Die Bundesregierung setzt beim Breitbandausbau vor allem auf eines: Hoffnung. Hoffnung, dass die Länder ihre Genehmigungsverfahren vereinfachen. Hoffnung, dass sich alternative Verlegetechniken durchsetzen und Netzbetreiber öfter kooperieren. Hoffnung, dass ein Gigabit-Grundbuch mehr Planung in den zerstückelten Ausbau im Land bringt.
Zumindest die Ziele der gestern vorgestellten Gigabitstrategie sind klar: Bis 2030 soll jedes Haus an ein Glasfasernetz angeschlossen sein, bis 2025 jedes zweite. Zudem soll es bis zum Ende des Jahrzehnts eine flächendeckende Versorgung mit dem neuesten Mobilfunkstandard geben. Weiterhin soll der Ausbau weitgehend marktgetrieben erfolgen, staatliche Förderung soll die für die Wirtschaft uninteressanten Gebiete abdecken.
„Home-Office, Streaming im ICE und Empfang auf der Berghütte müssen endlich problemlos möglich sein“, sagt Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr. Entscheidend soll dabei der privatwirtschaftliche Ausbau sein: Laut Branchenangaben wollen die Privaten in den kommenden Jahren rund 50 Milliarden Euro investieren.
Öffentliche Förderung weiterhin nötig
Dagegen haben die Kommunen nichts einzuwenden. „Das allein reicht aber nicht“, sagt Verena Göppert vom Deutschen Städtetag zu netzpolitik.org. In der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass selbst in Städten nicht alle Gebiete ausreichend im Wettbewerb der Unternehmen untereinander mit Glasfaser ausgebaut wurden. „Kommunen mussten notgedrungen mit Fördergeldern nachsteuern“, sagt Göppert.
Wie dieses Geld fließen soll, war ein Hauptknackpunkt in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern in den vergangenen Monaten. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) wollte dabei vorrangig auf eine sogenannte Potenzialanalyse setzen. Gebiete, in denen ein marktgetriebener Ausbau wahrscheinlich ist, wären dann womöglich aus der Förderfähigkeit herausgefallen, fürchteten die Kommunen – trotz Unterversorgung und fehlender Ausbaugarantie.
Mit diesem Ansatz konnte sich das BMDV letztlich nicht durchsetzen. Zwar wird es bundesweit eine derartige Analyse durchführen, verbindlich für die Ausschüttung von Fördergeldern wird sie jedoch nicht. Dass die Potenzialanalyse „keine Sperrwirkung entfalten soll, sondern nur eine Hinweisfunktion haben wird, wird daher seitens der Landkreise einhellig begrüßt“, heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Landkreistages an das BMDV.
Neu gemischte Karten
Das stößt der Industrie sauer auf. Statt einer klaren Priorisierung wirklich bedürftiger Gebiete würden „die Schleusen für möglichst umfangreiche Fördermaßnahmen geöffnet und gleichzeitig der immense Investitionswille der Telekommunikationsbranche ignoriert“, sagt der Breko-Geschäftsführer Stephan Albers.
Hintergrund sind die zunehmend wegfallenden Aufgreifschwellen. Schon seit dem Vorjahr sind mit bis zu 100 Mbit/s versorgte Gebiete förderfähig, ab 2023 die meisten Anschlüsse, die nicht gigabitfähig sind – also weite Teile des Landes. Die Industrie warnt vor einem ungesteuerten „Förder-Tsunami“, Verschwendung von Steuermitteln und weiter steigende Kosten im Tiefbau. Sicherlich freut es sie nicht, wenn der Staat in ihrem Markt agiert – und sie öffentlich geförderte Netze für Wettbewerber öffnen müssen.
Der Städtetag hält dagegen: „Die Städte werden auch in Zukunft nur dort Fördergelder einsetzen, wo es unbedingt notwendig ist“, sagt Göppert. Schließlich müssten die öffentlichen Haushalte noch viele andere Herausforderungen stemmen. „Eine verbindliche Priorisierung von Fördergebieten ist deswegen unnötig und würde zu weiteren Verzögerungen führen.“ Vor allem müssten die Genehmigungsverfahren digitalisiert werden, damit es schneller gehen kann – was die Gigabitstrategie vorsieht.
Wirrwarr an Behörden
Einige Weichen hat dazu die Reform des Telekommunikationsgesetzes im Vorjahr gestellt, nun ist es an den Ländern, ihre Zuständigkeiten zu klären. „Rund 12.000 verschiedene Behörden mit unterschiedlichen Anforderungen und Formularen“ sorgten für Verzögerung bei der Genehmigung von Anträgen, schreibt das BMDV. Bis zum Jahresende sollen die Länder deshalb ihre Vorgaben möglichst vereinheitlichen, zudem soll ein von Hessen und Rheinland-Pfalz aufgestelltes Pilotprojekt zu einem bundesweiten zentralen Antrags- und Genehmigungsportal werden.
