Studie zum AusländerzentralregisterZugriff zu weitreichend und unverhältnismäßig

Im Ausländerzentralregister sind die Daten von mehr als 18 Millionen Menschen erfasst. Ein Gutachten kommt zu dem Schluss, dass das Registergesetz das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und weitere EU-Datenschutzstandards verletzt.

Eine Demonstration gegen Abeschiebung, Menschen tragen ein gekbes Banner "Migration is a right"
Protest gegen Abschiebungen in Hamburg im Jahr 2016 CC-BY-NC 2.0 Rasande Tyskar

16.000. Das ist die Zahl der Behörden, die auf das Ausländerzentralregister zugreifen können. Es ist eine der größten Datenbanken der deutschen Verwaltung überhaupt. Eine neue Studie im Auftrag der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) kommt nun zu dem Schluss: Die Menge der dort gespeicherten Daten ist unverhältnismäßig, die Zugriffsrechte auf das Register viel zu weitreichend.

Betroffen seien vor allem Geflüchtete, für die neben ihren Personalien auch biometrische Daten sowie Angaben zu Gesundheit, Bildung, Familienstatus oder Fluchtgründen gespeichert werden. Es sei nichts dagegen einzuwenden, Daten über Nicht-Deutsche zentral zu speichern, sofern das für die Migrationsverwaltung nötig ist, sagt die GFF-Juristin Sarah Lincoln. Doch der Umfang der Daten sei unverhältnismäßg. „Wofür soll es erforderlich sein, künftig sogar die Asylbescheide mitsamt hochsensiblen Angaben zu Flucht, psychischer Verfassung oder politischer Verfolgung zentral zu speichern und tausenden Behörden zugänglich zu machen?“

Ab November 2022 werden auch Asylbescheide im Volltext zentral im Register gespeichert. Auf diese Daten können dann unter anderem auch Sicherheitsbehörden zugreifen.

Hundertausende haben Zugriff

So gut wie alle öffentlichen Stellen haben Zugriff auf das Register, darunter der Zoll, Sozialbehörden, Jugend- oder Arbeitsämter. Für mehr als 3.000 geht das automatisiert. Das heißt, sie können online auf die Daten zugreifen, ohne dafür erst einen Antrag zu stellen. Einzige Voraussetzung ist, dass die Behörde die Daten „zur Aufgabenerfüllung“ braucht. Auch Polizeibehörden und Geheimdienste haben Zugriff.

„Wenn hunderttausende Mitarbeiter*innen von Ausländerbehörden, Polizei- und Strafverfolgungsbehörden, Nachrichtendiensten, Jobcenter, Jugendämtern und Gerichten auf so viele, teils hochsensible Daten zugreifen können, ist das Missbrauchspotenzial enorm“, sagt Lincoln. „Im schlimmsten Fall geraten Daten wie Adresse, sexuelle Orientierung oder politische Überzeugung in die Hände von rassistisch motivierten Straftäter*innen oder Verfolgerstaaten und bringen Betroffene so in Lebensgefahr.“

Die Studie nennt weitere mögliche Missbrauchsszenarien: So könne etwa ein Mitarbeiter des Sozialamtes künftig den Asylbescheid durchlesen, um Anhaltspunkte für Sozialbetrug zu suchen und Leistungen zu kürzen. Eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde könnte Angaben zur Familie nutzen, um an einer geplanten Eheschließung zu zweifeln.

Transparenz und Kontrollmöglichkeiten fehlen

Um die Kontrollmechanismen zu prüfen, hat die GFF zudem 13 Betroffene dabei unterstützt, Auskunft zu den über sie gespeicherten Daten zu bekommen. Dies ist auf Antrag laut Gesetz grundsätzlich möglich – , wenn auch umständlich, weil dafür eine vom Amt beglaubigte Unterschrift notwendig ist. Das Fazit: Die Anträge zu stellen sei mühsam, auf die Antworten warteten Betroffene oft monatelang, dann waren die Antworten teils unvollständig. 

Auf Basis des Gutachtens plant die GFF nun gemeinsam mit Betroffenen strategische Klagen gegen das zugrundeliegende Gesetz.

Das Ausländerzentralregister ist eines der größten Register der deutschen Verwaltung. Laut dem Statistischen Bundesamt sind darin rund 11,4 Millionen in Deutschland lebende Ausländer*innen registriert, darunter rund 1,8 Millionen Menschen, die in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. Hinzu kommen weitere, die in der separat geführten Visadatei gespeichert sind, die Daten von Visumsantragssteller*innen enthält.

Drei Verschärfungen in fünf Jahren

Unter Innenminister Horst Seehofer hat die Bundesregierung das Ausländerzentralregister binnen fünf Jahren drei Mal erweitert, zuletzt mit dem „Gesetz zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters“ im vergangenen Jahr. Mit den Stimmen der Großen Koalition (Grüne und Linke stimmten dagegen, die FDP hatte sich enthalten) hat der Bundestag damals beschlossen, auch Asylbescheide zukünftig im Volltext zu speichern und eine eindeutige Identifikationsnummer einzuführen, über die Daten mit Behörden in den Herkunftsländern ausgetauscht werden können. Pro Asyl kritisiert, das Risiko, dass Informationen aus dem Asylverfahren auf diesem Weg zurück in die Staaten gelangen, aus denen Asylsuchende geflohen sind, sei dadurch massiv erhöht.

Auch der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) kritisierte die geplante Speicherung der Asylbescheide und forderte damals einen Stopp des Vorhabens. Gerade queere Geflüchtete müssten im Rahmen ihrer Asylverfahren sehr persönliche Angaben zu sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität machen. Diese Daten sollen laut Gesetz in den Bescheiden geschwärzt werden, um Rückschlüsse zu verhindern, doch der LSVD bezweifelt, dass das möglich ist.

Schon im Koalitionsvertrag hatte die Große Koalition damals angekündigt, worum es ihr geht: Sie will das Ausländerzentralregister weiter „ertüchtigen, um belastbarere Auskünfte erhalten zu können, allen relevanten Behörden unkomplizierten Zugriff zu ermöglichen und es auch zur besseren Steuerung der Rückführung und freiwilligen Ausreise einsetzen zu können“. Sprich: schnellere Asylverfahren und effizientere Abschiebungen.

 

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