineren Konkurrenten. Pinterest, ein soziales Netzwerk, das für den Austausch über Handwerk, Rezepte und Schmuck beliebt ist, kämpfte lange gegen eine Flut an Desinformation. Fake News über Impfungen verbreiteten sich dort schon lange vor der Covid-19-Pandemie. Dagegen setzt Pinterest Maßnahmen: 2017 verbot das soziale Netzwerk Anti-Impfpropaganda und damit verbundene Suchbegriffe.
Vor einigen Tagen erweiterte Pinterest seine Regeln: Auch Desinformation über den Klimawandel ist künftig untersagt. Dazu zählt das soziale Netzwerk nicht nur Lügen und Falschmeldungen, sondern auch verzerrt dargestellte wissenschaftliche Daten, die das Vertrauen in die Klimawissenschaft untergraben sollen. Ein weitreichendes Verbot, für das Pinterest mit Umweltorganisationen genauere Auflagen ausarbeiten möchte.
Ähnliche Schritte bei Instagram, Facebook oder YouTube bleiben aus. Durch sein Klima-Informationszentrum wolle der Facebook-Mutterkonzern Meta „die Verbreitung von Falschinformationen rund um das Thema Klimawandel eindämmen und zu einer aufgeklärten Diskussion beitragen“, sagte eine Sprecherin zu netzpolitik.org. Konkretere Maßnahmen setzt der Konzern nicht. Auch YouTube erlaubt weiterhin Klimalügen, auch wenn Werbung dafür nun verboten ist.
Lange wehrten sich die Plattformen generell, Maßnahmen gegen falsche und irreführende Behauptungen zu setzen. Daran änderte selbst die Angst vor russischer Desinformation wenig. Erst die Covid-19-Pandemie zwang die Konzerne zum Handeln: YouTube verbot im Mai 2020 Inhalte über das Virus, „die ein ernsthaftes Risiko für körperlichen Schaden bergen“. Seit Herbst 2021 sind „schädliche Inhalte“ über jegliche Impfung verboten.
Auch Facebook kündigte im Pandemiejahr 2020 an, Verschwörungserzählungen über angebliche Mikrochips im Corona-Impfstoff und andere falsche Behauptungen über Covid-Impfungen generell zu löschen. Ob Facebook und YouTube dem konsequent nachkommen, daran lassen Studienergebnisse zweifeln. Doch immerhin: Es gibt klare Verbote.
„Meinungsfreiheit“ galt bei Facebook sogar für Holocaust-Leugnung
Dass sich die Konzerne lange sträubten, überhaupt falsche Behauptungen zu entfernen, hat wirtschaftliche und politische Gründe. Menschliche Moderation, die falsche und irreführende Inhalte zielsicher entfernt, aber zugleich nicht rasenmäherartig legitime Inhalte löscht, etwa Satire und journalistische Berichterstattung, ist teuer. Eine große Rolle für das Handeln der Plattformen spielt aber auch die libertäre Ideologie des Silicon Valley, sowie der starke Schutz der Meinungsfreiheit in der US-Verfassung.
Wie weit dieses Verständnis von „Meinungsfreiheit“ gehen konnte, macht eine Kontroverse um Aussagen von Mark Zuckerberg deutlich. 2018 hatte der Facebook-Gründer in einem Interview erklärt, selbst Holocaust-Leugnung habe grundsätzlich auf seiner Plattform Platz. Erst zwei Jahre später entschied sich der Konzern, solche Inhalte weltweit zu verbieten.
Klar: Holocaust-Leugnung ist nicht gleichzusetzen mit anderen Lügen. Doch Facebooks langjährige Toleranz gegenüber Holocaust-Leugnung verdeutlicht, wie problematisch es sein kann, keinerlei Wertung über den Wahrheitsgehalt einer Aussage treffen zu wollen.
Auch erscheint es müßig, über den gesellschaftlichen Wert von verzerrten Darstellungen, Schwurbelei und Lügen über die Klimakrise zu sprechen. Sie tragen nichts zur Debatte bei – der „aufgeklärten Diskussion“, von der Facebook spricht – sondern im Gegenteil, sie richten einen realen Schaden an, wenn sie den Gegner:innen von Maßnahmen gegen den Klimawandel vermeintliche Argumente in die Hand geben.
Wer sich über die Grenzen der Freiheit von Meinung und Ausdruck auf den großen Internetplattformen sorgt, sollte einen Blick in die Gemeinschaftsstandards von Facebook werfen. Dort sind diese ohnehin eher willkürlich gezogen. Etwa löscht Facebook seit seinen frühen Tagen Bilder weiblicher Brustwarzen. Fotos von Geburten versieht der Konzern mit Warnhinweisen. Die Regeln des sozialen Netzwerkes orientieren sich an US-Gesetzen und prüden amerikanischen Sitten. Auf die Frage, ob es sinnvoll ist, jeden Nippel zu löschen, aber Verschwörungsmythen über Reptiloide zu erlauben, vermag Facebook keine Antwort zu geben.