Dennoch dürften die großen Unterschiede zwischen öffentlich gefördertem und privatem Ausbau bleiben. „Ein Förderverfahren ist bei weitem nicht so schnell wie ein eigenwirtschaftliches Verfahren“, sagt Cornelius Rahn vom Anbieter Deutsche Glasfaser. Realistisch dauere ein privater Aubau etwa zwei bis zweieinhalb Jahre, während ein subventioniertes Projekt rund fünf Jahre bis zur Fertigstellung brauche.
Für viele Schritte müssen Anträge gestellt und genehmigt werden, oft braucht es europaweite Ausschreibungen, knappe Tiefbaukapazitäten müssen verteilt werden. Schon jetzt ist der erste Schritt für einen geförderten Ausbau, das Markterkundungsverfahren, ein Flaschenhals. Mit dem Verfahren klären die Kommunen ab, ob ein unterversorgtes Gebiet zeitnah privat ausgebaut wird oder nicht. Derzeit sei die Zahl der Anträge so groß, dass nicht alle beantwortet werden können, klagt die Branche.
Kommunen können auch selbst ausbauen
Schwung in den Markt könnte womöglich das nun besser gestellte Betreibermodell bringen. Dabei nehmen die Gemeinden den Ausbau selbst in die Hand, lassen etwa einen kommunalen Energieversorger das Netz errichten und betreiben oder verpachten die Infrastruktur. Bislang hat dies den Ausbau zwar meist nicht schneller, aber dafür nachhaltiger gemacht.
„Als Grüne Fraktion haben wir uns dafür eingesetzt, dass auch mittelständische Unternehmen die Möglichkeit haben, am geförderten Ausbau teilzunehmen und dass das Betreibermodell Vorrang hat“, sagen die grünen Digitalpolitiker:innen Maik Außendorf und Tabea Rößner in einer gemeinsamen Stellungnahme. Tempo sollen gebündelte Ausschreibungen für Bau, Planung und Betrieb machen, auch ein geplanter Mustervertrag könnte helfen.
Einen Hebel fasst die Ampelkoalition jedoch nur sehr vorsichtig an: Es bleibt beim grundsätzlichen Ansatz des sogenannten Infrastrukturwettbewerbs – also dem Prinzip, für jedes Kabel jedes Betreibers erneut die Straße aufzureißen. Zwar sollen, „wo immer möglich“, kooperative Ausbauprozesse zum Tragen kommen, wünscht sich das BMDV. Private Netze will es vorerst aber nicht schärfer regulieren.
Überbau könnte zunehmen
„Mit der deutlich steigenden Investitionstätigkeit auf den Glasfasermärkten kann jedoch auch der Überbau zunehmen“, steht indes als Warnung in der Gigabitstrategie. Dabei würde ein neues Netz über bestehende oder geplante gebaut werden – und im schlimmsten Fall betriebswirtschaftliche Kalkulationen kommunaler Netze hinfällig machen.
Doch anstatt schon jetzt gegenzusteuern, will die Regierung die Lage zunächst beobachten und erst frühestens 2023 Wege finden, um gegebenenfalls wettbewerbswidrige Formen des Überbaus einzudämmen. Aus Sicht der Landkreise wird das Problem damit nur auf einen zu weit in der Zukunft liegenden Zeitpunkt verschoben. Ihrer Erfahrung nach sei die Kooperationsbereitschaft vor allem großer Netzbetreiber, nur „sehr gering“, schreiben sie in ihrer Stellungnahme. Es gebe kaum einen Anreiz für die Unternehmen, sich auf Mitnutzungsvereinbarungen einzulassen. Offenbar reichen selbst die Regulierungserleichterungen aus der Reform des Telekommunikationsgesetzes nicht aus, um flächendeckend für Open-Access-Netze in Deutschland zu sorgen.
Das sorgt regelmäßig für Ärger, etwa wenn ein plötzlicher Überbau eines großen Anbieters andere Projekte gefährdet oder frisch sanierte Straßen aufgebrochen werden. Und es mache alles noch langsamer, ineffizienter und sei kaum nachhaltig, so der Deutsche Landkreistag: „Der Aufbau von Doppelstrukturen und die damit auch zusammenhängende Verschwendung ohnehin knapper Ausbaukapazitäten verlangsamen den Prozess oftmals eher.“
Prinzip Hoffnung stimmt schon.
Aber die hoffen nicht, mit ihrer Gigabitstrategie das postulierte Ziel zu erreichen.
Die hoffen, damit ihre Klientel glücklich zu machen, davon zu profitieren und ansonsten damit durchzukommen. Die Vergangenheit gibt ihnen da durchaus gute Aussichten: der deutsche Bürger will ohne Tempolimit auf die Autobahn, die Datenautobahn ist Zukunft, die braucht man nicht.