Freilich steht zu vermuten, dass bei Facebook und seiner Konkurrenz im Silicon Valley dem strengem Vorgehen gegen Klimalügen und Verschwörungsmythen mehr entgegensteht als nur Geld oder eine philosophische Grundhaltung zur Meinungsfreiheit. Abgeordnete der republikanischen Partei müssen spätestens seit dem Deplatforming von Donald Trump fürchten, dass auch ihre eigenen Falschbehauptungen im Fangnetz landen könnten. Entsprechend vorsichtig sind die Internetkonzerne, keine gesetzlichen Gegenmaßnahmen der US-Rechten auf den Plan zu rufen. Ihre Sorge, der Republikanischen Partei auf den Schlips zu treten, hat globale Auswirkungen.
Sollten sich Facebook, YouTube und andere Plattformen allerdings noch durchringen, gegen Klimalügen vorzugehen, stünde ein breites Arsenal an Maßnahmen zur Verfügung. Forscher:innen und Expert:innen legen seit Jahre Vorschläge vor, wie ein Vorgehen gegen falsche Informationen rasch durchgesetzt werden könnte: Dazu gehören etwa klarere Meldewege für Nutzer:innen, die sich über solche Inhalte beschweren wollen, mehr menschliche Moderator:innen, sowie mehr Geld für Factchecking.
Die Lösungen liegen am Tisch – was fehlt ist allerdings die Entschlossenheit, etwas zu unternehmen.
Hallo Herr Fanta,
bin hier eher auf der Seite Ihres Kollegen:
https://netzpolitik.org/2022/wie-umgehen-mit-klimaluegen-loeschen-ist-keine-gute-loesung
TL;DR
Faktenchecks beim Video anzeigen, aber ohne zu löschen,
oder als allerletztes Mittel. (z.B. Bei Enthauptungs- oder Vergerwaltigungsvideos)
„Forscher:innen und Expert:innen legen seit Jahre Vorschläge vor, wie ein Vorgehen gegen falsche Informationen rasch durchgesetzt werden könnte: Dazu gehören etwa klarere Meldewege für Nutzer:innen, die sich über solche Inhalte beschweren wollen, …“
Und dann? Erzeugt man damit nicht die nächste Eskalationsstufe in dem anonymen Nutzern:innen die Möglichkeit gegeben wird gegen „wahre“ Meldungen vorzugehen?
Bisher war das Prinzip ähnlich wie: wenn sich ganz viele beschweren und/oder es schlechte Presse oder Androhung von Strafen gibt, guckt mal jemand hin.
Ein niedrigschwelliges Meldeverfahren wäre vielleicht ein witziger Ersatz für das Dislike. Andererseits wäre ein Meldeverfahren, bei dem Meldende die Hosen runterlassen ein großes Hindernis.
Hier zeigt sich sicherlich, dass sich niemand ernsthaft Gedanken macht, wie man ein nützliches Internet bauen könnte. Z.B. könnte reglementiert werden, dass die Meldungen angezeigt werden müssen, also Meldungen von Nutzern, anonymen und anderen. Hübsch transparent aufbereitet. So sollte auch unterschieden werden, in welcher Zahl von Nutzern mit eigenen Inhalten (Aufwand steckt drinnen) oder keinen Inhalten (oder kopierten) oder anonyme Nutzer etwas als was eigentlich melden. Dazu könnt man für besonders große Plattformen verfplichtend machen, die Meldeverfahren im Detail offenzulegen und absegnen zu lassen. Es kann erlaubt werden Änderungen einzuführen (Tests und Reaktionen), die aber letztlich gemeldet werden müssen, inklusive aggregierter Daten bzgl. des Effektes für die Wissenschaft.
Usw. usf. Da wären wir natürlich fast beim Kommunismus angelangt, wenn grundlegende gesellschaftliche Angriffspunkte transparent und lernbar offengelegt würden. Die Fehler der Vergangenheit wiederholen sich auch beim Datenöl, mit entfernt ähnlichem Effekt…
Aus deinem Buchstabensalat werde ich nicht schlau:
* Wie kann ein Meldeverfahren witzig sein?
* Erst meinst du, „ein Meldeverfahren, bei dem Meldende die Hosen runterlassen ein großes Hindernis“, was ganz und gar nicht zu „Z.B. könnte reglementiert werden, dass die Meldungen angezeigt werden müsse […] Hübsch transparent aufbereitet“ passt.
* Wie trägt der ideologisch zementierte Kommunismus zu einer Offenlegung gesellschaftlicher Angriffspunkte bei? Alles was da lernbar ist, sind Beißreflexe gegen Andersdenkende.
>>>* Wie kann ein Meldeverfahren witzig sein?
Durch Mangel an Vorstellungskraft – nicht. Dislike – es gibt Dislikes. Wie werden Meldungen verarbeitet und angezeigt? Werden Dislikes angezeigt? Mal sehen, ob Melden statt Dislike mehr bringt [Kontext zumeißt massenhafte gekaufte, gefakte oder Sockenpuppennutzer.].
>>> * Erst meinst du, „ein Meldeverfahren, bei dem Meldende die Hosen runterlassen ein großes Hindernis“, was ganz und gar nicht zu „Z.B. könnte reglementiert werden, dass die Meldungen angezeigt werden müsse […] Hübsch transparent aufbereitet“ passt.
Doch das passt perfekt. „Gemeldet für ‚Ich bin Rupert Schrunzdenk aus Dietzenbrink west, Dorfstraße 12‘ und finde das Video Scheiße“ – gegen Dummheit kann man nichts machen, aber man könnte auch die meldbaren Kontexte vorgeben, so dass eine, und das betrifft ja den Punk „Transparenz“, quantifizierte Auflistung möglich wird. Was für Nutzer haben das Post/wasuachimmer als was gemeldet.
* Wie trägt der ideologisch zementierte Kommunismus zu einer Offenlegung gesellschaftlicher Angriffspunkte bei? Alles was da lernbar ist, sind Beißreflexe gegen Andersdenkende.
Mit „das wäre Kommunismus“ ist der demagogische Versuch des Totschlagsarguments gemeint, das falschen ad-absurdums, des nicht denkbehafteten Weiterdenkens, wie wir es gerne mal am Rande von Scharmützerln unter US-Parlamentariern hören, meißtens von Republikanern.
„Aus deinem Buchstabensalat werde ich nicht schlau:“
Also eine Begriffserklärung:
1. Wie kann ein Meldeverfahren witzig sein?
„Ein niedrigschwelliges Meldeverfahren wäre vielleicht ein witziger Ersatz für das Dislike.“
Das ist eine Problembeschreibung. Es wird versucht werden, ein niedrigschwelliges Meldeverfahren als Ersatz für das (nicht mehr angezeigte, und nicht mehr satistisch verfügbare) Dislike zu nehmen. Ihre Begriffsnachfrage hinkt hier, a in dem Satz ja nicht steht, dass das Meldeverfahren witzig ist. Es wäre als Ersatz für das Dislike „witzig“, für WEN? Das ist offensichtlich eine Ellipse.
2. Erst meinst du, „ein Meldeverfahren, bei dem Meldende die Hosen runterlassen ein großes Hindernis“, was ganz und gar nicht zu „Z.B. könnte reglementiert werden, dass die Meldungen angezeigt werden müsse […] Hübsch transparent aufbereitet“ passt.
Wessen Hosen wem gegenüber? Kann aus beliebigen Gründen gemeldet werden? Nein, es gibt Oberbegriffe, und danach lassen sich Statistiken erstellen. Die Aufschlüsselung nach Accountsorten (inkl. von extern, falls es das gibt) bzgl. Aktivität und Vernetzung, sowie Zeitverlauf, soll helfen, mögliche Verzerrungen der Statistik auch durch den Nutzer direkt einschätzbar zu machen. Gerade wenn Meldungen ohne Login zugelassen werden, anonym oder mit Email, wäre das für die Statistik wichtig. Die Plattformen sparen sich gerne jegliche Transparenz, und geben Nutzern nicht gerne Hilfsmittel an die Hand. Da das hier in der Diskussionsphase ist, lasse ich es aber auch so stehen.
3. Wie trägt der ideologisch zementierte Kommunismus zu einer Offenlegung gesellschaftlicher Angriffspunkte bei? Alles was da lernbar ist, sind Beißreflexe gegen Andersdenkende.
Richtig erkannt: „Kommunismus“ zu rufen, ist oftmals der Beißreflex nicht sehr regulierungsfreudiger Menschen. Es gibt witzige Beispiele aus aus USA, in Deutschland vielleicht keine richtig witzigen, bzw. keine. Gemein in der Vorgehensweise ist, Schwachstellen der Gesellschaft offenhalten zu wollen, aus „Verantwortung“ gegenüber den Menschen, die vor dem „Kommunismus“ behütet werden. Die selben Schwachstellen werden von „Kommunismusgegnern“ gerne selbst mal barbeitet, weswegen man immer stärker und schneller sein will, statt böses Verhalten zu ächten und einzustellen, Transparenz zu üben, Aufklärung und Bildung zu fördern. So etwa verständlicher?
Wäre auch generell schön wenn man auch ohne ein Google/Youtube Konto Videos melden kann. Und ich meine damit nicht per Email. Sondern einfach einen Button der kein Konto erfordert. Man könnte als erste Eskalation Videos auch auf 160×120 pixel reduzieren und die Audioqualität drastisch verschlechtern ;) JK